News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Kosmos 
 
Gibt es einen kosmischen Plan?  
  Naturgesetze gelten ewig und ohne Ausnahme, das gilt insbesondere für die Welt der Physik. Bleibt da noch Platz für den Zufall? Mehr als genug, meint der Wiener Physiker Walter Thirring. Seine These: Ganz entscheidende Zutaten der Elementarteilchen könnten auch ganz anders beschaffen sein - sie erscheinen im gegenwärtigen Bild der Physik willkürlich, mithin zufällig.  
Das hat weitreichende Konsequenzen für das Konzept der kosmischen Evolution: Wie Thirring in seinem aktuellen Buch ausführt, war die Entwicklung vom Urknall bis zur Entstehung lebensfreundlicher Bedingungen auf der Erde von einer derart großen Zahl von Zufällen begleitet, dass man beinahe misstrauisch werden könnte.
...
"Kosmische Impressionen. Gottes Spuren in den Naturgesetzen" von Walter Thirring erschien beim Molden Verlag, Wien 2004.
->   Mehr zu diesem Buch (Uni Wien)
...
Ganz grundsätzlich gefragt
Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Gute Frage. Knapp dreihundert Jahre nachdem Leibniz dieses klassische Problem formuliert hat, gibt es darauf noch immer keine endgültige Antwort, und das wird vermutlich auch so bleiben.

Allerdings: Die Physik hat seitdem gewaltige Fortschritte gemacht. Mit ihrer Hilfe kann man heute zumindest angeben, in welchem Rahmen solche Fragen überhaupt sinnvoll zu stellen sind.
Das Universum hatte einen Anfang
Übereinstimmung gibt es heute unter den Physikern etwa darüber, dass das Universum nicht - wie noch in der Steady-State-Theorie angenommen - seit unendlich langer Zeit existiert, sondern dass es vielmehr einmal einen definitiven Startschuss, den Urknall, gegeben hat.

Wann genau es "urgeknallt" hat, ist nach wie vor Gegenstand von Diskussionen, der Wert dürfte aber im Bereich von 12 bis 15 Milliarden Jahren liegen.
Argumente für die Urknall-Hypothese
Für die Urknall-Hypothese sprechen vor allem zwei Dinge: Erstens expandiert das Universum ganz offensichtlich, wie an der so genannten Rotverschiebung weit entfernter Sterne zu beobachten ist, es muss also irgendwann einmal sehr viel kleiner, vermutlich sogar punktförmig gewesen ein.

Zum zweiten hat man im Jahr 1965 eine das gesamte Universum ausfüllende Mikrowellenstrahlung entdeckt, die einer Temperatur von rund 2,7 Kelvin entspricht.

Die Existenz solch einer energiearmen aber omnipräsenten Strahlung wurde bereits 16 Jahre zuvor vom russisch-amerikanischen Physiker George Gamov vorhergesagt: Seinem Konzept zufolge sollte das gewissermaßen ein kümmerlicher Nachhall des Urknalls sein - und genau das ist auch die heute verbreitete Ansicht.
->   Mehr dazu bei Wikipedia
Schlüsselrolle für das Standardmodell
Eine Schlüsselrolle bei der Beschreibung der weiteren Entwicklung - vom so genannten Quarkzeitalter bis hin zur Bildung der Elemente - spielt das so genannte Standardmodell der Elementarteilchen.

Diese Theorie beschreibt die Wechselwirkungen zwischen den Grundbausteinen der Materie, und zwar so allgemein, dass damit drei der vier Grundkräfte der Natur erfasst werden.

Die Physiker schätzen die Theorie aus zwei Gründen: Sie hat einen äußerst weitreichenden Aussagebereich und wurde zudem exzellent durch Versuche bestätigt.
->   Mehr zum Standardmodell (Uni Erlangen)
Wo das Modell stumm bleibt
Wie Walter Thirring in seinem Buch "Kosmische Impressionen" zeigt, hat das Standardmodell aber einen entscheidenden Nachteil: Es verschweigt, warum die Massen der Elementarteilchen gerade so sind, wie sie sind.

