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Spanische Grippe: Wie sicher sind die Forschungslabors?  
  1918 und 1919 tötete die Spanische Grippe mindestens 40 Millionen Menschen. In Gentech-Labors experimentieren Forscher mit dem gefährlichen Erreger. Experten warnen, dass das Virus aus dem Labor entkommen und eine weltweite Epidemie auslösen kann.  
Wie das britische Wissenschaftsmagazin "New Scientist" berichtet, finden die Forschungen trotz der Gefahr nicht immer auf höchster Sicherheitsstufe statt.
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Der Artikel "Could 1918 flu virus escape from labs?" von Debora MacKenzie ist unter dem Titel im Wissenschaftsmagazin "New Scientist", Ausgabe vom 23. Oktober 2004, erschienen.
->   New Scientist
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Kleiner Schritt zum tödlichen Virus
Jüngstes Beispiel ist die Arbeit von Forschern um Yoshihiro Kawaoka von der University of Wisconsin in Madison.

Das Team konnte zeigen, dass ein Protein vom Virus der Spanischen Grippe genügt, um aus einem harmlosen menschlichen Grippevirus eine tödliche Bedrohung für Mäuse zu machen: das Oberflächenprotein Hämagglutinin.
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Hämagglutinin und Neuraminidase
Hämagglutinin und Neuraminidase sind Proteine auf der Oberfläche des Grippe-Virus. Influenza-Viren lassen sich in die Typen A, B und C unterteilen. Der häufigste Erreger von Epidemien ist das Influenza-A-Virus. Bei ihm sind 15 Hämagglutinin- und neun Neuraminidase-Typen bekannt. Je nach Kombination ergeben sich daraus die unterschiedlichen Influenza-A-Subtypen, wie beispielsweise H5N1, das Vogelgrippe-Virus.
->   Mehr zu Influenza bei Medicine Worldwide
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Forschungen nicht auf höchster Sicherheitsstufe
Die Wissenschaftler um Kawaoka begannen ihre Forschungen in einem Labor mit höchster Sicherheitsstufe (Biosafety Level 4, kurz BSL-4) und senkten diese dann auf BSL-3Ag. Auf dieser Stufe zwischen BSL-3 und BSL-4 sind beispielsweise keine Ganzkörper-Schutzanzüge erforderlich.

Gegenüber "New Scientist" begründete Kawaoka seinen Entschluss damit, dass Experimenten zufolge Mäuse, die Oseltamivir bekamen, nicht krank wurden. Oseltamivir ist ein bekannter Wirkstoff zur Behandlung von Grippe.
Proteinaustausch macht Virus tödlich
Yoshihiro Kawaoka und seine Kollegen ersetzten das Oberflächenprotein Hämagglutinin von für Mäuse harmlosen Grippeviren durch jenes der Erreger der Spanischen Grippe.

Die Mäuse starben innerhalb weniger Tage mit für die Spanische Grippe typischen Symptome wie Lungenentzündungen und Lungenblutungen. Das Oberflächenprotein Neuraminidase zeigte keine vergleichbare Wirkung.
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Die Studie von Kawaoka et al. ist unter dem Titel "Enhanced virulence of influenza A viruses with the haemagglutinin of the 1918 pandemic virus" im Fachjournal "Nature" (Bd. 431, S. 703-707, Ausgabe vom 7. Oktober 2004) erschienen.
->   Zum Original-Abstract
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Richtlinien vielseitig interpretierbar
Kawaoka hielt sich exakt an die Richtlinien der US National Institutes of Health. Demzufolge reicht die Sicherheitsstufe 3 für Erreger, die "beim Menschen schwere oder tödliche Krankheiten auslösen, für die präventive oder therapeutische Interventionen verfügbar sein könnten."

Zynische Kommentare bleiben nicht aus: "Man sollte Kawaoka dafür applaudieren, dass er überhaupt unter BSL-4 gearbeitet hat", zitiert "New Scientist" den Grippeforscher Richard Webby vom St. Jude's Children's Hospital in Memphis, Tennessee.

Beispielsweise plant "New Scientist" zufolge Michael Katze von der University of Washington in Seattle an Affen die Verbreitung eines Erregers von der Art des Spanischen Grippe-Virus über die Luft zu testen.

Die Versuche sollen in einem BSL-3-Labor stattfinden, also mit noch geringeren Sicherheitsvorkehrungen als unter BSL-3Ag. Aus solchen Labors sind bereits Erreger der Lungeninfektion SARS entkommen.
Weltweit Forschung an gefährlichen Viren
Nicht nur die Experimente mit dem Erreger der Spanischen Grippe machen den Experten Sorgen. Seit längerem geht die Angst um, das Vogelgrippe-Virus könnte sich mit menschlichen Grippeviren zu einem von Mensch zu Mensch übertragbaren Super-Virus verbinden.

Um gewappnet zu sein, forschen mehrere Wissenschaftlergruppen weltweit an einer Kreuzung im Labor. Wie Albert Osterhaus von der Erasmus Universität in Rotterdam, der untersuchen will, wie gefährlich eine Kombination der Viren werden kann.
USA: Zulassungen Fall für Fall
"Jede derartige Arbeit sollte unter BSL-4 stattfinden", fordert John Wood vom britischen National Institute for Biological Standards and Control. Doch liegt laut "New Scientist" das Problem in den USA darin, dass Experimente mit Viren Fall für Fall von Biosicherheitskomitees (Institutional Biosafety Committees, kurz IBCs) zugelassen werden.

Diese können die offiziellen Richtlinien interpretieren, wie es ihnen passt, so die Kritik.

Das IBC, welches die Affen-Studie von Katze genehmigte, habe nur ein einziges Gefahren-Szenario durchgedacht: dass Proben fallen gelassen werden, zitiert "New Scientist" Edward Hammond vom Sunshine-Project, einer deutsch-amerikanischen Organisation gegen Biowaffen. Die Lösung des Komitees für den Ernstfall: Die Labormitarbeiter sollen aufhören zu atmen.

Martina Gröschl, 25.10.04
->   University of Wisconsin-Madison
->   US National Institutes of Health
->   National Institute for Biological Standards and Control
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Forscher erzeugen Gentech-Grippeviren im Labor (27.2.04)
->   Wie Vogel-Viren Menschen infizieren können (6.2.04)
->   Globale Grippe-Epidemie: Ist die Welt gewappnet? (27.11.03)
 
 
 
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01.01.2010