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Nachrufe auf Jacques Derrida - Gemischte Reaktionen  
  Am Wochenende ist der französische Philosoph Jacques Derrida an einem Krebsleiden gestorben. Die Nachrufe in den Feuilletons fallen unterschiedlich aus - und reichen von Würdigungen seiner Methode der Dekonstruktion von Texten bis zu unverhohlener Häme. Die Londoner "Times" fragt gar: "Ist Derrida tot?"  
Würdigungen von Habermas und Honneth
Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, lange Jahre skeptisch gegenüber seinem französischen Kollegen, würdigt Derrida in der "Frankfurter Rundschau""als einen Autor, der jeden Text solange gegen den Strich liest, bis er einen subversiven Sinn preisgibt." Unter seinem unnachgiebigem Blick sei "jeder Zusammenhang in Fragmente" zerfallen.

Der Sozialphilosoph Axel Honneth geht dem Verhältnis der jüngeren Kritische Theorie zum Dekonstruktivismus Derridas nach - und vergleicht es unter dem Titel "Der konkrete Andere" mit der Beziehung von Theodor W. Adorno zu Walter Benjamin.
Fata Morgana der Metaphysik
Henning Ritter beschreibt das Werk Derridas in seiner Ausstrahlung auf Philosophie und Literaturwissenschaft als "eine Fata Morgana der Metaphysik nach dem Ende der Metaphysik." Die Kardinaltugend des Philosophen sei die Höflichkeit gewesen, "bei ihm die Tugend der Philosophie", schreibt Ritter in der "FAZ"

In der "Neuen Züricher Zeitung" erfährt man, dass Derrida den Begriff "Dekonstruktion" "niemals gemocht" hat. Anders als Jean-Paul Sartre, so schreibt Uwe Justus Wenzel, hatte Derrida kein "Programm".
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Ö1-Dimensionen: Im memoriam Jacques Derrida
Die Ö1-Dimensionen ändern aus gegebenem Anlass ihr Programm und bringen am 11. Oktober 2004, 19.05 Uhr, "Randgänge der Philosophie - Ein Porträt des Philosophen Jacques Derrida".
->   Ö1
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Ignoranz und Dogmatismus?
"Mehr als die anderen Autoren seiner Generation, deutlicher als Foucault, Deleuze oder Lyotard, hat Jacques Derrida seine Leser auf den Tod vorbereitet", schreibt Rene Aguigah in der "tageszeitung".

Jetzt, da Derrida tatsächlich verschwunden ist, "haben nicht nur die Menschen in seiner Umgebung, sondern auch Leser in der ganzen Welt das schiere Faktum seines Todes zu begreifen", so Aguigah.

Kritischer ein weiterer Beitrag der Zeitung unter dem Titel "Das Orakel als Star". Es sei merkwürdig, dass heute "die Offenheit eines Denkens gelobt wird, das im Seminaralltag zu einer Atmosphäre führte, die an Erzählungen über die Siebzigerjahre erinnern ließ: Ohne die Politik, aber mit genauso viel Ignoranz und Dogmatismus".
Zwischen abstrus und radikal skeptisch
Die "New York Times" (Gratis-Registrierung nötig) widmet Derrida mehrere Beiträge. Jonathan Kandall bezeichnet ihn als "abstrusen Theoretiker", Dekonstruktion verhalte sich wie Strukturalismus und Existenzialismus - "zwei weitere modische und schlüpfrige Philosophien". Was darunter genau zu verstehen ist, da seien Derrida bloß "dunkle Erklärungen" eingefallen.

Daniel Wakin nennt den Philosophen ebenfalls in der "NY Times" freundlicher einen radikal skeptischen Denker, für den die Dinge nie das aussagen, was sie sind.
Ist Derrida tot?
Derek Attridge and Thomas Baldwin geben im britischen "Guardian" einen umfangreichen Überblick über Biografie und Werk des Philosophen - inklusive einer Reihe von schwierigen Momenten.

Ein nicht gezeichneter - Nachruf ist in der britischen "Times" erschienen. Die Methode der Dekonstruktion wird dabei - unter Verweis auf den Physiker Alan Sokal, der vor Jahren versuchte, den unwissenschaftlichen Charakter postmoderner Texte zu entlarven - auf die Todesnachricht selbst angewendet. Ist Derrida wirklich tot?, wird da gefragt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Weitere Nachrufe:
->   Le Monde: "Je suis en guerre contre moi-même"
->   Auszug in Lettre International
->   "Presse"
->   "Standard"
 
 
 
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01.01.2010