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Erbgut von Ur-Säuger rekonstruiert  
  Lebewesen aus den Urzeiten der Evolution, die mit den Methoden der Biotechnologie wieder zum Leben erweckt werden - spätestens seit dem Film "Jurassic Park" eine viel geträumte Phantasie. Eine Erfindung von US-Forschern macht dies nun wahr, zumindest in genetischer Hinsicht. Sie entwickelten ein Programm, mit dem man das Erbgut von längst ausgestorbenen Organismen rekonstruieren kann.  
Wie ein Team um Mathieu Blanchette vom Howard Hughes Medical Institute berichtet, gelang dies etwa anhand des Vergleichs ausgewählter Genombereiche von heute lebenden Säugetieren. Damit errechnete man jene DNA-Sequenz, die der vor 70 Millionen Jahren lebende Ur-Säuger vermutlich in seinen Körperzellen trug.
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Die Studie "Aligning Multiple Genomic Sequences With the Threaded Blockset Aligner" von Mathieu Blanchette et al. erschien im Fachjournal "Genome Research" (Band 14, S. 708-715; doi:10.1101/gr.1933104).
->   Zum Original-Artikel
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Der Klassiker: Jurassic Park
Bild: AFP
Szene aus "The Lost World: Jurassic Park"
In Steven Spielbergs Film "Jurassic Park" errichtet der schottische Milliardär John Hammond auf der kleinen Insel Isla Nublar nahe Costa Rica einen Naturpark mit einer ganz besonderen Attraktion:

Tyrannosaurus rex, Raptoren und andere längst ausgestorbene Reptilien aus dem Jura und der Kreidezeit, die Hammonds Mitarbeiter mittels moderner Biotechnologie zum Leben erweckt haben.

Voraussetzung für die Renaissance der Dinosaurier ist laut Drehbuch ein Zufallsfund: Ein in Bernstein eingeschlossener Moskito, der vor mindestens 100 Millionen Jahren einen Dinosaurier um ein paar Tropfen Blut erleichterte.

Dieses Blut enthält wiederum die DNA der Riesenechse, woraus die Filmforscher im Handumdrehen einen kompletten Organismus herstellten.
Unrealistisches Szenario
Dieses Szenario ist zweifelsohne höchst unrealistisch. Unter anderem deswegen, weil DNA nicht über so lange Zeiträume stabil bleibt.

Das heißt, selbst wenn man es möglich wäre, aus einer nackten DNA-Sequenz einen kompletten Organismus "nachzubauen", dann brächte auch die schönste in Bernstein konservierte Stechmücke nichts: Die Saurier-DNA wäre längst in ihre Fragmente zerfallen und somit auch ihr Informationsgehalt futsch.
Drehbuch: Saurier-DNA am Computer rekonstruiert
Allerdings, ganz so naiv ist das von Michael Crichton verfasste Drehbuch nicht. Denn selbst im Film stammt nicht die gesamte Saurier-DNA aus der mesozoischen Blutprobe. Der Rest wurde anhand von Genom-Daten heute lebender Organismen rekonstruiert.

Diese Fiktion wurde nun in gewisser Hinsicht von der Realität eingeholt. Mathieu Blanchette und seine Mitarbeiter haben nämlich jüngst eine Software entwickelt, mit der genau das möglich ist.
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Sequenz-Alignment
Beim Vergleich von DNA-Proben verschiedener Organismen steht man vor der grundsätzlichen Aufgabe sie so auszurichten, so dass möglichst viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen sichtbar werden. Dieser "Sequenz-Alignment" genannte Vorgang wird von Genetikern aus folgendem Grund durchgeführt: Sequenzen, die einander ähneln oder gar identisch sind stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer gemeinsamen Vorläufersequenz ab, was wiederum Hinweise auf die Evolutionsgeschichte der untersuchten Organismen gibt. Auf diese Weise lassen sich etwa Stammbäume entwerfen oder Rückschlüsse auf die Funktion noch unbekannter Gene ziehen.
->   Sequenzalignment bei Wikipedia
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Elch-Test mittels Evolution am Computer
Das "Threaded Blockset Aligner" genannte Programm von Blanchette und Kollegen erlaubt es nun, die Genomdaten mehrerer Lebewesen gleichzeitig zu bearbeiten. Darüber hinaus kann man damit auch das Erbgut von deren gemeinsamen Vorfahren rekonstruieren.

Dass das Programm dazu verlässlich imstande ist, haben die Forscher folgendermaßen unter Beweis gestellt: Sie gingen von einer hypothetischen Ausgangssequenz mit 50.000 Buchstaben (d.h. Nukleobasen) aus, die sie im Computer einer simulierten Evolution unterzogen.

Ergebnis waren eine Reihe ähnlicher - weil "verwandter" - Sequenzstücke, anhand derer dann das Programm wiederum die Ausgangssequenz finden musste. Dies gelang mit einer Genauigkeit von bis zu 98 Prozent.

Allerdings ist die Software bislang noch nicht imstande, sämtliche Mutationstypen - so etwa Inversionen oder Duplikationen - zu berücksichtigen.
Genetischer Vergleich von 19 Säugetieren
Der eigentliche Praxistest erfolgte dann durch den genetischen Vergleich von 19 Säugetieren, darunter Mensch, Schwein und Ratte. Bei ausgewählten - rund zehn Gene umfassenden - Erbgutbereichen wurde dann die Sequenz des gemeinsamen Vorfahren eruiert.

Dabei handelt es sich vermutlich um einen Spitzmaus-ähnliches Tier, das vor rund 70 Millionen Jahren gelebt hat - also zu einer Zeit, als noch die Riesenechsen das große Wort auf der Bühne der Evolution führten.
Zukunft: Anwendung auf gesamtes Genom
In Zukunft will das Team um Blanchette mit den selben Methoden auch den - noch umfangreichen - Rest des Säugetiergenoms analysieren. Das ultimative Ziel sei es, "die Geschichte jeder einzelnen Base im Humangenom zu verstehen", so die Forscher gegenüber dem Onlinedienst von "Nature".

Ob man mit dieser Information auch jemals imstande sein wird, lebendige Ur-Säuger herzustellen, steht indes noch in den Sternen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 2.12.04
->   Howard Hughes Medical Institute
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01.01.2010