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Mitochondriale Gen-Fragmente können Unheil anrichten  
  Der Kern einer Körperzelle mag zwar ihre Kommandozentrale darstellen, doch die so genannten Mitochondrien sind mindestens ebenso lebenswichtig. Diese "Kraftwerke der Zelle" sorgen dafür, dass genügend Energie zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen produziert wird. Doch die Winzlinge könnten mitunter auch recht unangenehme Nebenwirkungen haben: Wie Forscher nun berichten, nisten sich mitochondriale Gen-Fragmente im Kern-Genom ein - und stören dort unter Umständen die Arbeit von anderen Erbfaktoren, was zur Entstehung von Krankheiten führen kann.  
Ein französisches Forscherteam um Miria Ricchetti vom Institut Pasteur in Paris beschreibt im "Open Access"-Journal "PLoS Biology" die "fortgesetzte Kolonialisierung des menschlichen Genoms durch mitochondriale DNA".
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Die Studie von Ricchetti, F. Tekaia und B. Dujon ist unter dem Titel "Continued Colonization of the Human Genome by Mitochondrial DNA" in "PLoS Biology", Bd. 2, Ausgabe vom September 2004 erschienen. Die "Public Library of Science" folgt der Idee des "open access", alle Publikationen werden kostenfrei zugänglich ins Internet gestellt.
->   Die Studie in den "PloS Biology"
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Eigene DNA durch bakterielle Herkunft
Mitochondrien sind bekannt als zelluläre Kraftwerke. Doch die Organellen besitzen tatsächlich ihr eigenes Erbgut (mtDNA) - entwicklungsgeschichtlich ein Verweis auf ihre bakterielle Herkunft:

Nach der so genannten Endosymbiontenhypothese geht man davon aus, dass Mitochondrien einst aus einer Symbiose von Bakterien mit so genannten Eukarioten - Lebewesen,
deren Zellen einen Kern besitzen - hervorgegangen sind.
37 exklusive Gene
Eine Folge sind jene 37 Gene, die menschliche Mitochondrien noch heute auf einem einzelnen Chromosom als ihre ganz spezielle und exklusive DNA versammeln.
Rest wanderte in den Zellkern
Der Großteil ihrer Erbfaktoren wurde jedoch vor geraumer Zeit schon in den Zellkern integriert - und steht dort unter der strikten Kontrolle dieser Kommandozentrale der Zelle.

Diese solchermaßen "transplantierten" mitochondrialen Gene haben dort möglicherweise bereits seit Hunderten Millionen Jahren und gewissermaßen unter neuer Leitung treu und brav ihre Arbeit gemacht.
Eingenistete Gen-Fragmente
Allerdings haben sich bislang auch mehr als 200 genetische Fragmente im Zellkern eingenistet, wie nun Miria Ricchetti und Kollegen berichten. Ein Prozess, der nach wie vor anhält - und dessen Wirkung offenbar nicht unbedingt positiv ist.

Die französischen Forscher untersuchten das gesamte menschliche Genom sowie das Erbgut von Schimpansen - und fanden insgesamt 211 genetische Sequenzen innerhalb des Zellkerns, die offensichtlich mitochondrialen Ursprungs waren.

Genau 27 dieser so genannten NUMTs ("nuclear DNA sequences of mitochondrial origin") finden sich wiederum ausschließlich beim Menschen und müssen die Chromosomen innerhalb der vergangenen vier bis sechs Millionen Jahren "kolonialisiert" haben, schreiben die Wissenschaftler.
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Mitochondrien: Rund 1.000 Zelluläre Kraftwerke pro Zelle
Eine der wichtigsten Aufgaben jeder lebenden Zelle ist die Gewinnung von Energie zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen. Energie wird dabei hauptsächlich in Form von Adenosin-Triphosphat (ATP) umgesetzt. Verantwortlich dafür sind unter anderem die rund 1.000 Mitochondrien in jeder Körperzelle. Grundsätzlich gilt: Je höher der Energieverbrauch einer Zelle, über desto mehr dieser Organellen verfügt sie (so sind etwa Muskel- oder Nervenzellen verständlicherweise recht gut ausgestattet). Bis vor kurzem nahm man zudem an, dass die so genannte mtDNA ausschließlich über die Mutter weitervererbt wird - dieses Dogma wackelt jedoch zunehmend.
->   Mehr Informationen in www.zum.de
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Gefährliche Vorliebe für aktive Gene
Neben anderen wichtigen Beobachtungen stellten die französischen Wissenschaftler fest, dass jene mtDNA-Fragmente sich bevorzugt an besonders aktiven Stellen im Genom einfügen - ein potenziell erbgutschädigendes Phänomen.

Diese Vorliebe kann daher zu schweren Erkrankungen führen, wie einige Studien erst kürzlich gezeigt haben.

So wird vom Fall eines unter der Bluterkrankheit (Hämophilie) leidenden Patienten berichtet, bei dem sich offensichtlich ein mtDNA-Fragment an der falschen Stelle eingefügt hatte - und das Gen für den Blutgerinnungsfaktor störte.
Impuls durch Umweltfaktoren
Nach Ansicht der Forscher ist es damit wahrscheinlich, dass beispielsweise genetische oder Umweltfaktoren, die die Rate von so genannten "chromosomalen Brüchen" beeinflussen, "den Impuls für die kontinuierliche Kolonialisierung des menschlichen Genoms durch mtDNA liefern".

Mit anderen Worten: Massivere Einflüsse von außen - wie etwa radioaktive Strahlung - könnten solche neuen mtDNA-Fragmente oder NUMTs im Zellkern-Genom etablieren helfen. Ein solcher Fall wurde demnach vergangenes Jahr bei einem Patienten beobachtet, dessen Empfängnis mit dem Reaktorunfall in Chernobyl zusammenfiel.
->   Institut Pasteur
Mehr zu den Mitochondrien in science.ORF.at:
->   Zellkraftwerke lösen Alterung aus (27.5.04)
->   Dogma wackelt: mtDNA doch nicht "nur Frauensache"? (17.5.04)
->   Alzheimer-Protein greift Mitochondrien an(16.4.03)
 
 
 
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01.01.2010