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Kommissar Computer auf der Spur von Bilder-Fälschern  
  Wenn heute Zweifel an der Echtheit eines Gemäldes auftauchen, werden meist Kunstkenner um eine Expertise gebeten. In Zukunft könnten sie Hilfe von digitalen "Fahndern" erhalten. Denn Computerwissenschaftler haben Alte Meister unter die statistische Lupe genommen - und kommen zu denselben Befunden wie die menschlichen Experten.  
Statistische Analyse verdeutlichte "Naheverhältnisse"
Für die computergestützte Analyse "übersetzten" die Forscher vom Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire die für einen Künstler typische Eigenheiten wie Farbgebung oder Pinselführung in Vektoren, die durch statistische Verfahren ausgewertet werden können.

Die These, dass sich charakteristische Punkte bei den Originalen statistisch relevant näher sind als bei den Fälschungen, bewahrheitete sich.
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Der Artikel "A Digital Technique for Art Authentication" von Siwei Lyu, Daniel Rockmore und Hany Farid erscheint in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) zwischen 22. und 26.11.2004 (doi/10.1073/pnas.0406398101).
->   Artikel (sobald online)
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Bruegel für Fälschungen, Perugino für "Viel-Maler"
Bilder von Pieter Bruegel dem Älteren und Pietro di Christoforo Vannucci (mit Künstlernamen "Perugino") suchten sich Siwei Lyu, Daniel Rockmore und Hany Farid als Fallstudien aus. Den teuren Bruegel wählten sie, weil er bekanntermaßen oft gefälscht wurde und sich damit genügend Beispiele zur Überprüfung der Computeranalyse finden würden.

Am Fall von Perugino wollten sie testen, ob "Kommissar PC" auch erkennen würde, dass sich mehrere Maler an einem Bild versucht hatten - wie das bei einem Gemälde des Italieners als erwiesen gilt.
Elemente dynamisch in Beziehung gesetzt
Um Authentizität über den Computer greifbar zu machen, zerlegten die Computerwissenschaftler die Bilder zuerst in eine Vielzahl von hochauflösenden Scans.

Im nächsten Schritt wurden die Bilder nicht nur in Einzelpunkte zerlegt, sondern auch die Punkte wiederum in Beziehung zu einander gesetzt. Dynamische Elemente wie eben der Pinselstrich können so mathematisch erfasst werden.

"Auch kleinste Unterschiede in der Pinselführung können Fälscher entlarven", schreiben die Forscher in ihrem Artikel. Sie hätten sich auf diese Weise der digitalen Erfassung der "ästhetischen Signatur" eines Künstlers angenähert.
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Anwendungen in Musik und Literaturwissenschaft
Hany Farid und seine Kollegen bauen auf Erfahrungen auf, die bereits in anderen Bereichen mit computergestützten Erkennungsverfahren gesammelt wurden. Auch Musik wurde bereits in Vektoren "übersetzt". Es gelang damit, in "Weiterentwicklungen" die Überbleibsel der Ursprungsmelodie nachzuweisen.

In der Literaturwissenschaft hat sich die "Stilometrie" etabliert: Auf Grund bestimmter Stilmerkmale wie Satzlänge, Wortschatz und Syntax soll die Urheberschaft eines Werks bestimmt, Ergänzungen anderer Autoren aufgespürt oder Texte in eine chronologische Reihenfolge gebracht werden.
->   Gratis-Download eines Computerprogramms zur Textanalyse sowie Textbeispiele (Leeds Electronic Text Centre)
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Bruegel: Fünf Fälschungen entdeckt
Pieter Bruegel der Ältere und die hohen Preise, die seine Bilder schon zu Lebzeiten des Malers erzielten, zogen viele Fälscher an. Einige von ihnen waren so begabt, dass ihre "Imitationen" bis heute erhalten blieben.

Die Wissenschaftler nahmen sich 13 Werke vor - acht davon stammen tatsächlich von Bruegel, fünf wurden bereits als Fälschungen entlarvt.

Das Ergebnis der computerbasierten Analyse entsprach dem von "menschlichen" Experten ausgestellten Echtheitszertifikat: Acht der untersuchten Werke waren sich hinsichtlich der untersuchten Eigenheiten in Bildkomposition und Pinselstrich sehr ähnlich, fünf fielen aus der Reihe.
Perugino: Mindestens vier Maler
 
Bild: PNAS

Ähnlich erfolgreich war auch die Analyse der "Madonna mit Kind" von Perugino: Die Wissenschaftler nahmen sich dazu die sechs am Gemälde dargestellten Köpfe vor (siehe oben).

 
Bild: PNAS

Wie die dreidimensionale Darstellung zeigt, konnte der Computer Ähnlichkeiten zwischen den Köpfen 1 und 2 sowie den Köpfen 3 und 4 errechnen. Kopf 5 und Kopf 6 hingegen dürften jeder von einem anderen Maler stammen.

Die softwarebasierte Analyse zeigt demnach, dass mindestens vier Künstler am Werk beteiligt waren - und stimmt in diesem Befund mit zahlreichen Kunsthistorikern überein.
Wertvoller Beitrag zu existierenden Verfahren
Hany Farid, außerordentlicher Professor am Dartmouth College und der Hauptverantwortliche des Projekts, zeigt sich in der Presseaussendung der Universität stolz, dass es gelungen sei, "Eigenheiten von Malern digital zu erfassen, die dem menschlichen Auge oft verborgen bleiben".

Er glaubt, dass der neue Ansatz in Kombination mit bestehenden Verfahren maßgeblich zur Authentifizierung von Bildern beitragen wird.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 22.11.04
->   Department of Computer Science, Dartmouth College
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01.01.2010