News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Ethik - Zwischen Inflation und Moralin  
  Vom 9. bis 12.9.2004 findet in Rauris in Salzburg die "1. philosophische akademie" statt, ein Symposium, das von Studenten und Nachwuchs-Philosophen organisiert wird. Das Thema: "Ethik - Zwischen Inflation und Moralin". Die wissenschaftliche Leiterin der Veranstaltung, Alexandra Prakisch, umreißt in einem Gastbeitrag die Grundfragen des Gegenstandes.  
"Ethik" - wohin man blickt
Von Alexandra Prakisch

Ethik begegnet uns gegenwärtig auf Schritt und Tritt in unterschiedlichster Gestalt: Ob unter dem Schlagwort der Bioethik, Medizinethik, Tierethik, den mittlerweile zu begrifflichen Pas de deux erhobenen Ethik und Politik oder Ethik und Wirtschaft (man denke hier nur an die dem Zeitgeist folgenden Ethikfonds).

Oder auch in der beliebten Debatte, ob der Religionsunterricht an den Schulen durch Ethikunterricht ersetzt werden soll bzw. kann. Und dies sind nur einige Schlagworte, die für rege Diskussionen in Wissenschaft und Gesellschaft sorgen, zumal in einer medial dominierten Zeit.

Kein Bereich des wissenschaftlichen und alltäglichen Lebens scheint es sich mehr leisten zu können, an einer Thematisierung seiner Beziehung zur Ethik vorbeizugehen.

Die Folge ist eine Flut von Bindestrichethiken, die nicht nur in ihrer verwirrenden Vielfalt und Unüberschaubarkeit den Rezipienten in Ratlosigkeit zu schicken drohen, sondern oft in ihrer disziplinären Aufsplitterung isoliert bleiben, ohne ihre jeweilige Beziehung zum Ganzen der Ethik noch ihre Beziehung zueinander zu berücksichtigen.
...
Ethik-Symposium - Eintrittskarten werden verlost
"Ethik - Zwischen Inflation und Moralin" ist der Titel des Symposiums, das vom 9. bis 12.9.2004 in Rauris/Salzburg stattfinden wird. Die philosophische akademie verlost zehn Eintrittskarten im Wert von Euro 70,- (Studenten Euro 35,-). Im Preis inbegriffen ist die Teilnahme am gesamten Symposium (9.-12.9.2004) inkl. aller Referate, Lesungen, Eröffnungscocktail und Kaffeepausen. Gewinner sind die ersten 10 Einsendungen an office@philak.net.
->   philosophische akademie: Symposium
...
Die Verlockung der Möglichkeiten
Die rasant wachsenden medizinischen und technologischen Möglichkeiten stellen uns natürlich vor neue Probleme und Fragen:

Ob es sich nun um heilsversprechende Innovationen auf dem Gebiet der Gentechnologie, der Organtransplantation oder der künstlichen Schaffung von Leben handelt, ob es um riskante Energiegewinnungsmethoden oder um die Optimierung von Lebensmitteln geht - die Fragen oder auch Bedenken, die sich stellen, sind immanent ethischer Natur:

Welche Auswirkungen hat die neue Machbarkeit sowohl auf das Zusammenleben der Menschen als auch auf die Würde des einzelnen Individuums? Ist alles, was juristisch schon oder noch legal ist, auch in gleichem Maße legitim?
Der Kern ethischer Fragestellungen
Der handelnde Mensch in sozialer Struktur ist der zentrale Angelpunkt jeder Ethik; Ethik behandelt immer ein Kollektiv, in dem der Einzelne sich kommunikativ und handlungsdynamisch bewegt und auf das er unausweichlich bezogen ist.

Auch wenn der erste Blick glauben machen mag, es ginge um die Konfrontation zwischen Mensch und Technik oder Mensch und Möglichkeit, so stehen bei genauer Betrachtung immer Menschen einander bzw. anderen Lebewesen gegenüber.

