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"Militär und Männlichkeit" in der k.u.k. Monarchie  
  Die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht in Österreich im Jahr 1868 war von reichlich Widerstand begleitet. Welche gesellschafts- und geschlechterpolitischen Auswirkungen das "Volksheer" auf das Militär und die Männlichkeiten in der Habsburgermonarchie bis zum Ersten Weltkrieg gehabt hat, hat eine Wiener Historikerin nun im Zuge eines vom FWF geförderten Projekts analysiert.  
Wehrpflicht: Reaktion auf Niederlage in Königgrätz
Warum gab es in Österreich-Ungarn eine Allgemeine Wehrpflicht? Die Antwort ist so einfach wie nahe liegend: Am Anfang stand eine Niederlage.

Nachdem die k.u.k.-Armee am 3. Juli 1866 in der Schlacht bei Königgrätz von den Preußen vernichtend geschlagen worden war, legte der Kriegsminister Franz Freiherr von John bereits wenige Monate später den ersten Entwurf für ein ganz neues Wehrgesetz vor, das auch die Allgemeine Wehrpflicht vorsah.
Bis zum Ersten Weltkrieg nicht umfassend realisiert
Die Einführung des "Volksheeres" geschah aber nicht ohne Probleme. Im Gegenteil konnte die Allgemeine Wehrpflicht in Österreich-Ungarn bis zum Ersten Weltkrieg nicht umfassend realisiert werden und das Militär blieb für viele Zeitgenossen noch lange eine bloße Disziplinieranstalt.

Um die Jahrhundertwende gab es sogar unter den Offizieren kritische Stimmen, die für die erneute Abschaffung der Wehrpflicht und den Übergang zu einer Berufsarmee plädierten.
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FWF-Projekt zu Männlichkeitskonstruktionen der Soldaten
Die Hintergründe dafür analysierte die Wiener Historikerin Christa Ehrmann-Hämmerle im Zuge ihres vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekts zu "Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie". Die Wissenschaftlerin vom Wiener Institut für Geschichte hat sich in den letzen Jahren intensiv mit den komplexen Bedeutungen und den damaligen gesellschafts- und geschlechterpolitischen Auswirkungen der Allgemeinen Wehrpflicht auseinandergesetzt.

Darauf aufbauend hat sie die Relevanz von hegemonialen Geschlechterkonstruktionen des 19. Jahrhunderts für das Selbstbild der wehrpflichtigen Mannschaftssoldaten in- und außerhalb der Institution des Militärs hinterfragt.
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
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Wehrpflicht nicht parallel zur Nationalstaatgründung
Eine der ersten wichtigen Erkenntnisse von Ehrmann-Hämmerle: "Die Um- und Durchsetzung der Allgemeinen Wehrpflicht war in Österreich-Ungarn von vielen Hindernissen und Konflikten begleitet, die nicht auf nationalistische Spannungen reduziert werden können", erklärt Ehrmann-Hämmerle.

"Anders als in den meisten jener europäischen Staaten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu dieser Rekrutierungsform übergingen, wurde die Allgemeine Wehrpflicht in der Habsburgermonarchie nicht parallel zur Gründung eines Nationalstaates eingeführt."
K.u.k. Heer: Eine Schule für "Volk" und Kaiser
Auch die Ausgangsthese der Historikerin wurde bestätigt: Die Multinationalität des k.u.k. Heeres brachte andere oder jedenfalls stark modifizierte Themen und Ideologien zur Plausibilisierung und Legitimierung der Wehrpflicht hervor als sonst wo in Europa.

"Im damaligen Österreich blieb die Rückbindung des als 'Schule des Volkes' - nicht der 'Nation' - stilisierten Militärdienstes an die Dynastie und die Leitfigur des Monarchen bis zum Ersten Weltkrieg vorherrschend", so Ehrmann-Hämmerle. "Das Militär wurde aber auch hier zur 'Schule der Männlichkeit' stilisiert."
Modernes Volksheer erst nach dem Ersten Weltkrieg
"Dass sich betroffene Männer, ihre Familien, Frauen und mitunter sogar Gemeindevertretungen solchen Normierungen dennoch auch zu entziehen suchten, ist ein weiteres Thema des Projekts", so die Historikerin, die unter anderem viele autobiografische Aufzeichnungen von ehemaligen Mannschaftssoldaten aufgearbeitet hat. "Deshalb habe ich auch Widerstände gegen das Militär und den Wehrdienst untersucht."

Erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs fanden das "Volksheer" und der damit verknüpfte "moderne Militarismus" zusehends allgemeine Akzeptanz und Durchsetzung. Die Ergebnisse ihrer Forschungen wird die Wissenschaftlerin in den nächsten Monaten in Buchform zusammenfassen.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Institut für Geschichte, Uni Wien
->   Universum Magazin
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Tagung: Österreichische Kriegsfotografie 1914-1918 (14.5.04)
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->   Habsburger: Ein unrühmliches Herrschergeschlecht? (21.2.02)
 
 
 
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01.01.2010