News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Forscher stellen künstliche Zellen her  
  Zwei US-Forscher sind dem Traum vom künstlichen Leben einen entscheidenden Schritt näher gerückt: Ihnen gelang es, einen Bakterienextrakt in künstlichen Membranen einzuschließen. Die daraus resultierenden Designer-Zellen befähigten sie mit einem genetischen Trick zur selbständigen Aufnahme von Nährstoffen.  
Noch kann man dieses System allerdings nicht wirklich als lebendig bezeichnen, wie Vincent Noireaux and Albert Libchaber vom Center for Studies in Physics and Biology der Rockefeller University berichten. Denn die Zellen haben noch nicht die Fähigkeit, sich selbst zu vermehren
...
Die Studie "A vesicle bioreactor as a step toward an artificial cell assembly" von Vincent Noireaux and Albert Libchaber erscheint demnächst auf der Website des Fachjournals "Proceedings of the National Academy of the USA" (doi: 10.1073_pnas.0408236101).
->   PNAS Early Edition
...
"Artificial life" stammt aus Computerwissenschaft
Der Begriff "artificial life" kommt eigentlich aus den Computerwissenschaften. Er wurde Ende der 80er Jahre von Christopher Langton auf der "International Conference on the Synthesis and Simulation of Living Systems" gebraucht und firmiert seitdem unter dem bekannten Kürzel "AL".

Ziel dieses Ansatzes war es ursprünglich, die spontane Ordnungsentstehung von lebendigen Systemen am Computer zu modellieren, mittlerweile gibt es aber auch eine Reihe von Biowissenschaftlern, die sich diesem Thema widmen.
Künstliches Leben im Labor erschaffen
Zu dieser Forscherfraktion gehören etwa Vincent Noireaux and Albert Libchaber, die nun einen Versuch gestartet haben, eine Vorform des Lebens im Labor herzustellen.

Dabei griffen sie zunächst auf einen zellfreien Extrakt des beliebtesten "Haustiers" der Mikrobiologen zurück, nämlich das Darmbakterium Escherichia coli.
...
Proteinsynthese im Reagenzglas
Solche Extrakte gibt es bei diversen Firmen käuflich zu erwerben, sie enthalten sämtliche relevanten Inhaltsstoffe der lebenden Zelle, weswegen man damit Proteinsynthesen im Reagenzglas durchführen kann. Allerdings kommen solche Prozesse nach einigen Stunden von selbst zum Erliegen, weil nach dieser Zeitspanne Energie und Nährstoffe aufgebraucht sind.
->   Siehe hierzu: Rapid Translation System (Roche)
...
Membran durch "Dressing-Methode" kreiert
Bild: PNAS
Um den Bedingungen in einer lebendigen Zelle näher zu kommen, suchten die Forscher nach einem Weg, den Zellextrakt in eine Membran einzuschließen.

Dafür verwendeten sie die Bausteine biologischer Membranen, so genannte Phospholipide, die sie in Mineralöl auflösten. Zu dieser Lösung fügten sie einen Tropfen des Extraktes, woraufhin dieser spontan von den Lipidmolekülen umschlossen wurde.

Das hat zunächst nichts Ungewöhnliches: Ähnliche Vorgänge können wir etwa regelmäßig beim Anrühren von Salatdressing beobachten.

Die Forscher fügten diese Tröpfchen dann in einem zweiten Schritt zu einer aus Phospholipiden bestehenden Grenzschicht zwischen Öl und einer Nährlösung (Bild rechts) - und siehe da: Der Bakterienextrakt wurde von einer Doppelmembran umschlossen - ganz so, wie es auch bei lebenden Zellen der Fall ist.
->   Membranen und Phospholipide (Uni Hamburg)
Aktivität durch leuchtendes Protein kontrolliert
Bild: PNAS
Um zu kontrollieren, ob diese Gebilde auch wie erhofft von ihrer molekularen Maschinerie Gebrauch machen, schleusten Noireaux und Libchaber eine ganz spezielle DNA in die Protozellen. Dabei handelt es sich um DNA-Sequenzen, welche die genetische Information für fluoreszierende Proteine beinhalten.

Unter anderen eines, das natürlicher Weise in der Qualle Aequorea victoria zu finden ist und nach Anregung durch UV-Licht grün zu leuchten beginnt (Bild rechts).
->   Mehr zum Quallen-Protein (FU Berlin)
...
Membran verlängert biochemische Aktivität
Auf diese Weise stellten die Forscher fest, dass die von Membranen umschlossenen Gebilde mit vier Stunden rund doppelt so lange aktiv waren, als dies beim unbehandelten Bakterienextrakt im Reagenzglas der Fall war.
...
Künstliche Poren lassen Nährstoffe durch
Zur Verlängerung der gemessenen Aktivität ersonnen Noireaux und Libchaber einen besonderen Trick: Sie fügten ein Gen für das Protein "Alpha-Hämolysin" in das Erbgut der künstlichen Zelle.

Dieses ursprünglich von der Bakteriengattung Staphylococcus stammende Protein ist eigentlich ein toxischer Wirkstoff, da es sich Membranen in einlagert und dort Poren ausbildet.

Für Wirtszellen in der freien Natur ist dieser Vorgang tödlich, im konkreten Fall hatte das aber sein Gutes: Da die Designer-Zellen in einer Nährlösung schwammen, konnten nun durch die Poren zusätzliche Nährstoffe diffundieren.

Auf diese Weise wurden die kleinen Bioreaktoren, wie die beiden Forscher ihre Schöpfung nennen, bis zu vier Tage "am Leben" erhalten.
->   Mehr zu Alpha-Hämolysin
Zellteilung in Planung
Freilich kann man in diesem Fall noch nicht wirklich von künstlichen Leben sprechen, da sich die Zellen weder selbständig teilen können noch zur Evolution fähig sind.

Für ersteres gibt es aber einen prinzipiellen Lösungsansatz: Noireaux und Libchaber wollen in Hinkunft Moleküle verwenden, die Proteine in Membranen verankern. Dies sollte mechanischen Stress auf die Membran ausüben und sie letztlich zur Teilung anregen.
Problem: Zellinhalt müsste auch kopiert werden
Obgleich von der vorliegenden Studie sehr angetan, weist David Deamer von der University of California noch auf eine weitere Schwierigkeit hin:

Um vollständige Zellteilungen zu vollziehen, müsste auch der gesamte biochemische Apparat kopiert werden. Und das sei noch eine äußerst große Herausforderung, so der Chemiker gegenüber dem Onlinedienst der Zeitschrift "Nature".
Anwendungen in Sichtweite
Abseits von Fragen der Grundlagenforschung könnte der Bioreaktor im Miniaturformat auch im medizinisch-angewandten Bereich von Nutzen sein.

Wie Arno Lukas von der Forschungsfirma "Emergentec" gegenüber science.ORF.at ausführt, könnte man damit etwa Knotenpunkte im Stoffwechsel von pathogenen Keimen ausfindig machen, die für deren Bekämpfung relevant sind.

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.12.04
->   Rockefeller University
->   University of California, Santa Cruz
->   Emergentec
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Forscher entwickelten künstlichen Spinnenfaden (23.11.04)
->   Künstliche Knochen aus zellulärem Material (9.2.04)
->   Künstliches Virus in Rekordzeit erzeugt (14.11.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010