Salopper gesagt, geht es im Kern darum, was Menschen einander und anderen Lebewesen antun oder nicht. Die Verantwortung liegt bei dem sich als frei verstehenden, selbstbewussten Subjekt, das mit den Verlockungen der Möglichkeiten vernünftig und stets auf die Würde des Menschen und Lebens sowie auf die Konsequenzen gesetzter Handlungen bedacht umzugehen hat.
Gefahr von Alibi-Debatten
Es scheint, dass wir zunehmend auf beratende und warnende Instanzen angewiesen sind, die aus ethischer Perspektive ein wachsames Auge auf die aktuellen Entwicklungen werfen.

Übersehen wird dabei aber leider allzu oft, dass diese Instanzen auch als Alibi installiert werden können, zur euphemistischen und beruhigenden Verbrämung an und für sich unbefriedigender Zustände, und sich so manche Ethikdiskussion irrigerweise bereits als Legitimierung des besprochenen Gegenstandes missversteht bzw. als solche funktionalisiert wird.
Moralinsaurer Geschmack als Nebenwirkung?
Solchen Diskursen haftet zumeist ein nicht zu verheimlichender Hautgout unangenehmen Moralins an, der sich verdeckend über ihren Inhalt legt.

Im weiteren Sinne ist es ja das Ziel der Ethik, die Grundlagen für gerechtes, vernünftiges und sinnvolles Handeln und Zusammenleben in einer methodisch gesicherten Weise allgemeingültig aufzuzeigen, gerade ohne Berufung auf Konventionen und äußere Autoritäten; worin sie sich auch von der je geltenden Moral unterscheidet und sich ihr kritisch überordnet.
Rückzug zur Privatethik?
Oszillierend zwischen inflationär verwendeter Floskel und mehr oder weniger latentem Moralin, droht der Begriff der Ethik selbst immer verschwommener und beliebiger zu werden.

Bleibt als Gegenbewegung zu dieser Popularisierung also nur der Rückzug in jedermanns eigene Privatethik zur individuellen Gewissensberuhigung, gleichsam als Mimesis an die einstige Privatisierung der Religion im Prozess ihrer Säkularisierung?

Auffällig an den so zahlreichen Debatten ist immerhin ihr fast völliger Verzicht auf genaue Begriffsdefinitionen; unreflektiert werden Moral und Ethik vermengt, von einer näheren Betrachtung der philosophischen Wurzeln gerne abgesehen.
Der Ethik-Boom als Symptom des Mangels
Was aber bedeutet Ethik wirklich? Wie steht es um diese ursprüngliche Lehre vom geglückten und guten Leben? Was kann angewandte Ethik in einer aufgeklärten Gesellschaft leisten? Wem nützt sie?

Sind die tradierten philosophischen Ethikkonzeptionen vor dem Hintergrund neuer ökonomischer, gesellschaftlicher und technologischer Anforderungen noch brauchbar? Wer untersucht und hinterfragt die Genealogie der zahllosen Ethik-Debatten selbst? Was haben diese noch mit der Philosophie zu tun?

Und ist der gegenwärtige Ethik-Boom nicht zuletzt ein bedeutendes Symptom für den Zustand und die Bedürfnisse unserer Gesellschaft? Der Verdacht mag erschrecken, aber er liegt nahe: dass der Ethik-Boom weit weniger von tatsächlich realisierter Vernunft zeugt als vielmehr nur das Bedürfnis danach aufzeigt - und damit den real existierenden Mangel.
...
Über die Autorin
Alexandra Prakisch: Geboren am 23.6.1982 in Wien. Lehrtätigkeit (Latein, Altgriechisch) am Sprachinstitut Creative Language in Wien. Studium der Judaistik und Philosophie mit den Schwerpunkten Jüdische Philosophie und Kulturphilosophie. Gegenwärtiges Forschungsprojekt: Leben und Werk von Oskar Ewald Friedländer. Gründungsmitglied des Vereins philosophische akademie, wissenschaftliche Leiterin des von diesem veranstalteten jährlichen philosophisch-kulturwissenschaftlichen Symposiums.
->   philosophische akademie
...
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Erste "philosophische akademie" in Salzburg (2.9.04)
->   Das Stichwort Ethik im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010