News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Neues Buch: Friedrich Schiller als Outlaw  
  Schiller als Outlaw, der an Depressionen litt und jahrelang keinen Erfolg hatte: Dieses düstere Bild zeichnet der deutsche Kulturpublizist Rüdiger Safranski in seinem Buch "Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus." Gleichzeitig attestiert er Schiller einen unbändigen Freiheitswillen und betont seinen Hass gegen die absolutistischen Herrscher seine Zeit.  
Schiller war Opfer der Politik. Der diktatorische Herzog Karl Eugen bedrängte ihn seit seiner frühesten Jugendzeit, er kontrollierte ihn im Internat, ließ ihn verhaften und sorgte dafür, dass Schillers Dramen nicht aufgeführt werden konnten.
Miserable Lebensumstände
Trotz seiner miserablen Lebensumstände war Schiller davon überzeugt, sich nicht beherrschen zu lassen. "Es kommt darauf an, etwas aus dem zu machen" - schreibt Safranski - "wozu man gemacht wurde".
...
Bild: Hanser-Verlag
Buchhinweis
"Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als es der Körper erlaubt". So lautet die Maxime von Friedrich Schiller. Er wollte herausfinden, wer stärker ist: Die Macht des Geistes oder der Körper.

"Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus" von Rüdiger Safranski erschien 2004 beim Hanser Verlag.
->   Zum Buch beim Hanser Verlag
...
Biografie
Geboren wurde Friedrich Schiller am 10. November 1759 in Marbach. Seine Jugendjahre waren von der provinziellen Enge seines Elternhauses geprägt. Nach dem Besuch der Lateinschule arbeitete er als Militärarzt.

Wegen seiner Aufsässigkeit als Student musste er den Heimatort verlassen. Die Folge war Verarmung, Depression, Schiller dachte an Selbstmord. In dieser Zeit entstand sein Drama "Die Räuber", das zum Widerstand gegen die herrschende Gesellschaft aufrief. Dieses Drama wurde in der Subkultur der Protestgeneration der 68er Jahre zum Identifikationsobjekt.

Schillers weiteres Leben verlief nicht in geordneten Bahnen: Zahlreiche Liebschaften, Professor für Geschichte in Jena, Freundschaft mit Goethe und immer von Krankheit gepeinigt.

"Man fand die Lunge brandig, breiartig und ganz desorganisiert" - so Rüdiger Safranski - "ohne Muskelsubstanz - die Gallenblase und die Milz unnatürlich vergrößert, die Nieren in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen." Schiller starb am 9. Mai 1805.
Warum man Schiller lesen soll
Schillers Denken war radikal. Lange vor Karl Marx kam er auf die Arbeitsteilung der Gesellschaft zu sprechen. Er nahm einen Gedanken vorweg, den Marx und später der Soziologe Max Weber formulierten.

"Das stahlharte Gehäuse des Kapitalismus" kennt nur den Verwertungsgedanken der menschlichen Arbeitskraft - verloren geht dabei die Imagination, die Lust und der Genuss.
...
Zitat: Der Mensch als "Abdruck seines Geschäfts"
So meinte der deutsche Dichter etwa: "Der Genuss wurde von der Arbeit, das Mittel zum Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts."
...
Enthusiastische Reaktionen
Diese Gedanken Schillers wurden von zeitgenössischen Dichtern wie Friedrich Hölderlin enthusiastisch aufgenommen: "Handwerker siehst du, aber keine Menschen - ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande zerrinnt."
Kunst als Antidot
Schillers illusionslose Analyse der modernen Zivilisation führte ihn dazu, ein Mittel zu finden, um der destruktiven Kraft der rohen Barbarei etwas entgegen zu setzen.

Sein Vorschlag lautete, "die sanfte Kraft der Kunst, die Empfindungen schult und verfeinert", als Beitrag zur Ent-Barbarisierung einzusetzen.
Wider den Zwang, vernünftig zu sein
In den ästhetischen Schriften konkretisierte Schiller seine Vorstellungen, wie die Kunst beitragen kann, die Entfremdung des Menschen im Sinne Hegels aufzuheben. Er verbindet Kunst mit dem Gedanken des Zweckfreien, des nicht Instrumentellen. Dabei entdeckt er das Spiel: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt".

Schiller bestimmt den Begriff des Spiels als Freiheit im Gegensatz zu einem utilitaristischen Handeln, der im Alltagsleben dominiert. Spiel heißt bei Schiller nicht Karten zu spielen. Dabei handle es sich laut Safranski vielmehr um "eine kulturanthropologische These mit weit reichenden Konsequenzen".
Es lebe die Imagination
Safranski spricht in diesem Zusammenhang von "der Aufdeckung des Betriebsgeheimnisses der Zivilisation". Was ist Zivilisation? Safranski meint mit Schiller, dass in der Zivilisation "möglichst viele grausame Ernstfälle in rituelle, spielerische Ersatzformen gebracht werden".

Es ist dies ein Aufschrei gegen das Diktat der instrumentellen Vernunft, der von den Romantikern wie Hölderlin und später auch von den Surrealisten wie Antonin Artaud thematisiert wurde.
Sexualität gegen Erotik
Ein Beispiel für die von Schiller entworfene Verfeinerung der Gefühle ist die Sexualität. Sexualität ist "ernst, zwingend" - so Safranski.

Erst im Spiel der Erotik wird die Sexualität menschlich: "Erotik ist bedeutungsreich, Sexualität tautologisch." Nur die Kunst der Erotik dekonstruiert den Terror des sexuellen Erfolges - der analog zum kapitalistischen System - nur den begünstigt, der potent ist.
Fazit
Der Hinweis Schillers, dass menschliches Leben nicht bedeutet, sich in der Arbeitswelt zu verausgaben, sondern sein kreatives Potenzial zu verwirklichen - im Sinne der französischen Anarchisten von 68 - "Unter dem Pflaster liegt der Strand" - das ist die eigentliche Botschaft von Friedrich Schiller.

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen, 19.11.04
...
Sendungshinweis
Diesem Thema widmet sich auch die Sendung "Dimensionen" auf Radio Ö1 am 19.11.04 um 19.05 Uhr.
->   Ö1
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010