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Zellverdauung lässt Neugeborene überleben  
  Kurz nach der Geburt drohen Neugeborene zu verhungern: Damit das nicht geschieht, gewinnen sie aus körpereigenen Vorgängen Energie - so lange, bis die Mutter zur ersten Fütterung schreitet. Doch der Mechanismus - ein intrazelluläres Verdauungssystem - ist durchaus ambivalent und dürfte laut jüngsten Forschungen eine Rolle bei der Entwicklung einer Reihe von Krankheiten spielen.  
Gleich zwei Publikationen gehen diese Woche dem Phänomen der so genannten Autophagie nach - den Verdauungsvorgängen innerhalb von Zellen. Während Akiko Kuma von der japanischen Wissenschafts- und Technologieagentur PRESTO und sein Team in "Nature" ihre erstaunliche Rolle kurz nach der Geburt erläutert, widmet "Science" dem Phänomen diese Woche sein Cover.

Die beiden Molekularbiologen Takahiro Shintani und Daniel Klionsky von der University of Michigan bezeichnen die Autophagie in Sachen Gesundheit dabei als "zweischneidiges Schwert".
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Die Studie "The role of autophagy during the early neonatal starvation period" von Akiko Kuma et al. ist als Online-Vorabpublikation in "Nature" (3. November 2004; doi:10.1038/nature03029) erschienen.
->   Original-Abstract in "Nature"
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Energie aus Zellverdauung
Unmittelbar nach der Geburt sind Säugetiere buchstäblich vom Verhungern bedroht: Die Versorgung durch die Plazenta ist gekappt, die erste Milchmahlzeit noch nicht eingenommen.

Akiko Kuma und sein Team haben nun durch die Untersuchung neugeborener Mäuse festgestellt, wie Energiegewinnung dennoch möglich ist - und zwar durch die Aktivierung der intrazellulären Zellverdauung. Dank der Autophagozytose gewinnen die Nager aus körpereigenen Stoffen genug Energie, um bis zur ersten Fütterung zu überleben.
Ohne Autophagie-Gen sterben Neugeborene
Bei dem Vorgang bauen die Körperzellen eigene Bestandteile ab und wandeln sie u.a. in Aminosäuren um, den Bausteinen für Proteine. Den Beweis für ihre Bedeutung zur Energiegewinnung lieferten gentechnisch modifizierte Mäuse, denen ein Schlüsselgen für die Autophagozytose fehlte.

Diese Exemplare verfügten unmittelbar nach ihrer Geburt über weit weniger Aminosäuren als ihre Artgenossen. Sie starben innerhalb ihres ersten Lebenstages, obwohl sie ansonst gesund schienen.
Gilt vermutlich auch für Menschen
Noboru Mizushima, Teammitglied von Kuma, hält die Übertragbarkeit der Resultate von Mäusen auf Menschen für plausibel. Obwohl es dafür keine direkten Beweise gebe, sei es sehr wahrscheinlich, dass menschliche Neugeborene genau das gleiche machen, meinte er gegenüber BBC Online.

Zumindest bis zu einem gewissen Teil scheinen alle Säugetiere auf diese Weise der Gefahr des Verhungerns direkt nach der Geburt zu entgehen.
Permanenter Vorgang im Körper
Autophagie ist aber selbstverständlich kein Zellvorgang, der nur Neugeborene betrifft. Im Gegenteil, als "Zellverdauung, -reinigung und -recycling" läuft er permanent ab.

Die beiden Molekularbiologen Takahiro Shintani und Daniel Klionsky von der University of Michigan beschreiben ihn in "Science" als eine zweite Variante des programmierten Zelltods.

Seine Rolle speziell bei der Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen sei ambivalent.
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Der Artikel "Autophagy in Health and Disease: A Double-Edged Sword" ist in "Science" (Bd. 306, S. 990, Ausgabe vom 5. November 2004) erschienen.
->   "Science"
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Unklare Rolle bei Krankheiten
Bild:
"Science"-Cover
Prinzipiell ist Autophagie der Abbau von nicht mehr funktionstüchtigen Zellbestandteilen durch spezielle Organellen in eukaryotischen Zellen (Zellen mit Zellkern).

Ob Autophagie vor einer Reihe von Krankheiten schützt oder sie im Gegenteil begünstigt, ist bis heute unklar, schreiben die Forscher in ihrem Review-Artikel. Bei Parkinson, Huntington oder Alzheimer seien größere Mengen an autophagischen Vesikeln - Bläschen, die bei dem Prozess in der Zelle entstehen - festgestellt worden.

Auch ihre Rolle bei der Krebsbekämpfung sei nach wie vor unklar. Gentech-Mäuse, bei denen die Autophagie-Gene ausgeschaltet wurden, etwa zeigten eine höhere Rate an spontaner Tumorbildung. Umgekehrt könnte Autophagie gezielt eingesetzt zum Absterben von Krebszellen - und der Bekämpfung einer Reihe anderer Krankheiten - verwendet werden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.11.04
->   PRESTO
->   Program in Biology, University of Michigan
->   BBC Online
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Mitochondriale Gen-Fragmente können Unheil anrichten (6.9.04)
->   IMP-Forscher klären genaue Umstände der Zellteilung (29.7.04)
->   DNA-Duplikation: Körperzellen sind erfinderisch (20.1.04)
 
 
 
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01.01.2010