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Wie man Netzwerke vor Katastrophen schützt  
  Netzwerke, wie das Stromnetz oder das Internet, sind empfindliche Gebilde. Sie bestehen aus Knoten - beispielsweise Servern oder Kraftwerken -, die wiederum mit anderen verbunden sind. Wenn stark vernetzte Knoten abrupt vom Netz getrennt werden, können sich Ausfälle wellenartig ausbreiten und zum totalen Zusammenbruch des Systems führen. Ein deutscher Forscher hat jetzt mit einem Computermodell gezeigt, wie man solche Kettenreaktionen verhindert.  
Wie Adilson Motter vom Dresdner Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme zeigt, müsste man dazu unmittelbar nach einem Ausfall periphere Knoten im Netz abschalten. Das ähnelt einer Strategie, die Feuerwehrleute schon lange anwenden: Sie bekämpfen nämlich Waldbrände mit kontrollierten Gegenfeuern.
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Die Studie "Cascade control and defense in complex networks" von A.E. Motter erschien im Fachjournal "Physical Review Letters" (Band 93, 098701 ; doi: 10.1103/PhysRevLett.93.098701).
->   Zum Preprint des Originalartikels (arXiv.org)
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Eine Welt aus Linien und Knoten
 
Bild: Center for Polymer Studies, Boston University

Für Netzwerktheoretiker besteht die Welt aus Linien und Knoten. Linien sind kausale oder materielle Verbindungen zwischen den als Knoten dargestellten Netzwerkelementen.

Was genau ein Knoten repräsentiert, kann äußerst unterschiedlich sein: Dabei kann es sich um die Flughäfen dieser Erde, um Moleküle im menschlichen Zellstoffwechsel oder irgendetwas anderes handeln, wie etwa obige Abbildung des Center for Polymer Studies der Boston University andeutet.

Entscheidend dabei ist, dass man in der Netzwerktheorie nach allgemeinen Regeln und Gemeinsamkeiten zwischen Netzen völlig unterschiedlicher Natur sucht. Die Sprache dieser relativ jungen Forschungsdisziplin ist natürlich die Mathematik.
->   Allgemeines zu Komplexen Netzwerken (Boston University)
Beispiel Stromausfall in USA
In Stromnetzen oder Computernetzwerken kann ein Zusammenbruch durch den Ausfall eines oder einiger weniger Knoten ausgelöst werden.

Denn obwohl diese einzelnen Ausfälle kaum Auswirkungen auf die Verbindungen im Netz haben, können sie eine Kettenreaktion weiterer Ausfälle auslösen, die schließlich zum Kollaps des gesamten oder zumindest von großen Teilen des Netzes führen können.

Beispiele dafür sind etwa der Zusammenbruch des Stromnetzes im Nordosten der USA am 14. August 2003 sowie jene, die sich kurze Zeit später in verschiedenen westeuropäischen Ländern ereignet haben.
->   Stromausfall legte Teile der USA lahm (ORF.at)
Wie man Kettenreaktionen unterbricht
Adilson E. Motter, Gastwissenschaftler am Dresdner Max-Planck-Institut, der sich seit Jahren mit der Struktur und Dynamik komplexer Netzwerke beschäftigt, zeigt nun mit einem Modell, dass man die - durch Angriffe auf zentrale Knoten ausgelöste - kettenreaktionsartige Ausbreitung eines Ausfalls wirkungsvoll unterdrücken könnte.

Und zwar dann, wenn man unmittelbar nach den ersten Angriffen oder Ausfällen ausgewählte Knoten in diesem Netzwerk abschaltet.
->   Themensammlung komplexe Netzwerke (Univ. of Notre Dame)
Ausfall peripherer Knoten hat geringe Wirkung
In diesen Netzwerken sind einzelne Knoten stärker belastet als andere. Bisherige Studien hatten bereits gezeigt, dass sich der Ausfall von zentralen Knoten - wie der "backbone router" im Internet - kaskadenartig ausbreitet und in einer Kettenreaktion immer mehr Ausfälle erzeugen kann.

Hingegen hat der Ausfall peripherer Knoten wenig Folgen. Motter zeigt jetzt, dass die gezielte Abschaltung peripherer Knoten nach dem ersten Ausfall, also noch vor der Ausbreitung der Kettenreaktion, der Schlüssel sein könnte, um das Ausmaß der Katastrophe zu beschränken.
Methode ähnelt Waldbrandbekämpfung
Seine Methode der so genannten "Kaskaden-Kontrolle" beruht auf der Beobachtung, dass periphere Knoten wesentlich zur Gesamtlast beitragen und ihre Abschaltung deshalb die Gefahr einer gefährlichen Überlast für das Gesamtnetz verringern kann.

Umgekehrt kann das selektive Unterbrechen der Verbindungen zwischen den Knoten die Ausbreitung der Kaskade einschränken. Die Methode ähnelt damit dem Vorgehen bei Waldbränden, diese durch das Legen von Gegenfeuern und das Schlagen von Schneisen unter Kontrolle zu bringen.
Mögliche Anwendung bei Hacker-Angriffen
Die neuen Forschungsergebnisse könnten potenziell geeignet sein, das Ausmaß kaskadenartiger Ausfälle, wie sie zum Beispiel durch Hacker im Internet oder Terroristen in Stromnetzen verursacht werden könnten, zu begrenzen.
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Literaturhinweis
Einen Überblick zu dieser Forschungsdisziplin gibt der US-amerikanische Mathematiker und Netzwerk-Pionier Steven H. Strogatz in seinem Aufsatz "Exploring complex networks", erschienen in "Nature" (Band 410, S.268-76, Ausgabe vom 8. März 2001; doi:10.1038/35065725).
->   Zum Originalartikel in Nature
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Mehr zu diesem Thema in sience.ORF.at
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01.01.2010