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Lotto-Spielen: Eine Frage der Emotionen  
  Lotto-Spielen wird von manchen als "Deppensteuer" bezeichnet - so unwahrscheinlich ist ein großer Gewinn. Dennoch ist es in Österreich sehr beliebt. Der Wiener Ökonom Herbert Walther hat nun das Risikoverhalten von Lottospielern in einer von der WU Wien ausgezeichneten Studie untersucht. Die These seines Gastbeitrags: Bisherige Erklärungen haben einen Faktor unterschätzt - die emotionalen Effekte, die bei einem möglichen Lotto-Sechser winken.  
WU Best Paper Award: Risikoverhalten von Lottospielern
Von Herbert Walther

Haben Sie schon jemals Lotto gespielt? Und - angenommen, es würde Ihnen folgendes angeboten: Wenn mit einer Münze "Kopf" geworfen wird, können Sie damit 10.000 Euro gewinnen. Bei "Adler" verlieren Sie Ihren vollen Einsatz. Welchen Einsatz wären Sie bereit maximal zu riskieren?

Wenn Sie die erste Frage (so wie weit mehr als die Hälfte aller Österreicher) mit Ja beantworten und gleichzeitig - auf Frage 2 antwortend - weit weniger als 5.000 Euro maximal zu bieten bereit wären, dann verhalten Sie sich so, wie es das "Normal-Randomness Expected Utility" (NREU)-Entscheidungsmodell postuliert.

Und anders, als es das von Oskar Morgenstern und John von Neumann entwickelte klassische Modell des Erwartungsnutzens (EU) vorhersagen würde. Das klassische EU-Modell würde aus der Beobachtung, dass jemand z.B. höchstens 1.000 Euro für das angebotene Los zu bezahlen bereit wäre, auf "Risikoaversion" schließen.
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Dieser Beitrag beruht auf dem Artikel "Normal-randomness expected utility, time preference and emotional distortions" von Herbert Walther, der im "Journal of Economic Behavior and Organization" (Bd. 52, 253-266, 2003) erschienen ist.
->   Abstract im "Journal of Economic Behavior and Organization"
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Aus Risikoaversion wird Risikovorliebe
Dies bedeutet, dass dem Subjekt ein sicheres Vermögen von 1.001 Euro lieber wäre, als ein unsicheres Los mit einem statistischen Erwartungswert von E= 0,5x 10.000 + 0,5x0=5.000>1.001.

Wenn nun dasselbe Individuum beim Lotto mitspielt, wobei es einen sicheren Euro Einsatz opfert, um im Schnitt nur 50 Cent ausgeschüttet zu bekommen, dann wandelt sich "Risikoaversion" plötzlich zur "Risikovorliebe". Wie ist dies möglich?
Berücksichtigung emotionaler Effekte umso stärker ...
Das NREU-Modell liefert eine einfache, mit einem erweiterten Neumann/Morgenstern-Modell kompatible Erklärung: Wenn sich Individuen unter Unsicherheit entscheiden, dann berücksichtigen sie nicht nur den klassischen Erwartungsnutzen des Vermögens, sondern auch den erwarteten Nutzen aus den emotionalen Effekten nach Auflösung der Unsicherheit (Freude, Enttäuschung).

Während die Vermögenseffekte dauerhaft sind, wissen die meisten Menschen aus Erfahrung, dass emotionale Effekte vorüber gehend und (rasch) abklingender Natur sind.
... je unwahrscheinlicher ein Ereignis ist
Das NREU-Modell unterstellt, dass nur relativ "unwahrscheinliche" Ereignisse, deren Nutzenrealisationen außerhalb eines Bandes "normaler" Zufallsabweichungen liegen) zu emotionalen Schocks führen ("So ein unglaubliches Glück/Pech!").

Je unwahrscheinlicher ein mögliches Ereignis ist und je außergewöhnlicher die potenziellen Folgen wären, desto stärker gewichten die Individuen in diesem Modell den antizipierten Nutzen emotionaler Reaktionen relativ zum klassischen Vermögensnutzen.

Dadurch kommt es aber zu systematischen Verzerrungen des Entscheidungsverhaltens gegenüber dem Standardmodell der ökonomischen Theorie.
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Beispiel BSE und Jackpot
Um ein Beispiel zu geben: Sowohl das Risiko durch Rindfleischkonsum BSE zu bekommen, als auch die Wahrscheinlichkeit den Jackpot zu gewinnen, sind ex ante extrem gering.

