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Golfkriegssyndrom als Krankheit  
  Bis heute bestreiten die am ersten Golfkrieg 1990/91 beteiligten Staaten, dass viele ihrer Soldaten an den Folgen des Einsatzes erkrankt sind. Mit einer neuen Studie möchten die Veteranen nun erreichen, dass das Golfkriegssyndrom als Krankheit und damit als Pensionsgrund anerkannt wird.  
Bisherige Studien kamen zum Schluss, dass es sich bei den Symptomen der Golfkriegsveteranen um psychische Beeinträchtigungen handelt, die verschiedenste Gründe haben können. Der Epidemiologe Robert Haley von der University of Texas argumentiert hingegen, dass die Fragestellung dieser Studien zu wenig genau und damit das Ergebnis zu diffus war.
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Steigendes Interesse
Motiviert durch Berichte über physische und psychische Probleme bei Irak-Heimkehrern wächst in den USA auch das Interesse an Untersuchungen zum Golfkriegssyndrom.

Erst vor kurzem publizierte die New York Times einen viel beachteten Bericht des einflussreichen "Research Advisory Committee on Gulf War Veterans' Illnesses", der von einem eindeutig zu diagnostizierenden Krankheitsbild spricht.

Auch die neue Ausgabe des "New Scientist" widmet dem Thema einen ausführlichen Report.
->   New Scientist Artikel "US in U-turn over Gulf war syndrome"
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Wenige Opfer, große Langzeitschäden
Der erste Golfkrieg dauerte ein knappes dreiviertel Jahr, von August 1990 bis Juni 1991. Zwar waren nur relativ wenige Opfer zu beklagen und auch die Verletztenzahlen hielten sich in Grenzen, dennoch mussten viele Soldaten nach ihrer Heimkehr einen Arzt aufsuchen.

Die meisten klagten über Hautausschläge, Muskel- und Gelenkschmerzen, Gedächtnisverlust oder Hautausschläge. "Golfkriegssyndrom" lautete immer öfter die eher hilflose Diagnose, mit der die Symptome zusammengefasst wurden.

Auch wenn genaue Erhebungen fehlen, wird die Zahl der Betroffenen auf mehrere Tausend geschätzt. Obwohl solche Fälle zuerst in den USA bekannt wurden, weiß man heute von ähnlichen Erkrankungen auch in England, Frankreich und Kanada.
Chemische Kampfstoffe als Grund
Während ursprünglich angenommen wurde, dass die von den Soldaten beanstandeten Leiden eher psychische Ursachen haben, deutet laut jüngsten Untersuchungen immer mehr darauf hin, dass sie durch Kontakt mit chemischen Kampfstoffen ausgelöst wurden.

So sprechen die in der New York Times zitierten Wissenschaftler davon, dass "ein Großteil der Symptome nicht durch kriegsbedingten Stress oder rein psychische Erkrankungen erklärt werden kann".

Vor allem die Gegenmittel zu Nervengasen, die von vielen Soldaten prophylaktisch eingenommen wurden, stehen unter Verdacht, die vielfältigen Symptome auszulösen.

Darüber hinaus gelang jetzt der Nachweis, dass die Soldaten entgegen bisheriger Beteuerungen doch mit dem Nervengas Sarin in Kontakt gekommen sind und auch wiederholte geringe Belastungen massive Nervenschäden verursachen können.
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Drei Krankheitsstufen
Der Mediziner Robert Haley identifizierte drei Stufen des Golfkriegssyndroms: Die erste - leichteste - Erkrankung zeichnet sich durch Unkonzentriertheit, Wahrnehmungsstörungen und Schlaflosigkeit aus.

Auf Stufe 2 leiden die Patienten an Verwirrung, Koordinationsstörungen und Schwindel. Die dritte Form des Syndroms äußert sich durch starke, diffuse Schmerzen, die oft durch Benommenheit begleitet werden.
->   Abstracts von Haleys Forschungsarbeiten
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Wissenschaftlicher Druck wächst
Nicht nur die Untersuchung des "Advisory Committee" untermauern die Forderungen der Kriegsveteranen nach angemessenen Invaliditätsentschädigungen. Auch in Großbritannien wächst mit einer privat finanzierten, sich aber als unabhängig deklarierenden Studie der wissenschaftlich untermauerte Druck auf die zuständigen Ministerien.

Dass erst jetzt genauere Analysen zum Golfkriegssyndrom erscheinen, führt Epidemiologe Haley auf Ungenauigkeiten im Untersuchungsdesign zurück.
Zuerst Definition, dann Untersuchung
"Wir hätten tun sollen, was wir für jede neue Erkrankung vor den ersten Studien machen: eine genaue Falldefinition erstellen," so Haley gegenüber dem "New Scientist".

Man hätte zuerst die ungewöhnlichen Symptome sammeln und dann ihr Vorkommen in größeren Gruppen testen sollen. So hätte man herausfinden können, ob die Schmerzen und Zustände in der breiten Bevölkerung vorkommen oder doch nur in einer spezifischen Gruppe.

In den bisherigen Untersuchungen seien die Symptome des Golfkriegssyndroms zusammen mit anderen Gesundheitsangaben abgefragt worden, wodurch die Ergebnisse schwammiger wurden.
Wissenschaftlicher Streit entscheidet über Pensionshöhe
Zwar tun viele Forscher den Streit, ob das Golfkriegssyndrom als eigene Krankheit angesehen werden muss oder doch "nur" aus vornehmlich psychischer Belastung resultiert, als "akademisch" ab.

Für die betroffenen Kriegsveteranen haben die wissenschaftlichen Ergebnisse aber sehr konkrete Auswirkungen: Schließlich steigt die Höhe der Entschädigungs- und Rentenzahlungen, wenn gesundheitliche Probleme nicht auf mangelnde Stressresistenz, sondern auf konkrete Vergiftungen während des Kriegs zurückgeführt werden können.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 3.11.04
->   New Scientist
->   Britische Studie zum Golfkriegssyndrom
->   Research Advisory Committee on Gulf War Veterans' Illnesses
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01.01.2010