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Architektur-Symbole der Berliner Nachkriegsmoderne  
  Die großen Wiederaufbauprojekte Ost- und West-Berlins nach 1945 boten im "Wettbewerb der Systeme" des Kalten Kriegs eine breite Projektionsfläche für Propaganda. Die Historikerin Stephanie Warnke vom IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften wirft einen genaueren Blick auf diese Architekturgeschichte. Dabei kommen Erinnerungslandschaften und Symbole zum Vorschein, die zeigen, wie Architektur als Teil einer urbanen Öffentlichkeit in zwei verschiedenen gesellschaftlichen Systemen funktionierte.  
Architekturgeschichte einmal anders

Von Stephanie Warnke

Repräsentativ daherkommende Bauprojekte erregen auch in Österreichs Städten häufig die Gemüter der Bewohner - man erinnere sich nur an das Haas-Haus oder das Museumsquartier in Wien oder das gerade eröffnete Museum der Moderne auf dem Salzburger Mönchsberg.

Beim letzten Beispiel scheint der Neubau für manche Kritiker die gegenüberliegende Festung, das Wahrzeichen der Stadt, zu relativieren. Denn die Burg ist ein Zeichen, Markenzeichen, Image und Symbol der Stadt.
Wahrzeichen für pulsierende Metropole gesucht
Was hat das mit dem Wiederaufbau Berlins im Kalten Krieg zu tun? Berlin ist zwar keine alte Stadt, aber wie jede europäische Metropole wollte man auch hier ein "Wahrzeichen".

Während der rasanten Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die preußische Residenz zur Millionenstadt und der permanente Wandel zu ihrem Markenzeichen.

Das Brandenburger Tor oder das Hohenzollersche Stadtschloß waren zwar Sehenswürdigkeiten, eigneten sich aber kaum als Wahrzeichen der pulsierenden Metropole, die in den Worten eines ihrer Chronisten dazu verdammt gewesen sei, "immerfort zu werden und niemals zu sein."
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Vortrag am IFK
Stephanie Warnke hält am Donnerstag, 28. Oktober 2004, um 18.00 Uhr c.t. einen Vortrag unter dem Titel " Stadt, Architektur, Medien: der Berliner Wiederaufbau und die urbane Öffentlichkeit" am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK
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Zweiter Weltkrieg führte zu "Tabula rasa"
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs haben in Berlin als politischem Zentrum der Nazi-Diktatur und Ort des gerade im Kino auferstandenen "Führerbunkers" neben Industrieanlagen und zahlreichen "Mietskasernen" besonders die zentralen, repräsentativen Gebäude getroffen.

Die Mitte der Stadt glich einem einzigen Trümmerfeld, eindrückliche Bilder vom Ausmaß der Zerstörungen sind in Billy Wilders Film "A Foreign Affair" von 1948 festgehalten. Kein Wunder, dass sich hier für Architekten auf zynische Weise der Traum von der Tabula rasa erfüllt zu haben schien.
Ost-West-Wettbewerb auch im Wohnbau
Mit der Teilung Berlins und Gründung der zwei deutschen Staaten 1949 setzte damit ein Architekturwettbewerb der etwas anderen Art ein. Die architektonische Hinterlassenschaft der Nachkriegsmoderne zeigt uns heute wie in einem Zerrspiegel, auf welche Weise Ost und West im baulichen "Wettbewerb der Systeme" permanent aufeinander bezogenen waren.

Besonders im dringend notwendigen Wohnungsbau wollte man sich gegenseitig übertrumpfen: Die Stalinallee/Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel sind heute Denkmäler dieses Wettkampfes.
Neue "Stadtwahrzeichen" auf Eis gelegt ...
Aber neben Wohnungen sollten auch neue "Stadtwahrzeichen" her. Die frühen Pläne in der DDR für ein "zentrales Regierungsgebäude" im Stile des Warschauer Kulturpalastes wurden allerdings nicht umgesetzt und ein solcher Bau wäre wohl auch kaum von der Bevölkerung als Stadtwahrzeichen akzeptiert worden.

