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Österreichische Widerständler im britischen Geheimdienst  
  Militärischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus war in Österreich zwischen 1938 und 1945 rar. Eine aktuelle Publikation ist nun einem relativ unbekannten Aspekt nachgegangen: österreichischen Flüchtlingen und Deserteuren, die als Agenten für Großbritannien in ihre Heimat eingeschleust werden sollten. Ernüchterndes Fazit: Die meisten ihrer Aktionen gingen schief, auf Hilfe aus der Bevölkerung konnten sie kaum zählen.  
Über die Rekrutierung und den bescheidenen Erfolg von österreichischen Mitarbeitern im britischen Geheimdienst zwischen 1942 und 1944 schreibt der Politologe und Journalist Peter Pirker in der aktuellen Ausgabe der österreichischen Fachzeitschrift "zeitgeschichte".
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Der Artikel "Agents in Field. Zur Rekrutierung von Mitarbeitern der 'Austrian Section' im britischen Geheimdienst 'Special Operations Executive' 1942-1944" ist in der Zeitschrift "zeitgeschichte" (Heft 2, November 2004, S. 88) erschienen.
->   Die Zeitschrift im StudienVerlag
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Bisher wenig Forschung
Viele Aspekte der Zeitgeschichte Österreichs - etwa der politische Widerstand und seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten - sind gründlich erforscht. Zu Überläufern der Wehrmacht oder militärischem Widerstand aus dem Exil liegt bisher aber erst "Grundlagenarbeit" vor, schreibt Peter Pirker.

Eine Darstellung der Exil-österreichischen Agenten im britischen Geheimdienst "Special Operations Executive" (SOE) ab 1942 fehle bislang völlig, weshalb er beispielhaft einige ihrer Aktivitäten nachzeichnet.

Und zwar nach intensivem Quellenstudium: Literaturrecherche und Interviews führen zu rekordverdächtigen 240 Fußnoten für 23 Seiten Text.
Ziel der Austro-Agenten: "Subversion und Sabotage"
Die Ausgangsposition: 1940 veranlasste der britische Premier Winston Churchill die Gründung der "SOE" - neben dem klassischen Geheimdienst "Secret Intelligence Service" (SIS). Das Ziel der SOE war "Subversion und Sabotage des Feindes".

Lag der Schwerpunkt der Aktionen in Ländern, die von den Nationalsozialisten besetzt worden waren - wie Frankreich, Polen oder Jugoslawien -, so kam es auch zur Gründung einer "Austrian Section", deren Einsatzgebiet Österreich sein sollte.

Das Ziel der Ende 1943 vorgestellten so genannten "Clowder Mission": Zugänge für SOE-Agenten nach Zentraleuropa über den Landweg zu schaffen - Pirkers Artikel liest sich dann auch zum Teil wie ein Krimi.
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Flüchtlinge und Deserteure - schlecht ausgebildet
Die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung tauglicher Agenten aus verschiedenen Bereichen zeichnet Pirker anhand mehrerer Einzelschicksale detailgetreu nach. Als wichtigstes Rekrutierungsfeld bezeichnet er die so genannten Pioneer Corps - britische Pioniersoldaten, die für Bau- und Verladearbeiten eingesetzt wurden.

Bei den potenziellen Agenten handelte es sich einerseits um deutsche und österreichische jüdische Flüchtlinge, die politisch nicht organisiert waren, andererseits um "österreichische Kriegsgefangene bzw. Deserteure aus der Wehrmacht", mit einem hohen Anteil "schlecht oder nicht ausgebildeter Männer".
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Aktionen gingen zumeist schief
Konkret ging es um den Aufbau von Nachrichtenwegen von Oberitalien bzw. Slowenien kommend in Richtung Kärnten, Steiermark und Tirol, die Kontaktierung lokaler Widerstandsgruppen und die Durchführung kleinerer Sabotageaktionen.

Die meisten der von Pirker beschriebenen Aktionen gingen allerdings schief, die Agenten wurden meist innerhalb weniger Wochen von den NS-Behörden verhaftet, der Großteil ermordet. Hauptgrund für das Scheitern: der mangelnde Widerstandswille der in Österreich lebenden Bevölkerung.
Wenige Erfolge bei Rekrutierung ...
Schon mit den Erfolgen bei der Rekrutierung waren die Betreiber der "Clowder Mission" sehr unzufrieden gewesen, vor allem die Quantität möglicher "brauchbarer Agenten" war weit unter den Erwartungen gefallen.

"Auffallend" bei ihren konkreten Einsetzen, so schreibt Pirker, sei "der geringe Wissensstand der Briten im Sommer und Herbst 1944 über die Lage in Kärnten" gewesen.
... kaum Widerstand der Bevölkerung
"Dass die deutschsprachige Kärntner Bevölkerung besonders in den Grenzgebieten sehr national eingestellt war und sich dieser Nationalismus gewiss nicht auf Österreich bezog, sondern auf die Zugehörigkeit zum 'deutschen Volk', hätte im Jahr 1944 nicht überraschen dürfen."

Kärnten, so der Politologe weiter, "war jenseits der slowenischsprachigen Gebiete Unterkärntens, wo seit 1942/43 Partisanen bewaffnet gegen das NS-Regime kämpften, vermutlich die falsche Gegend, um Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu suchen."

Die Bereitschaft der Bevölkerung, gegen die Nazis zu kämpfen, wurde von den Briten schlicht überschätzt.
Auch nach dem Krieg "eklatante Minderheitenposition"
Sofern sie ihn überlebten, machten die ehemaligen Agenten nach dem Krieg unterschiedliche Erfahrungen. Kehrten die einen nicht mehr in ihre Heimat zurück, wurden einige wenige Funktionäre staatstragender Parteien.

Generell war "die Rückkehr der Deserteure und Überläufer ihn ihre Herkunftsgesellschaft mit großen Schwierigkeiten verbunden", fasst Pirker zusammen. Ihre "eklatante Minderheitenposition" sah sich mit einer "allgegenwärtigen Pflege der Wehrmachtskameradschaft" konfrontiert.
Marginalisierung der Marginalisierten
Zudem sei die ohnehin schon marginale Beteiligung am militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Zweiten Republik noch einmal marginalisiert worden.

Die Missachtung ihres Kampfes habe dazu beigetragen "das bequeme und entlastende Bild von den ohnmächtigen, als willfährige Opfer der Nationalsozialisten dargestellten Juden aufrechtzuerhalten."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 9.11.04
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01.01.2010