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Multiple Sklerose: Neue Therapien bei Wien-Tagung  
  Rund 2,5 Millionen Menschen leiden weltweit an Multipler Sklerose (MS), in Österreich sind es etwa 8.000. Bei einem MS-Kongress in Wien werden die neuesten Therapien vorgestellt.  
Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich verbessert, erklärten Fachleute am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien.
Keine Erbkrankheit
Was vielen Menschen nicht bekannt ist: Die MS ist nicht erblich, sie ist nicht ansteckend und wird auch nicht - wie in der Vergangenheit fälschlicherweise behauptet - durch Impfungen hervorgerufen.

Die MS ist weiters weder eine Erkrankung mit Muskelschwund noch eine "Geisteskrankheit". Sie verläuft darüber hinaus nur in wenigen Fällen tödlich und muss nicht zwangsläufig zu einem Leben im Rollstuhl führen.
Häufigste neurologische Erkrankung
Karl Vass, der österreichische Organisator des Kongresses mit etwa 3.500 Teilnehmern: "Die Multiple Sklerose ist die häufigste neurologische Erkrankung bei jungen Erwachsenen. Wir können sie derzeit nicht heilen, aber wir können mit unseren jetzigen therapeutischen Möglichkeiten den Patienten sehr gut helfen."
Entzündungen im Gehirn
"Die MS ist eine extrem komplexe Erkrankung. Sie ist ein entzündliches Leiden des Nervensystems. Man nimmt an, dass die normalen Entzündungszellen das Gehirn als fremd erkennen und abzustoßen beginnen. Es kommt im Gehirn zu einer chronischen Entzündungsreaktion. Das führt zu einer Zerstörung der Isolierschichten der Nervenzellen", sagte Hans Lassmann, Vorstand des Instituts für Hirnforschung in Wien und seit Jahren Pionier der MS-Forschung.
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Genaue Ursache unbekannt: Ein Virus, die Gene?
Eine von vielen Hypothesen zur Entstehung der Krankheit: Eine nicht schon im frühen Kindesalter, sondern erst später durchgemachte Infektion mit Epstein-Barr-Virus könnte nach zehn und mehr Jahren in eine Immunreaktion gegen das eigene Gehirngewebe umschlagen.

Dahinter dürfte auch ein gewisser genetischer Hintergrund stecken. Eineiige Zwillinge haben - wenn einer von ihnen erkrankt - das 300- bis 600-fache Erkrankungsrisiko gegenüber anderen Menschen.
->   MS: Doch keine Autoimmunkrankheit? (25.2.04)
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Zwei Krankheitsphasen, zwei Therapien
Lassmann hat in den vergangenen Jahren mit seinem Team versucht, Untergruppen und einzelne Phasen der Erkrankung objektiv zu unterscheiden: "Sie haben zwei Phasen. Eine Phase ist die schubförmig remittierende (akute Schübe und ruhige Phasen mit Besserung, Anm.). Hier steht die Entzündung im Vordergrund und hier helfen auch die Entzündungs-hemmenden Therapien. Es gibt aber eine Spätphase mit einem ständigen schleichenden Fortschreiten."
Neue Strategien in der Bekämpfung
In Zukunft dürften diese Erkenntnisse zu differenzierteren Behandlungsstrategien führen. Es scheint so zu sein, dass eine möglichst optimale Beherrschung der entzündlichen Prozesse am Beginn der Erkrankung auch den weiteren Verlauf positiv beeinflusst. Das spricht laut dem Hirnforscher eher für eine möglichst frühe anti-entzündliche Behandlung.

Der Experte: "Experimentell wird aber auch bereits versucht, die Schädigung des Gewebes im Gehirn zu verhindern." Bis zur breiten Anwendung solcher Strategien könnte es aber noch Jahre dauern.
Immuntherapien
Derzeit stützt sich die moderne MS-Therapie vor allem auf der Entzündungs-hemmenden Wirkung von Beta-Interferonen bzw. der Substanz Glatirameracetat.

Hans-Peter Hartung von der Universität Düsseldorf: "Wenn diese Mittel ausgeschöpft sind, gibt es die Substanz Mitoxantron, mit der man eventuell auch dann noch die 'Notbremse' ziehen kann." Es handelt sich dabei um ein Immunsuppressivum, das ehemals für die Krebstherapie entwickelt wurde.
Kombination verschiedener Therapeutika
Bei dem Kongress werden auch Studien mit erhöhten Dosierungen von Beta-Interferon vorgestellt. Das soll eine bessere Wirkung bringen. Weiters gibt es klinische Studien über die Kombination der verschiedenen Therapeutika. Hinzu kommen Immunsuppressiva sowie auch Versuche, durch Impfungen die Autoimmunreaktion bei der MS zu dämpfen.
Wirkstoff, der für Morbus Crohn entwickelt wurde
Hartung: "Wahrscheinlich im November werden die Daten aus einer groß angelegten Studie mit dem monoklonalen Antikörper Natalizumab (in einer Vergleichsstudie zu Beta-Interferon, Anm.) bekannt werden. Die Ergebnisse scheinen so positiv zu sein, dass die US-Zulassungsbehörde (FDA, Anm.) ein beschleunigtes Zulassungsverfahren in Gang gebracht hat."

Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der ein Adhäsionsmolekül für die aggressiven Immunzellen blockiert, die im Rahmen der chronisch entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems in Gehirn einwandern. Natalizumab wurde ursprünglich für die Behandlung von Morbus Crohn (chronisch-entzündliche Darmerkrankung, Anm.) entwickelt.
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Innsbrucker forschen an MS-Frühdiagnose
In den vergangenen Jahren hat ein Innsbrucker Forscherteam mit einem Test auf so genannte MOG-Antikörper Furore gemacht. Damit kann zumindest bei manchen Patienten mit erstem MS-Verdacht ziemlich gut vorhersagen, ob sich die Krankheit in stärkerem Ausmaß entwickeln wird. Das könnte zu einer früheren und auf den Bedarf besser abgestimmten Therapie führen. Bei einzelnen Patienten kann auch die Beseitigung aggressiver Antikörper aus dem Blut (Plasmapherese) die Autoimmunreaktion gegen das eigene Gehirn bremsen.
->   Mehr dazu in science.ORF.at (8.6.04)
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Möglichkeiten der Rehabilitation
Bei dem Kongress gibt es aber auch zahlreiche Veranstaltungen zum Thema der Rehabilitation von MS-Patienten.

Claude Vaney, medizinischer Direktor eines derartigen Spezialzentrums in Montana in der Schweiz: "Es existieren zahlreiche Studien, die zeigen, dass eine regelmäßige Physiotherapie das Fortschreiten der Erkrankung bremst." Insgesamt kommt es auf eine möglichst optimale Rundum-Behandlung der Patienten an.
->   MS-Kongress in Wien
Mehr zu Multipler Sklerose in science.ORF.at:
->   Schlüsselmolekül für Autoimmunerkrankungen
->   Autoimmunerkrankung: Entgleisung des Immunsystems (26.4.02)
 
 
 
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01.01.2010