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Wissenschaft in Bildern: Schränkt "Powerpoint" das Denken ein?  
  Powerpoint ist aus dem universitären Alltag nicht mehr wegzudenken. Vorlesungen werden mit der Standardsoftware aus dem Hause Microsoft ebenso gehalten wie studentische Referate. Wissenschaftliche Vorträge landen im ppt-Format ebenso im Netz wie Lehrmaterial zum Eigenstudium. Kritiker wenden jedoch ein, dass das Programm das Denken einschränke - und im schlimmsten Fall sogar die eigentlich relevanten Probleme hinter bunten Bildern verstecke.  
Keine Hexerei
Eine Präsentation ist auch für weniger geübte Computernutzer kein Hexenwerk mehr. Die Gestaltung, für die man sich früher mühsam in ein Grafikprogramm einarbeiten oder besser gleich einen Grafiker beauftragen musste, ist eine Kulturtechnik geworden, die zunehmend schon in den Schulunterricht integriert wird.

"Powerpoint hat das Vortragen demokratisiert", bringt es Claus Noppeney auf den Punkt.
Beamer macht Folien unnötig
Wie in Unternehmen und Organisationen mit Bildern umgegangen wird, ist sein Spezialgebiet sowohl als Unternehmensberater als auch in den Seminaren, die er in Sankt Gallen, Witten-Herdecke und Grenoble hält.

Powerpoint und der digitale Projektor müssen laut Noppeney als Einheit gesehen werden. Durch die Verbreitung der so genannten Beamer ist der früher nötige Zwischenschritt, auf durchsichtigem Material Folien für den Overheadprojektor zu drucken, weggefallen. Geblieben ist der Begriff Folie.
Geburtsstunde 1981
Die Geburtsstunde von Powerpoint war 1981. Whitfield Diffie, der unter Informatikern wegen seiner Arbeiten über Verschlüsselung zur Legende wurde, schrieb im kalifornischen Bell-Northern Lab für sich ein Programm, mit dem er Texte und Bilder arrangierte, um daraus Folien für den Overheadprojektor zu erstellen.

Als sechs Jahre später eine kommerzielle Version 1.0 auf den Markt kam, war Diffie längst nicht mehr dabei. Der Erfolg dieser Version führte jedenfalls rasch dazu, dass die Entwicklerfirma Forethought von Microsoft aufgekauft wurde. Diffie hat nie einen Dollar Tantiemen erhalten.
->   Microsoft-Powerpoint
Frühe Skepsis gegenüber Bildern
"Hat der Prof heute etwas zu sagen oder hat er Charts?", lautete ein geflügeltes Wort unter Studenten, als Noppeney Anfang der Neunzigerjahre selbst noch einer war. Damals sei man Bildern noch mit einer akademischen Portion Skepsis begegnet.

Ein paar Jahre später wurde Noppeney in einem Doktorandenseminar aufgefordert, besonderes Augenmerk auf die Präsentation zu legen, da diese einen wesentlichen Teil der Note ausmache.

Auf einmal musste er sich ernsthaft überlegen, was er wie sagen und in welcher Reihenfolge zeigen, wie er sich anziehen und wann er wohin schauen sollte. Aber darauf kam es ja auch draußen in der Wirtschaft an.
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Vorlesungen im Internet
Von den Präsentationen mit wissenschaftlichem Hintergrund finden dagegen viele ihren Weg ins Internet. Neben Konferenzvorträgen handelt es sich dabei oft um Vorlesungen. Viele Professoren stellen ihren Studenten auf diese Weise Lehrstoff und Arbeitsmaterial zur Verfügung.

Zum Standard ist das Programm auch für studentische Referate geworden. In vielen Studienrichtungen gehört der Auftritt mit Notebook und Powerpoint nicht nur zum guten Ton, sondern wird als elementares Training für die Berufspraxis gesehen.
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Elektronischer Souffleur
Aber auch all jene, die als Forscher Karriere machen wollen, müssen professionell präsentieren können. Viele Laborleiter und Institutschefs delegieren die Erstellung ihrer Präsentationen an wissenschaftlichen Mitarbeiter.

Um eine bereits vorliegende Präsentation zu halten, reichen notfalls schon vage Kenntnisse der Materie. Fällt dem Vortragenden - ob aus Nervosität oder aus Inkompetenz - nichts ein, liest er einfach die Stichworte und Phrasen von den Folien ab und vervollständigt sie dabei zu ganzen Sätzen.
Begnadete "Powerpointer"
Begnadet sind dagegen die Powerpointauftritte des Molekularbiologen Josef Penninger, der seine mit Witz gestalteten Folien am liebsten im Sekundentakt präsentiert.

Als Powerpointfan hat sich auch der MIT-Psychologe und Bestsellerautor Steven Pinker geoutet. Seine Begründung: "Ideen sind multidimensional. Es ist besser, zwei Sinneskanäle anzusprechen als nur einen."
->   Steven Pinkers Vorlesungen im WWW (Harvard Univ.)
Kritik: Denken wird eingeschränkt
Was die wissenschaftlichen Anwender allerdings irritieren sollte, ist das Verdikt von Clifford Nass: "Powerpoint ist sehr effizient, um Inhalte zu transportieren", so der Mediensoziologe, "doch der Prozess geht dabei verloren.

Die Professoren, die mir am stärksten in Erinnerung geblieben sind, haben mich an ihrem Denken teilhaben lassen." Ian Parker, der die Genannten für eine Reportage über Powerpoint im Magazin "New Yorker" interviewt hat, geht noch weiter: "Powerpoint schreibt uns vor, wie wir zu denken haben."
->   New Yorker: Absolute Powerpoint (Ohio State Univ.)
Komplexität unzulässig reduziert?
Einer der Kronzeugen der Anklage gegen Powerpoint ist der Informationswissenschaftler Edward Tufte. In seinem Pamphlet "The Cognitive Style of Powerpoint" wirft der emeritierte Yaleprofessor dem Präsentationsprogramm vor, komplexe Sachverhalte auf simple Punkte zu reduzieren.

Die Informationsdichte der Folien sei zu gering, die Aufbereitung statistischer Daten meist irreführend. Und die Abfolge meist viel zu vieler Folien erlaube, die wirklich relevanten Probleme zu verstecken oder ganz zu übergehen.
->   Forum über Informationsgestaltung von Edward Tufte
Nur ein Werkzeug
Tuftes Kritikpunkte sind genau die, über die auch jene Lehrenden nachdenken sollten, die auf Powerpoint setzen. In seiner Verdammung des Programms gehe Tufte aber zu weit, findet Claus Noppeney. Powerpoint sei nur ein Werkzeug, das man mit oder ohne Sinn einsetzen kann: "Zu einer guten Präsentation gehört viel mehr."

Stefan Löffler, heureka
->   Zusammenfassung der Powerpoint-Kontroverse (Uni Giessen)
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Die Langfassung dieses Textes erscheint am 29.9.04 in der Zeitschrift "heureka", der Wissenschaftsbeilage der Wochenzeitung "Falter". Das aktuelle Heft widmet sich dem Thema universitärer Lehre.
->   heureka
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01.01.2010