News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 
MyLifeBits: Software für "digitale Unsterblichkeit"  
  Passionierte Tagebuchschreiber wird es freuen. Microsoft bastelt an einer Software, die möglichst alles digital speichern soll, was in einem Leben geschieht. Die Firma befindet sich damit in bester Gesellschaft: Das US-Militärs forscht an einem ähnlichen Projekt.  
Einmal im Leben unsterblich sein. Oder anders: Im ganzen Leben unsterblich sein? Gordon Bell, Alt-Computer-Visionär und mittlerweile Mitarbeiter von Microsoft, bastelt an einer Software, die Unsterblichkeit ermöglichen soll.

Nicht im wörtlichen Sinne freilich. Eine Software, an der Bell forscht, soll alles speichern können, was in einem menschlichen Leben geschieht, und niemals vergessen. Digitale Unsterblichkeit gewissermaßen. Eine Datenbank namens MyLifeBits soll dies möglich machen.
...
MyLifeBits
MyLifeBits basiert auf dem Dateisystem von Windows Longhorn, das sich derzeit in Entwicklung befindet. Darin kann der User nach Bells Vorstellungen vollautomatisch etwa Bilder, E-Mails oder Musikdateien abspeichern. Der Programmierer digitalisiert schon seit mehreren Jahren sein eigenes Lebenswerk und hofft, noch rechtzeitig damit fertig zu werden. Immerhin wurde er kürzlich 70 Jahre alt und benötigt mittlerweile einen Herzschrittmacher.
...
US-Militär forscht ebenfalls
Mit der Idee befindet sich Bell in bester Gesellschaft - das US-Militär forscht an einem ähnlichen Projekt. Die Wissenschaftler bei DARPA, einer Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums, arbeiten ebenfalls an der Vision, die Erlebnisse eines Lebens in digitaler Form zu speichern.

Allerdings hat dieses Projekt namens "LifeLog" wesentlich weiter gehende Vorstellungen als Microsoft.
LifeLog: Sensoren sollen alles aufzeichnen
Über Sensoren soll wirklich alles aufgezeichnet werden - der Aufenthaltsort ebenso wie Gespräche. Dass auf Microsofts MyLifeBits-Homepage ein Link auf das LifeLog-Projekt prangt, dürfte letztlich Datenschützer auf den Plan rufen, die ohnehin regelmäßig vermuten, dass Microsoft die Windows-Benutzer ausspioniert.

Im Gespräch mit science.orf.at winkt Bell allerdings ab: "LifeLog ist einfach zu politisch. Wir waren in diesem Projekt nicht eingebunden. Einfach alles zu speichern könnte allerdings interessant sein."

Und er fügt hinzu, dass zu seiner MyLifeBits-Vision auch ein GPS-Empfänger gehört, der beispielsweise mit den einsortierten Bildern auch gleich speichert, wo sie aufgenommen wurden.
...
Der Computer- und Internetpionier Gordon Bell leitet derzeit die Media Presence Research Group (Microsoft) als Teil des Bay Area Research Center (BARC). Im Rahmen der Technologiegespräche des Forum Alpbach 2004 präsentierte er in Tirol sein Projekt MyLifeBits.
->   Homepage von Gordon Bell (Microsoft)
...
Die Idee ist 60 Jahre alt
Die Idee, wichtige Lebensabschnitte in einer digitalen Datenbank zu speichern, geht auf einen Artikel des US-Wissenschaftlers Vannevar Bush von 1945 zurück. Er hatte vor 60 Jahren die Vision, eine Maschine zu bauen, die als "Unterstützung für das Gedächtnis" dienen sollte.

Er nannte sie "Memex" - sie sollte ein Gerät sein, "in dem ein Mensch alle seine Bücher, Tonträger und Kommunikation speichert und die so konstruiert ist, dass sie schnell und flexibel abgefragt werden kann."
->   Informationen zu Vannevar Bush (www.ibiblio.org)
Das universelle elektronische Gedächtnis
Microsofts Plan ist die Umsetzung dieser Idee. "Wir wollen ein universelles, elektronisches Gedächtnis, so dass ein Mensch nie mehr vergisst, was einmal passiert ist", sagte Bell im Interview mit science.orf.at.

Er beeilte sich jedoch einzuschränken, dass auch ein Lösch-Knopf vorgesehen sei. Der könnte zum Beispiel nach einer Ehe-Scheidung ziemlich nützlich sein. Gordon Bell wüsste noch eine andere Zielgruppe für eine Löschtaste in MyLifeBits: "Auch Firmen-Manager sind ziemlich gut im Vergessen."
Bell: Kein erhöhtes Sicherheitsrisiko
Unklar ist bislang, wo die gesammelten Daten eigentlich gespeichert werden sollen. Obwohl die Idee erst möglich wurde, weil Speicherplatz mittlerweile in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, könnte Bell sich auch vorstellen, die Daten auf einem Server zu speichern - vielleicht im Internet.

Ein potenzielles Sicherheitsrisiko erkennt er darin nicht: "Ich glaube nicht, dass wir dadurch mehr Probleme bekommen, als wir heute schon haben."
Bestandteil von Windows
Mit Windows Longhorn kommt auch ein neues Dateisystem, das auf einer Datenbank aufsetzt. MyLifeBits soll dann ein Bestandteil von Windows werden; der schon existierende Prototyp des Projektes wird, verspricht Bell, unter der Open-Source-Lizenz frei gegeben und der Softwaregemeinde weltweit kostenlos zur Verfügung stehen.

Ob sich die Idee dann durchsetzen wird, weiß freilich auch Bell nicht. Er sieht seine Forschung primär als Herausforderung, und resümiert: "Das ist natürlich riskant. Schließlich könnte das auch völlig unnütz sein."

Jens Lang
...
Jens Lang ist Teilnehmer der Fachhochschul-Studiengangs Journalismus in Wien und nahm an den Technologiegesprächen des Forum Alpbach 2004 als ORF-Stipendiat teil.
->   Fachhochschul-Studiengang Journalismus
...
->   MyLifeBits
->   DARPA LifeLog-Projekt
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010