Und das ist beileibe keine theoretische Haarspalterei, denn von den Massen der jeweiligen Elementarteilchen hängt das Schicksal des gesamten Kosmos ab.
...
Veranstaltungshinweis
Walter Thirring hält am 27. September (19.00 Uhr) in den "Hofstallungen" des Museums Moderner Kunst (Museumsquartier, Wien) den Eröffnungsvortrag der Veranstaltungsreihe "Einstein rechnet", die von "math space" veranstaltet wird.
->   math space
...
Mögliche Sackgassen
Ein Beispiel aus Thirrings Buch: Wären etwa die Masseverhältnisse der zwei leichtesten Quarks nur geringfügig verschoben, bliebe die kosmische Entwicklung in einer Sackgasse stecken, denn dann wäre die Bildung von schwereren Elementen als Wasserstoff oder Helium unmöglich.
Kosmischer Drahtseilakt
Auch auf anderem Niveau scheinen die Gegebenheiten in unserem Universum gerade so abgestimmt zu sein, dass (für den Menschen) "uninteressante" Pfade vermieden wurden.

Die Expansionsgeschwindigkeit des Universums war bzw. ist beispielsweise so dimensioniert, dass es weder kurz nach dem Urknall wieder in sich zusammenstürzte, noch sich zu einem Raum aufblähte, in dem die Materie im Zustand trostloser Verdünnung verharrt.

Analoges gilt für das "Ausbrüten" der schweren Elemente in Sternen, deren Verbreitung durch Supernovae etc. - all das wäre unmöglich, wenn die Naturkräfte nicht genau jene zufälligen Werte annehmen würden, die sie eben haben.
Zufall oder Notwendigkeit?
"Es drängt sich jetzt die Frage auf, ob diese vielen gütigen Fügungen aus unserer Wissenskiste mit der Aufschrift Zufall oder jener mit der Aufschrift Notwendigkeit entsprungen sind", fragt Thirring in seinem Buch - und hält mit der Antwort nicht hinterm Berg:

Der Zufall spielt bei der Entwicklung von Elementen, Planetensystemen und nicht zuletzt des Lebens eine gewichtige, wenn nicht entscheidende Rolle.
Doch die beste aller Welten?
Und hier trifft man doch wieder Leibniz: Angesichts der Fülle der kosmischen Unwägbarkeiten könnte man meinen, dass wir tatsächlich in der "besten aller Welten" leben, denn alle anderen wären - aus unserer Sicht - ziemlich öde und unbelebt.

Die daraus resultierende Verwunderung über die eigene Existenz ist unter Physikern (von Fred Hoyle bis Stephen Hawking) durchaus verbreitet und hat auch einen offiziellen Namen: Sie wurde 1961 von dem amerikanischen Physiker Robert H. Dicke "anthropisches Prinzip" getauft.

Neben den üblichen, verschieden "starken" Deutungsmöglichkeiten dieses Prinzips verweist Thirring im Gespräch mit science.ORF.at noch auf eine Vorstellung, die sein Fachkollege Lee Smolin vom Perimeter Institute in Waterloo, Kanada, entwickelt hat.
Theorie: Kosmischer Darwinismus
Smolin versucht die extrem unwahrscheinliche Existenz des Menschen durch den Hinweis zu erklären, dass der Kollaps der Materie in Schwarzen Löcher zur Geburt eines neuen Universums führen könnte.

Diesem Konzept zufolge gäbe es also kein Universum, sondern vielmehr ein "Multiversum" nebeneinander existierender Welten, die allerdings nicht miteinander in Kontakt treten können.

Entscheidender Punkt dabei: Die teils so willkürlich erscheinenden Eigenschaften der Elementarteilchen könnten in diesen Gegenwelten durchaus andere Werte annehmen, Ergebnis wäre ein ständiges Werden und Vergehen von Universen, bei dem letztlich die stabilen Versionen überhand nehmen. Ein, wenn man so will, quasi-Darwinistischer Prozess.

Das sei, wie Thirring betont, zwar interessant, aber freilich reine Spekulation. Denn die Theorie, die (eventuell) solche Weltentstehungen beschreiben könnte, ist die so genannte Quantengravitation - und die steckt zur Zeit noch in den Kinderschuhen.

Robert Czepel, science.ORF.at
...
Literaturhinweis
Die Theorie vom "kosmischen Darwinismus" hat Lee Smolin in seinem Buch "Warum gibt es die Welt?" dargestellt, erschienen bei C.H. Beck, München1999.
->   Das Buch bei C.H. Beck
...
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Offene Fragen zur Expansion des Kosmos (23.8.04)
->   Was geschah vor dem Urknall? (18.3.04)
->   Das Stichwort Urknall im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Kosmos 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010