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Medizin-Studien: Journale wollen Offenlegung erzwingen  
  Mit einer gemeinsamen Initiative wollen zahlreiche hochrangige Fachzeitschriften künftig verhindern, dass unliebsame Ergebnisse medizinischer Studien in der Schublade verschwinden. Um dies zu erreichen, werden Journale wie das älteste Medizinblatt "The Lancet" die Ergebnisse von Studien mit Versuchspersonen nur noch dann begutachten und publizieren, wenn die Untersuchung bereits vor der Beteiligung der Probanden öffentlich registriert wurde.  
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Der Text erscheint am 9. September 2004 online unter dem Titel "Clinical trial registration: a statement from the International Committee of Medical Journal Editors" (ICMJE) zeitgleich in allen beteiligten Journalen.
->   Der Artikel im "Lancet" (pdf-Dokument)
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Vieles verschwindet - verzerrtes Bild
Der Hintergrund: Kritische Forscher schätzen, dass bis zur Hälfte aller medizinischen Studien in der Schublade bleiben, weil sie nicht das gewünschte Ergebnis hatten. Weil auf diese Weise mehr erfolgreiche als negative Studien veröffentlich würden, entstehe ein verzerrtes und vielfach zu positives Bild, hieß es dazu beim Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg.

Dieses internationale Ärzte- und Wissenschaftlernetzwerk etwa fasst alle zugänglichen Studien zu einem Thema zusammen, um sich daraus eine möglichst gesicherte Aussage über die Wirksamkeit dieser oder jener Behandlungsmethode zu bilden.
Zahlreiche renommierte Fachjournale
Zu den Fachblättern der Initiative gehören so renommierte Fachzeitschriften wie das Journal of the American Medical Association, das New England Journal of Medicine und The Lancet. Beteiligt ist zudem die umfassende Sammlung von medizinischen Fachartikeln "Medline".

In einer Erklärung des Verbundes heißt es: "Ehrliche Berichterstattung beginnt mit dem Aufdecken aller klinischen Studien, auch solcher, die sich als unvorteilhaft für das Produkt des Financiers erweisen."
Finanzielle Risiken als Faktor
Doch, so kritisieren die Journals, die selektive Berichterstattung komme vor - und verzerre so die Beweisgrundlage für klinische Entscheidungen.

Die Gründe dafür sind recht offensichtlich: Je eindeutiger der Effekt einer neuen Behandlungsmethode, desto enthusiastischer seien Forscher (und Herausgeber der Journale) zumeist in Bezug auf eine Veröffentlichung, heißt es in dem Artikel.

Zeige sich jedoch, dass die Therapie der Standardmethode unterlegen ist, oder kein klar positives oder negatives Ergebnis aufweist, sehe dies schon ganz anders aus. Und unabhängig vom wissenschaftlichen Interesse würden gerade Studien, die finanzielle Interessen bedrohen, besonders häufig nicht publiziert.
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Beispiel: Neue Behandlungsmethoden für klinische Praxis
Besonders zwingend sei dies bei Forschungen, die mögliche Innovationen für die klinische Praxis testeten. Denn für deren Änderung benötige es in aller Regel eine ganze Reihe von Studien. Fehlen hier - aus welchen Gründen auch immer - (Teil)Ergebnisse von nicht publizierten Untersuchungen, können diese die Ansichten von Patienten, Medizinern und anderen Forschern eben nicht beeinflussen bzw. in die Beurteilung einfließen. Erst mit einer kompletten Offenlegung aller Studien könne man laut der Initiative die gesamte Bandbreite der klinischen Beweise beurteilen.
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Registrierung derzeit noch freiwillig
Derzeit ist die Registrierung von Studien noch größtenteils freiwillig, wie es in dem Artikel heißt. Die "Registrierungspolitik" der beteiligten Journals soll nun ein erster Schritt hin zur umfassenden Offenlegung aller klinischen Studien sein.

Diese werden laut ICMJE ("Committee of Medical Journal Editors") definiert, als "jedes Forschungsprojekt, das voraussichtlich menschliche Versuchspersonen Behandlungen unterwirft oder Vergleichsgruppen zuordnet, um die Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen einer medizinischen Intervention und den gesundheitlichen Folgen zu untersuchen".
Strikte Regeln für die potenziellen Portale
Grundsätzlich muss die Registrierung nicht über ein bestimmtes Portal erfolgen, doch das ICMJE legt sehr wohl strikte Regeln diesbezüglich fest: Beispielsweise müssen die Eintragungen der Öffentlichkeit frei zugänglich sein, es müssen grundsätzlich alle Forschergruppen ihre Studien registrieren können und als Betreiber kommt nur eine Non-Profit-Organisation in Frage.

Derzeit gebe es nach dem Wissen aller Beteiligten nur ein Portal, das diese Forderungen erfülle: www.clinicaltrials.gov.
Öffentliches Vertrauen soll gestärkt werden
Forschungssponsoren könnten nun natürlich argumentieren, dass die öffentliche Registrierung ihrer Studien zu unnötigen bürokratischen Verzögerungen führen würde und zudem konkurrierenden Gruppen Einblicke in ihre Forschungsvorhaben gewähren würde.

Doch wie die Initiative abschließend argumentiert, wird das gestärkte öffentliche Vertrauen in das Forschungsunternehmen die Kosten der völligen Offenlegung kompensieren. Und zudem verdienten es auch die Probanden, dass ihr Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit für gesundheitspolitische Entscheidungen zur Verfügung gestellt werde.
->   International Committee of Medical Journal Editors
->   www.clinicaltrials.gov
->   Deutsches Cochrane-Zentrum
 
 
 
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01.01.2010