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Wie "visuelle Erwartungen" die Wahrnehmung beeinflussen  
  Die Phrase "Ich traute meinen Augen nicht" kennt man aus Berichten über für den Beobachter völlig überraschende Ereignisse. Eine Studie legt nun nahe, dass eine gewisse Skepsis bezüglich der visuellen Wahrnehmung mitunter durchaus angebracht ist. Demnach beruht das, was wir sehen, zu einem nicht geringen Teil auf dem, was wir erwarten zu sehen.  
Forscher der University of Sidney berichten im Fachjournal "Current Biology" über neue Einblicke, wie die Signalwege des Gehirns es ermöglichen, dass Erwartungen die visuelle Wahrnehmung beeinflussen.
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Die Studie von Tamara L. Watson, Joel Pearson und Colin W.G. Clifford erscheint unter dem Titel "Perceptual Grouping of Biological Motion Promotes Binocular Rivalry" in "Current Biology", Bd. 14, Seiten 1670-1674, Ausgabe vom 21. September 2004 (doi:10.1016/j.cub.2004.08.064).
->   "Current Biology"
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Sehen: Von der Netzhaut ins Gehirn
Der Sehsinn wird gerne als wichtigster Bereich der menschlichen Wahrnehmung dargestellt. Dabei scheinen die grundlegenden Abläufe recht klar: Zunächst werden visuelle Signale auf der Netzhaut "abgebildet". Deren Zellen stimuliert dann eine ganze Kaskade von Nervenimpulsen.

Die Signale werden letztlich an das Gehirn weitergeleitet - genauer gesagt ist ihr Ziel der so genannte visuelle Cortex, gleichsam das Bildverarbeitungsareal in der menschlichen Schaltzentrale. Dort werden die Signale interpretiert.
Signale in umgekehrter Richtung
Doch es gibt auch Impulse, die in umgekehrter Richtung verkehren - ausgehend vom visuellen Cortex. Über deren Funktion ist allerdings weit weniger bekannt, wie die australischen Forscher um Colin Clifford berichten.

Ihre Ergebnisse deuten demnach darauf hin, dass genau jene "Feedback-Signale" Informationen darüber mit sich tragen, was wir erwarten zu sehen - und dass sie unsere Interpretation der eingehenden visuellen Information beeinflussen.
Das Phänomen der "binokularen Rivalität"
Die Wissenschaftler stützten sich bei ihrer Untersuchung auf ein altbekanntes Phänomen: die "binokulare Rivalität".

Unsere zwei Augen liefern ein - leicht, aber doch - unterschiedliches Bild der sichtbaren Welt. Normalerweise werden diese beiden Ansichten einfach zu einem Bild fusioniert.

Wenn diese Ansichten allerdings so unterschiedlich sind, dass dies nicht möglich ist, kommt die binokulare Rivalität ins Spiel: Jeweils ein Bild bzw. Auge wird unterdrückt, nur das Bild des anderen wahrgenommen. Alle paar Sekunden wechselt die Wahrnehmung dabei zwischen den beiden Augen.
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Unter normalen Bedingungen höchst seltenes Phänomen
In unserem normalen visuellen Umfeld bzw. unter normalen Bedingungen kommt dieses Phänomen so gut wie gar nicht vor. Künstlich hervorgerufen bietet es allerdings Neurowissenschaftlern eine Möglichkeit, die Arbeit der visuellen Areale im Gehirn zu untersuchen. Denn auch wenn der experimentelle Stimulus, der die binokulare Rivalität hervorrufen soll, künstlich ist - das Gehirn arbeitet dabei dennoch auf die gewohnte Art und Weise.
->   Informationen zur "binocular rivalry" (vanderbilt.edu)
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"Fußgänger" aus Lichtpunkten
Bild: Current Biology
Die Forscher verwendeten einen in der Gehirnforschung bekannten Stimulus: Bilder einer gehenden Person, die jedoch lediglich durch an den Gelenken platzierte Lichtpunkte dargestellt wird (Beispiele rechts im Bild).

Statisch betrachtet kann der Proband dabei nichts erkennen - erst in der Bewegung wird deutlich, dass es sich um einen Menschen handelt. Selbst komplexe Schlussfolgerungen wie das Geschlecht können so wahrgenommen werden, heißt es dazu in der Studie.
Rivalisierende Lichtpunkte mit gewünschtem Effekt
Präsentierten die Wissenschaftler nun den beiden Augen ihrer Testpersonen durch Farbe und Position rivalisierende Bilder solcher sich bewegender Lichtpunkte bzw. Menschen, so kam es tatsächlich zum erwarteten Phänomen der binokularen Rivalität.

In ihrer Wahrnehmung sahen die Probanden zunächst eine Figur (mithilfe roter Lichtpunkte dargestellt), dann wieder die andere (grün leuchtend).
Manipulation zeigt Effekt der Erwartung
Manipulierten die Forscher dann allerdings die Lichtpunkte etwa solchermaßen, dass jeweils Elemente beider Läufer (rote und grüne Lichtpunkte) in beiden Auge zu sehen waren, so wurde der Effekt minimal, wie sie berichten - Rivalität zwischen beiden Augen wurde kaum beobachtet.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Waren die Bilder der beiden sich bewegenden Menschen einmal vom Gehirn identifiziert worden, so prägten die "Erwartungen" des Gehirns im Folgenden die visuelle Wahrnehmung.

Mit anderen Worten: Erst durch die Erwartung kommt es nach Ansicht der Forscher dazu, dass Informationen des eingen Auges dominieren, während Signale des anderen - zumindest für kurze Zeit - völlig unterdrückt werden.
->   School of Psychology der University of Sydney
->   Alles zum Stichwort Wahrnehmung in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010