Gerade, weil diese Wahrscheinlichkeiten sehr gering sind (die Folgen aber für den einzelnen so dramatisch wären), tragen diese Ereignisse ein relativ hohes Potenzial an "Enttäuschung" bzw. "Euphorie" in sich.
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Aufgeblasene Wahrscheinlichkeiten
Im mathematischen NREU-Modell führt dies dazu, dass die sehr kleine Verlustwahrscheinlichkeit (im BSE-Fall) und die sehr kleine Gewinnwahrscheinlichkeit (beim Jackpot) gleichermaßen "aufgeblasen" werden.

Das Modell postuliert, dass derselbe psychologische Typus von Individuen, der sich gegenüber bestimmten Schadensrisiken "überversichern" wird, auch unfaire Wetten im Glücksspiel akzeptiert.

Der klassische Erwartungsnutzen-Maximierer der ökonomischen Theorie verkörpert hingegen den Grenzfall eines extrem langfristig kalkulierenden "kühlen" Investors.
Je ungeduldiger, desto geringere Sparneigung
Das NREU-Modell hat testbare Implikationen. Zum Beispiel die folgende: Je ungeduldiger jemand ist (im Fachjargon; je stärker das Subjekt zukünftigen Nutzen abdiskontiert), desto höher wird das relative Gewicht kurzfristiger emotionaler Effekte der Auflösung von Unsicherheit in der Entscheidung.

Dies bedeutet, dass notorische Glücksspieler (=ungeduldige Leute) auch eine deutlich niedrigere Sparneigung haben sollten. (Empirisch sind solche Subjekte häufig sogar extrem verschuldet!)
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24.000 Euro für den WU-Best-Paper-Award
Die Wirtschaftsuniversität Wien zeichnet heuer bereits zum fünften Mal die besten wissenschaftlichen Publikationen ihrer Forscher mit dem WU-Best-Paper-Award aus. Der mit 24.000 Euro dotierte und von der Stadt Wien gestiftete Preis wird zwischen drei Teams aufgeteilt.

Die Preisverleihung findet am 30.11, 19 Uhr, im Wiener Rathaus statt, wo einer der Preisträger - Nikolaus Franke - eine Wiener Vorlesung hält.
->   Mehr über die Veranstaltung
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Professionelle Vermögensverwaltung für "Kühle"
Selbstverständlich unterscheiden sich die Menschen auch hinsichtlich ihrer emotionalen Sensibilität.

Weil von zwei Individuen jener der langfristig bessere Vermögensmehrer sein wird, der "kühlen Kopf bewahrt", bei der Verwaltung von eigenem Geld aber meist wesentlich mehr Emotionen im Spiel sein werden, als bei der Verwaltung von fremdem Geld, wird sich die Delegation von Entscheidungen an eine professionelle Vermögensverwaltung für das NREU-Subjekt sehr viel stärker lohnen als für den klassischen Erwartungsnutzen-Maximierer.
Konsequenzen für den Wertpapiermarkt
Ein anderes Beispiel: In einer Welt mit NREU-Subjekten werden - bei gleichem erwarteten Durchschnittsertrag - Wertpapiere, die eine kleine Wahrscheinlichkeit eines sehr hohen Gewinnes haben ("Blue-Chips") im Vergleich zu Wertpapieren mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit eines hohen Verlustes systematisch überbewertet.
Entscheidungsdauer beeinflusst Verhalten
Wenn zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung und dem Zeitpunkt der Auflösung von Unsicherheit eine längere Spanne liegt, so schwächt dies den Einfluss emotionaler Faktoren in der Entscheidung.

Längere Bindungsfristen für Kapitalanlagen sollten das klassische Vermögensnutzenmotiv stärken und den Einfluss emotionaler Effekte schwächen.

Glückspielagenturen (Internetbörsen für Kleinanleger?) machen das genaue Gegenteil: Sie bieten Lose mit möglichst rascher Auflösung der Unsicherheit an: z. B. Rubbellose, Brieflose (Internetbörse: tägliche Käufe und Verkäufe werden zu niedrigen Transaktionskosten möglich).

[30.11.04]
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Über den Autor
Herbert Walther ist Leiter der Abteilung für Arbeitsmarkttheorie und -politik an der Wirtschaftsuniversität sowie Leiter des "Ludwig-Boltzmann-Instituts für Wachstumsforschung".
->   Abteilung für Arbeitsmarkttheorie und -politik, WU Wien
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->   science.ORF.at-Archiv zu den WU Best Papers
 
 
 
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01.01.2010