In West-Berlin war derweil die Frage eines politischen Repräsentationsbaus auf Eis gelegt, denn Hauptstadt war jetzt das ferne Bonn, die westliche Hälfte der ehemaligen "Reichshauptstadt" wurde zur subventionierten "Frontstadt".
... aber alte Gedächtniskirche wurde zum Symbol
Bild: dpa
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche:
links nach Kriegsende, rechts mit Kirchenneubau
Ein Architekturskandal der fünfziger Jahre zeigt uns aber nur zu deutlich, dass bei den West-Berlinern große Einigkeit darüber bestand, welches Gebäude ihre Teilstadt jetzt repräsentierte: Es war der "hohle Zahn", die Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Ende des Kurfürstendamms.

Als nämlich 1957 die Pläne des modernen Neubaus der Kirche in der Presse veröffentlicht wurden, für den die Ruine abgerissen werden sollte, ging ein Aufschrei der Empörung durch die (nicht nur West-) Berliner Öffentlichkeit.

Egon Eiermann, Schöpfer des Plans und so etwas wie der "Staatsarchitekt" der jungen Bundesrepublik, musste aufgrund des öffentlichen Drucks seinen Plan überarbeiten und die Ruine erhalten. Das Ensemble aus Neubau und Ruine konnte so zum Wahrzeichen und zur Touristenattraktion West-Berlins werden.
Fernsehturm am "Alex": Modernisierung in Ost-Berlin
Bild: dpa
Fernsehturm am
Alexanderplatz
Während man im Westteil der Stadt damit bereits in den fünfziger Jahren ein ambivalentes Verhältnis zur verordneten Modernisierung ausdrückte, gelang es der DDR, sich in den sechziger Jahren ein immer moderneres Äußeres zu geben.

Mit Staunen beobachtete man im Westen die riesigen Bauprojekte am und um den Alexanderplatz, niemand glaubte zum Beispiel, dass der Fernsehturm am Alexanderplatz pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR fertiggestellt werden würde.

Als dies dann doch gelang und Walter Ulbricht zusammen mit dem Fernsehturm das zweite Fernsehprogramm der DDR eröffnete, zeigte sich auch die intensive Propaganda für das Bauprojekt in den Medien des SED-Regimes erfolgreich: Der Turm wurde schnell als Stadtwahrzeichen akzeptiert, vermittelte das Gefühl, technisch mit dem Westen mithalten zu können, war einfach "hypermodern". Als grafisches Symbol und Comic-Figur eroberte der "Telespargel" Werbung und Kinderbücher.
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Heute andere Symbole
Heute hat die Gedächtniskirche viel Aufmerksamkeit eingebüßt. Auf den Wunschlisten der Touristen stehen Reichstag, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz und natürlich die wenigen noch vorhandenen Spuren der Mauer ganz oben. Der Fernsehturm hält tapfer seine Stellung als scheinbar rein technisches Gebäude und zentral gelegener Aussichtsturm.
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Architekturgeschichte als Teil der Kulturgeschichte
Aus Sicht der Kulturgeschichte kann die Berliner Architektur der Nachkriegszeit viel über Mentalitäten, Erwartungen, Zukunftsträume und Erinnerungslandschaften der Stadtbewohner berichten, wenn wir sie heute jenseits ideologisierter politischer oder rein stilistisch-kunsthistorischer Debatten betrachten.

Besonders die zeitgenössischen Massenmedien, wie Presse, Film, Radio oder Trivialliteratur zeigen, wie die Stadt von der breiten Bevölkerung wahrgenommen wurde.

Architekturgeschichte kann so Teil einer Alltags- und Kulturgeschichte werden. 1963 dachten beim Wort "Berlin" laut einer Umfrage angeblich über die Hälfte der Westdeutschen zuerst an die Mauer. Der Alltag diesseits und jenseits dieses monströsen Bauwerkes sah aber anders aus, und die Stadt hatte auf beiden Seiten ihre neuen oder alten Symbole.

[27.10.04]
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Über die Autorin
Stephanie Warnke, M.A., ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin, war 2002-2004 Stipendiatin des interdisziplinären Graduiertenkollegs "Stadtformen. Bedingungen und Folgen" der ETH Zürich und ist IFK_Junior Fellow.
->   Graduiertenkolleg "Stadtformen. Bedingungen und Folgen" der ETH Zürich
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01.01.2010