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Ringvorlesung "Alter(n) - Aufbruch in die Zukunft"  
  Die Altersstruktur der Bevölkerung zeigt eine völlige Umkehrung der traditionellen Verhältnisse: Die Kindersterblichkeit ist in den vergangenen 100 Jahren dramatisch gesunken, immer mehr Menschen werden in unseren Breitengraden immer älter. Eine Ringvorlesung an der Uni Wien unternimmt den Versuch, in großem Rahmen auf diese Entwicklungen aufmerksam zu machen, die unsere ganze Gesellschaft betreffen. Der Soziologe Anton Amann stellt sie vorab in einem Gastbeitrag vor.  
Umkehrung der Verhältnisse in 130 Jahren
Von Anton Amann

Um 1870 starben in Österreich von 100 Geborenen 42 in den ersten vier Lebensjahren; bei mehr als der Hälfte der Todesfälle waren die Betroffenen unter 25 Jahre alt. Der Tod eines alten Menschen war ein seltenes Ereignis: in acht Prozent der Fälle waren die Verstorbenen über 75 Jahre alt, in 1,5 Prozent über 85 Jahre.

Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt: auf die unter 25 jährigen entfallen weniger als zwei Prozent der Todesfälle, rund 60 Prozent auf die über 75jährigen und 30 Prozent auf die über 85jährigen.

Die "Eckpunkte" dieses demographischen Wandels sind der Rückgang der Kinder und Jugendlichen auf eine historisch sehr niedrige Quote, die Zunahme der Älteren (60+) auf über ein Drittel der Bevölkerung, die Alterung der Erwerbsbevölkerung und die überproportional hohe Zuwachsrate bei den Hochaltrigen (85+).
Betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche
Dieser Alternsprozess, der in den entwickelteren Ländern und unter anderen Bedingungen auch in den weniger entwickelten Ländern abläuft, lässt keinen gesellschaftlichen Bereich unberührt und er ist unumkehrbar.

Der Altersstrukturwandel wirkt sich im wirtschaftlichen, im sozialpolitischen, im allgemeinen Wohlfahrtsbereich, auf den Arbeitsmärkten, in der Familie und in den Versorgungssystemen aus.

Wachstum, Sparen, Investition und Konsum, Arbeit und Pensionen, Steuern, Transfers, Vermögen, Gesundheitswesen, Haushalts- und Familienkonstellationen, Lebensführung und Altersbilder werden erfasst.
Es gilt, das "Altwerden" zu verstehen
Um die Zukunft dieser Entwicklung meistern zu können, ist es vor allem nötig, das Altwerden zu verstehen. Das gilt für den Lebensverlauf mit einer enorm ausgedehnten Altersphase ebenso wie für die Wirkungen, die der demografische Alterungsprozess auf die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche hat.

Dabei sind das Pensionssystem und die Pflegevorsorge beileibe nicht die einzigen Bereiche, in mancher Hinsicht sind sie nicht einmal die absolut wichtigsten.

Natürlich sind eine angemessene Existenzsicherung und die Hilfe im Bedarfsfall die wesentlichen Grundlagen, doch ohne entsprechendes Bewusstsein über das eigene Älterwerden, ohne die Fähigkeit, Veränderungen im Leben produktiv zu nützen und sogar neue Wege der Lebensgestaltung zu finden, helfen sie wenig, dem Alter einen Sinn zu geben.
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Ringvorlesung: "Alter(n): Aufbruch in die Zukunft"
Um die Vielschichtigkeit der demographischen Veränderungen zu thematisieren, hat das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) gemeinsam mit der sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien die öffentliche Ringvorlesung "Alter(n): Aufbruch in die Zukunft" ins Leben gerufen. Beginn ist am 15. Oktober 2004.
->   Das Programm der Ringvorlesung (Rotes Kreuz)
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Themen: Krankheit, Kosten, Geschlechterdifferenz ...
In dieser Vorlesungsreihe werden von Experten und Expertinnen des Themas aus Deutschland und Österreich solche Themen analysiert.

Einen Rahmen geben die Fragen nach Krankheit, Pflege, Prävention, Verlusten und ihrer Bewältigung sowie der Kosten ab, einen weiteren die Fragen nach den Unterschieden zwischen den Geschlechtern und zwischen Stadt und Land, einen dritten schließlich die Fragen nach Alltagskultur, Wohnen und Freizeit im Alter, nach Freiwilligenarbeit, Selbsthilfe und Bildung sowie der Ethik des Alters.
Neue Gestaltungsmöglichkeiten - auch im Nachdenken
Eine so weite Perspektive macht klar, dass es für die Zukunft der alternden Gesellschaften gilt, weit über die demografischen Veränderungen hinaus, soziale, kulturelle und politische Bedingungen systematisch mit zu betrachten.

Dabei sind die Tiefenstrukturen der Gesellschaften mit alternden Bevölkerungen aufgrund der kurzen Geschichte dieses Wandels (weniger als 80 Jahre) noch gar nicht völlig entwickelt und entschieden. Es tasten sich denn auch die Begriffe und Vorstellungen oft erst zögernd heran; daher gibt es ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten - auch im Nachdenken.
Grenzen des Traditionellen überspringen
Die politische Gestaltung sozialer Verhältnisse ist in Kompetenzen zersplittert und hängt noch häufig an traditionellen Vorstellungen über die Beziehungen zwischen Staat und Bürger, zwischen Jung und Alt, zwischen Frauen und Männern.

Je mehr es gelingen wird, diese Grenzen zu überspringen, desto erfolgreicher wird an der gesellschaftlichen Integration gearbeitet werden können.

In einer alternden Gesellschaft müssen alle wichtigen Lebensbereiche - von der materiellen Sicherheit bis zur Gesundheit und von den Generationenverhältnissen bis zur kulturellen Teilhabe - unter neuen Perspektiven gesehen werden.
Informations- und Erziehungsauftrag der Medien
Der Informations- und Erziehungsauftrag der Medien ist unter Bedingungen einer Gesellschaft konzipiert worden, in welcher der "Alterungsprozess" noch nicht zur Wirklichkeitsdefinition dieser Gesellschaft gehörte.

Für eine quantitativ und qualitativ geänderte öffentliche Berichterstattung, Interpretation und Gestaltung, die Alter(n)sthemen betreffen, müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Auch solche Fragen wird es zu diskutieren geben.
Integrative Sichtweise über alle Generationen
Ein übergreifender Gedanke leitet die Überlegungen: Eine alternde Gesellschaft, die ihre neuen Perspektiven versucht, allein im Hinblick auf die Älteren zu finden, wird erfolglos sein. Eine ganzheitliche und integrative Sichtweise - über alle Generationen - ist erst in der Lage, die Gesellschaft und ihre Entwicklung in der ganzen Fülle zu sehen, die diese bietet.
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Über den Autor
Anton Amann ist Professor für Soziologie und Sozialgerontologie am Institut für Soziologie der Universität Wien. Seit 25 Jahren erforscht der Autor die Fragen des Alters und der Sozialpolitik.
->   Buch-Info zu Anton Amann (Böhlau Verlag)
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01.01.2010