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Computermodell zeigt, wie sich Epidemien ausbreiten  
  Die weltweite Ausbreitung der Lungenerkrankung SARS hat gezeigt, über welch tödliches Potenzial moderne Infektionskrankheiten in einer global vernetzten Welt verfügen. Deutsche Wissenschaftler haben nun ein Modell vorgestellt, mit dem man die weltweite Verbreitung von Epidemien beschreiben und vorhersagen kann.  
Tragendes Element des Computermodells ist ein Netzwerk, das den weltweiten zivilen Luftverkehr nachbildet - Viren und andere Erreger breiten sich nämlich global primär durch den Flugreiseverkehr aus. Die Simulationen zeigen auch, auf welche Weise man diese Ausbreitung effektiv eindämmen könnte.
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Die Studie "Forecast and control of epidemics in a globalized world" von L. Hufnagel, D. Brockmann und T. Geisel erscheint im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences"(Band 101, S.15124-9, Ausgabe vom 19.10.04).
->   PNAS
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Beispiel SARS und Vogelgrippe
Die globale Ausbreitung von SARS im Frühjahr 2003 hat gezeigt, wie stark unsere vernetzte Welt durch die Ausbreitung neuartiger infektiöser Krankheiten bedroht ist.

Im Fall der Vogelgrippe könnte eine genetische Vermischung mit menschlichen Grippeviren sogar plötzlich zum Entstehen eines gänzlich neuartigen "Supervirus" führen.

Nach Einschätzung von Experten wäre eine weltweite Epidemie mit erheblichen Konsequenzen die Folge: Allein in den USA müsste man vorsichtigen Schätzungen zufolge mit rund 200.000 Toten und Kosten zwischen 60 und 160 Milliarden US-Dollar rechnen.
->   Wie Vogel-Viren Menschen infizieren können (4.2.04)
Schlüsselfaktor Mobilität
Eine große Rolle bei der heutigen Ausbreitung von Epidemien spielt die globale Vernetzung. Aufgrund der hohen Mobilität in modernen Gesellschaften, insbesondere durch den internationalen Flugverkehr, können sich hoch virulente Krankheitserreger rasend schnell über alle besiedelten Gebiete der Erde ausbreiten.

Wie und auf welchen Wegen das geschieht, haben Wissenschaftler des Göttinger Max-Planck-Instituts für Strömungsforschung und des Instituts für Nichtlineare Dynamik der Universität Göttingen jetzt berechnet.
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Spanische Grippe - Pandemie von 1918
In der Geschichte der Menschheit haben sich immer wieder ansteckende Krankheiten lawinenartig über weite geographische Gebiete ausgebreitet und Opfer in großer Zahl gefordert. Prominente Beispiele sind die Pest-Epidemie aus dem 14. Jahrhundert, der etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung in Europa zum Opfer fiel, oder die "Spanische Grippe" von 1918, die mehr Opfer gefordert hat als die beiden Weltkriege zusammen.
->   Globale Grippe-Epidemie: Ist die Welt gewappnet? (27.11.03)
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Standardmodelle: Ausbreitung als Diffusion
Mathematische Standardmodelle beschreiben die Entwicklung von Epidemien bisher durch Diffusionsprozesse ganz ähnlich zu Molekülen, die in einer Flüssigkeit diffundieren und mit anderen Molekülen chemische Reaktionen ausführen können.

Diese Standardmodelle sagen voraus, dass sich Epidemien in Form von Wellenfronten mit konstanter Geschwindigkeit geographisch ausbreiten.

In der Tat konnte diese Art der Ausbreitung bei der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts nachvollzogen werden, die sich innerhalb von drei Jahren vom Süden Europas (Sizilien) über Zentraleuropa nach Norden (Norwegen) ausdehnte.
->   Mehr dazu: Von Kugeln, Motten und betrunkenen Wanderern (14.5.04)
Flugverkehr beschleunigt Ausbreitung
Diese diffusionsartige Ausbreitung basiert jedoch auf der Tatsache, dass Menschen in früheren Jahrhunderten nur vergleichsweise kurze Distanzen pro Tag zurücklegen konnten. Hingegen reisen die Menschen in der heutigen globalisierten Welt viel weiter, viel häufiger und vor allem - viel schneller.

Das Beispiel von SARS hat gezeigt, dass das veränderte Reiseverhalten einen erheblichen Einfluss auf die Ausbreitung von Krankheiten hat. Von der Provinz Guandong (China) aus hat sich der SARS-Erreger in Windeseile über Hongkong in alle Teile der Welt ausgebreitet.
Neues Modell erstellt
 
Bild: Max-Planck-Institut für Strömungsforschung

Lars Hufnagel und Kollegen von der Universität Göttingen haben laut einer Aussendung der Max-Planck-Gesellschaft jetzt erstmals ein dynamisches Modell entwickelt, das quantitative Erkenntnisse und Vorhersagen der globalen Ausbreitung von Epidemien erlaubt.

In ihrem Modell bewegen sich infizierte Individuen zwischen den verschiedenen Knotenpunkten des globalen Flugnetzes und infizieren auf diese Weise andere Individuen - ähnlich wie bei einer chemischen Reaktion.

Die Wissenschaftler haben in ihrem Modell mehr als zwei Millionen Flüge pro Woche zwischen den 500 größten Flughäfen der Welt berücksichtigt, was etwa 95 Prozent des gesamten zivilen Luftverkehrs entspricht.
Knoten für Verbreitung verantwortlich
Auf diese Weise konnten die Göttinger Forscher nachweisen, dass große Knoten im Luftverkehrsnetz, wie London, New York und Frankfurt, für eine rapide weltweite Ausbreitung einer Epidemie verantwortlich sind, und das weitestgehend unabhängig vom Ort des ersten Auftretens eines Krankheitserregers.

Dabei ist die Kapazität des Flughafens an einem Knotenpunkt viel weniger entscheidend als der Grad seiner Vernetzung. "Wir konnten zeigen, dass der Versuch, eine Epidemie durch Isolation der zentralen Knoten einzudämmen, sehr vielversprechend ist, während ein Blockieren der stärksten Verbindungslinien praktisch kaum einen Effekt hat", so die Forscher.
Ähnlichkeit zu statistischer Physik
Warum befassen sich gerade Physiker mit Untersuchungen zur Ausbreitung von Epidemien? Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung erklärt:

"Als theoretische Physiker sind wir gewohnt, mehr oder weniger komplexe Vorgänge in mathematische Modelle zu fassen, das gehört zu unseren Stärken. Im Falle der Epidemien sind unsere Modelle formal ähnlich zu Modellen, die man auch in der statistischen Physik formulieren würde."
->   Max-Planck-Institut für Strömungsforschung
->   Das Stichwort Epidemie im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010