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Gen-Beweis: Wiege der Menschheit liegt in Afrika  
  Mit den Methoden der modernen Genetik lassen sich Herkunft und Naturgeschichte des modernen Menschen nahezu lückenlos rekonstruieren. Wie der Altmeister der Populationsgenetik, Luigi Cavalli-Sforza, bei einem Symposion in Wien betonte, bestätigen auch neueste Daten das Standardmodell der menschlichen Evolution, dem zufolge die Wiege der Menschheit in Ostafrika liegt.  
Zur Sprache kam auf dem international besetzten Kongress am Institut für Molekulare Pathologie auch die Frage der Wechselwirkung von Natur und Zivilisation. Bekanntes Beispiel dafür: Die Fähigkeit zur Milchverdauung, zu der wir erst seit der Jungsteinzeit imstande sind.

Ein weniger bekanntes Beispiel: Die Malaria, eine der gefährlichsten Krankheiten der Gegenwart, dürfte sich erst im Gefolge landwirtschaftlicher Tätigkeit verbreitet haben.
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Der Kongress zum Thema "Evolution" fand vom 5.-6.11. 2004 am Wiener Institut für Molekulare Pathologie statt.
->   Zur Kongress-Website
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Seltene Knochenfunde
Die von Paläontologen zu Tage geförderten Fossilien und Knochenfunde gelten als überzeugende, weil höchst anschauliche Beweise für den Artenwandel.

Letztes Beispiel dafür ist etwa die kürzlich entdeckte Zwergmenschenart Homo floresiensis, die von der Zeitschrift "National Geographic" mit dem liebevollen Beinamen "Hobbit" versehen wurde.

Solche beeindruckenden Funde haben nur einen Schönheitsfehler: Sie sind ziemlich selten. Das wusste schon Charles Darwin, der der Lückenhaftigkeit der geologischen Überlieferung in seinem Hauptwerk ein ganzes Kapitel widmete.
->   Unbekannte Zwergmenschenart in Indonesien entdeckt (27.10.04)
Rekonstruktion durch das Genom
Bild: Marc Berlinger
Luigi Cavalli-Sforza
Der heutigen Forschergeneration bereitet dieser Umstand kein Kopfzerbrechen mehr. Denn im Genom aller Lebewesen schlummern ebenfalls Dokumente längst vergangener Zeiten.

Und zwar in Form genetischer Variationen, die allerdings erst durch eine statistische Analyse auf breiter Front (sprich: auf Populationsniveau) sichtbar werden.

Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist der 1922 geborene Populationsgenetiker Luigi Cavalli-Sforza von der Stanford University, der als einer der ersten diese Forschungsstrategie am Menschen erprobte.
Mitochondrien und Y-Chromosom geben Aufschluss
Kernstück dieser molekularen Evolutionsforschung bilden die DNA der Mitochondrien sowie ein bestimmter Abschnitt am Y-Chromosom. Und zwar deswegen, weil beide von jeweils nur einem Elternteil vererbt werden und daher nicht an der großen Lotterie der sexuellen Rekombination teilnehmen.

Das bietet den entscheidenden Vorteil, dass die Spur subtiler Änderungen im Erbgut über viele Jahrtausende zurückverfolgt werden kann.
"Out of Africa" ...
Da genetische Variation mit geografischer Herkunft zusammenhängt, lässt sich auf diese Weise die "Wiege der Menschheit" mit einiger Sicherheit räumlich zuordnen.

Wie Cavalli-Sforza in seinem Vortrag am Wiener Institut für Molekulare Pathologie betonte, bestätigen die aktuellsten Daten die weithin akzeptierte "Out of Africa"-Hypothese der Anthropologen, der zufolge die Wiege der Menschheit in Ostafrika liegt.
... vor 100.000 Jahren
Zeitlich einzuordnen ist dieser Ursprung des modernen Menschen in der Größenordnung von rund 100.000 Jahren, auch die Wanderungsbewegungen lassen sich mit genetischen Datierungsmethoden nachvollziehen:

Sie führten den Menschen zunächst nach Südasien und Europa, dann - vor 15.000 bis 30.000 Jahren - nach Amerika und schließlich vor rund 6.000 Jahren bis zu den Pazifischen Inseln.
->   Mehr zu "Out of Africa" (actionbioscience.org)
Kultur-Natur-Wechselwirkung?
Cavalli-Sforza streifte in seinem Vortrag auch die interessante Frage, inwieweit eine Wechselwirkung zwischen dem kulturellen Gefüge und unserem Erbgut besteht. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa die jungsteinzeitliche Verbreitung der Laktose-Toleranz in menschlichen Populationen.

