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"Verpasste Chance": Österreichs Industrie bis 1955  
  Österreichs Industrie begann sich erst spät zu entwickeln, und auch das nur zaghaft - so eine bekannte Lehrmeinung. Die Autoren eines neuen Buches ziehen nun einen anderen Schluss aus der Geschichte.  
Schon das Alte Österreich hatte ihnen zufolge durchaus eine gut entwickelte Industrie, die allerdings bis ins 20. Jahrhundert hinein so manche Chance verpasst hat.

Und "Die verpasste Chance" ist auch der Titel des 350-Seiten-Prachtbandes, der Dienstagabend im Parlament präsentiert wurde.
Prominente Autoren
Für den zweiten Band der dreiteiligen "Österreichischen Industriegeschichte" griffen abermals prominente Autoren in die Tastatur ihrer Computer: Neben dem Ex-Finanzminister Lacina, dem Industriellen Dinoys Lehner und vielen anderen zeichnet der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber für das Werk verantwortlich.
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Österreichs Industriegeschichte 1848 bis 1955 "Die verpasste Chance" ist bei Ueberreuter in Wien erschienen.
->   Verlag Ueberreuter
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Negative Wirtschaftslegenden
Die Zeit von 1848 bis 1955 behandelt es und die ist bisweilen von negativen Wirtschaftslegenden umwoben, meint Sandgruber. Immerhin hätte Österreich-Ungarn schon um 1870 in der so genannten Gründerzeit eine kräftige Industrialisierungswelle erlebt.
Eisenbahnnetz schuf gemeinsamen Markt
"Mit dem Eisenbahnnetz war Österreich zu einem großen Markt zusammengewachsen und man konnte den neuen Energieträger des 19. Jahrhunderts, die Mineralkohle, transportieren. Damit setzte die 'gute alte Zeit' ein, die in ihrem Industrieelend nicht wirklich gut war, aber den Grundstein für unsere heutige Wirtschaftsstruktur legte," so Sandgruber im ORF-Radio.
Keine Industriemacht: Kaiser war nicht schuld
Daran konnte auch der katastrophale Börsenkrach von 1873 im Prinzip nichts ändern, und auch das legendäre Beharrungsvermögen Kaiser Franz Josephs in vorindustrieller Weltsicht sei nicht schuld daran gewesen, dass Österreich-Uungarn letztlich nicht zur Industriemacht wurde.

Roman Sandgruber ortet dafür ganz andere Verantwortliche: "Bestimmte Vertreter von Adel, Diplomatie und Politik - vor allem jene, die den Nationalitätenhass schürten!"
Von der Weltwirtschaftskrise getroffen
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich Restösterreichs Industrie erst recht nicht erholen. "Von den industrialisierten Staaten Europas wurde Österreich sicher am härtesten von der Weltwirtschaftskrise getroffen," so Sandgruber.

Das lag indes nicht nur am klein gewordenen Österreich, sondern abermals an dem lähmenden Konflikt der politischen Lager.
Gründergeist nach 1945
Immerhin hätte man nach 1945 daraus gelernt, sagt Roman Sandgruber: Konsensdemokratie und Sozialpartnerschaft hätten sich darauf geeinigt, dass zuerst produziert, und dann erst verteilt werden müsse.

Dass sich eine österreichische Industrie erfolgreich aus den Reststrukturen der Wirtschaft des Dritten Reiches erheben konnte, sei nicht nur an Hilfen wie dem Marshall-Plan gelegen, sagt der Wirtschaftshistoriker, sondern am Gründergeist neuer Industrieller - auch aus neuen Bevölkerungsgruppen:

"Vielfach waren Zuwanderer der Jahre 1944 bis 1946 Träger dieser neuen Gründerzeit und schufen neue Unternehmen," meint Sandgruber.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft, 20.10.04
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Die Öl-Industrie in der Habsburger-Monarchie (19.11.03)
->   Österreichische Industriegeschichte Bd.1: Die vorhandene Chance (16.10.03)
 
 
 
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01.01.2010