Die Fähigkeit vieler erwachsener Menschen zur Verdauung von Milchzucker ist insoferne ein biologisches Unikum, als Säugetiere normalerweise dazu nur während der Jugendjahre imstande sind.
Viehzüchter-Vergangenheit genetisch manifestiert
In diesem Zusammenhang konnten etwa Clare Holden und Ruth Mace vom University College London vor einigen Jahren zeigen, dass die genetische Basis der Laktose-Spaltung besonders bei den Tutsi in Zentralafrika, den westafrikanischen Fulani, den Beduinen und Tuareg, aber auch den Iren und Spaniern verbreitet ist.

Diese so unterschiedlichen Volksgruppen haben eines gemeinsam: Sie können alle auf eine Vergangenheit als Viehzüchter verweisen. Die Kultur formt also gewissermaßen unsere genetische Architektur, indem sie der natürlichen Selektion neue Ansatzstellen bietet.
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Die Studie "A phylogenetic analysis of the evolution of lactose digestion in adults" von Clare Holden und Ruth Mace erschien in "Human Biology" Band 69, S. 605-628, 1997.
->   Human Biology
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Malaria als Nebenprodukt der Landwirtschaft
Allerdings muss die Hervorbringung sesshafter und damit protokultureller Lebensweise nicht nur Vorteile für die menschliche Existenz mit sich bringen.

So sei etwa die Verbreitung der Malaria in tropischen und subtropischen Klimaten eine direkte Konsequenz der Landwirtschaft, betonte Cavalli-Sforza. Diese fördere die Bildung von kleinen Wassertümpeln, die wiederum die Vermehrung des Erregers via Anopheles-Mücke begünstigt.

Das ist insofern mehr als nur von akademischem Interesse, als die Infektionskrankheit weltweit pro Jahr rund eine Million Todesfälle verursacht.
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"Richter-Skala" globaler Mortalitätsraten
Robin Weiss, Viren-Spezialist vom University Collge London, präsentierte auf dem Evolutions-Kongress in Wien eine "Richter-Skala" globaler Mortalitätsraten, die demnächst in "Nature Medicine" veröffentlicht wird. Sie zeigt, dass Malaria in der Kategorie nicht-viraler Todesursachen lediglich von den Folgen des Tabakkonsums übertroffen wird. Nummer drei in dieser Kategorie belegen übrigens Autounfälle. Bei den viralen Todesursachen liegt HIV mit jährlich siebenstelligen Opferzahlen klar in Front.
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Auch Dengue-Erreger ist "Kulturfolger"
Die Malaria dürfte indes nicht das einzige Beispiel für so eine negative Art der Wechselwirkung sein. Auch die Aedes-Mücken, die Überträger des Dengue-Fiebers, lieben wassergefüllte Behälter menschlicher Herkunft als Brutstätten, wie Tim Skern vom Institut für Medizinische Biochemie der Uni Wien im Gespräch mit science.ORF.at betonte.
Alte Autoreifen multiplizieren Infektionsgefahr
Als wichtige Multiplikatoren der Infektionsgefahr gelten hier offenbar alte Autoreifen - stammesgeschichtlich betrachtet also ziemlich junge Produkte der menschlichen Gattung.

Gesundheitsorganisationen warnen jedenfalls regelmäßig davor, diese nicht achtlos wegzuwerfen, da sie - einmal wassergefüllt - ein geradezu ideales Brutreservoir für die Aedes-Mücken darstellen .

So gesehen kann in tropischen Gebieten etwa der Ankauf tausender Reifen für die Sturzräume von Autorennen zwar gut für die Piloten, aber durchaus schlecht für die Bevölkerung sein. Glaubt man Medienberichten zu diesem Thema, dann wurde Rio de Janeiro tatsächlich just zur Zeit des Formel-1-Grand-Prix von Dengue-Infektionswellen heimgesucht.

Robert Czepel, science.ORF.at, 8.11.04
->   Website von Luigi Cavalli-Sforza (Stanford University)
->   Institut für Molekulare Pathologie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Langes Hirnwachstum: "Erfindung" des modernen Menschen (15.9.04)
->   Neandertaler behielten ihrer Gene für sich (16.3.04)
->   Geruchsverlust des Menschen für besseres Augenlicht (21.1.04)
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Ö1-Programmtipp
Den "genetischen Wegen der Menschheit" gehen auch die Ö1-Dimensionen nach: 8. November, 19.05 Uhr, Radio Österreich 1.
->   Ö1
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01.01.2010