News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Forscher klären Immunreaktion von B-Zellen  
  Forscher vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie (IMP) haben einen bisher unbekannten Mechanismus aufgeklärt, der bei der Entwicklung des Immunsystems eine zentrale Rolle spielen dürfte.  
Wie Autoimmunreaktionen verhindert werden
Im Verlauf ihrer Reifung bilden Zellen des Immunsystems an ihrer Oberfläche Strukturen aus, die es ihnen erlauben, fremde Eiweißmoleküle zu erkennen und sich daran anzuheften.

Wie verhindert wird, dass das Immunsystem sich gegen körpereigene Gewebe richtet und somit eine Autoimmunkrankheit auslöst, war bisher ein nicht in allen Details aufgeklärtes Thema der Immunologie. Demnach dürften Rezeptoren nicht für einzelne Antigene, sondern für jeweils mehrere "empfänglich" sein.
...
Die Studie "Locus 'decontraction' and centromeric recruitment contribute to allelic exclusion of the immunoglobulin heavy-chain gene" von Esther Roldán et al. wurde auf der Website des Fachjournals "Nature Immunology" (doi: 10.1038/ni1150) veröffentlicht.
->   Zum Original-Abstract
...
B-Zellen schützen vor Angriffen
Das menschliche Immunsystem ist ein hoch komplexes Abwehrsystem, das unterschiedliche Strategien einsetzt, um den Organismus vor schädlichen Eindringlingen (Antigenen) zu schützen.

Eine der "Waffen" des Immunsystems sind B-Zellen, weiße Blutkörperchen, die im Knochenmark heranreifen. Sie tragen an der Zelloberfläche so genannte Antigen-Rezeptoren, die als Immunglobuline bezeichnet werden.
Eine Milliarde verschiedener B-Zellen im Körper
Jede B-Zelle erkennt ganz spezifisch nur ein Antigen. Insgesamt gibt es allerdings rund eine Milliarde verschiedener B-Zellen, daher findet sich praktisch gegen jeden Angreifer eine passende Abwehr, hieß es in einer Aussendung des IMP.
Scheinbar paradox: Viel weniger Gene als Rezeptoren
Gäbe es für jeden Rezeptor ein eigenes Gen, so wären allein zur Produktion der B-Zellen bei weitem mehr Gene notwendig, als der Mensch insgesamt besitzt.

Die Lösung des scheinbaren Paradoxons besteht darin, dass für jeden Antigen-Rezeptor mehrere Gensegmente zuständig sind. Auf den Chromosomen existieren bestimmte Bereiche, die jeweils Dutzende bis Hunderte solcher Gensegmente enthalten.
...
Erzeugung biochemischer Vielfalt
Bevor ein Immunglobulin erzeugt wird, werden einzelne Teile aus den verschiedenen Bereichen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und durch Enzyme miteinander verknüpft. Dieser Mechanismus, gemeinsam mit einer gewissen "Schlampigkeit" der Enzyme beim Verknüpfen, erlaubt beinahe unzählige Kombinationsmöglichkeiten.
->   Immunglobuline bei medizinfo.de
...
Rezeptoren passieren "Checkpoint"
Ist ein funktionsfähiger Rezeptor entstanden, so darf die Zelle einen "Checkpoint" passieren und ihren Entwicklungsweg fortsetzen. Schließlich wird noch sichergestellt, dass der Rezeptor nicht gegen körpereigenes Eiweiß gerichtet ist.

Ist das der Fall, muss sich die Zelle durch programmierten Selbstmord eliminieren - andernfalls drohen Autoimmunkrankheiten.
Phänomen der "allelischen Exklusion"
Da beim Menschen von jedem Chromoson zwei Kopien vorliegen - ein väterlicher und ein mütterlicher DNA-Strang - müsste man annehmen, dass jede B-Zelle zwei verschiedene Rezeptortypen herstellt.

Theoretisch könnte dann einer davon gegen ein bakterielles Antigen gerichtet sein, der andere gegen körpereigenes Gewebe. Dass dies nicht der Fall ist, wussten die Forscher bereits seit einiger Zeit. Sie nannten das Phänomen "allelische Exklusion", das heißt, dass jede B-Zelle immer nur einen einzigen Rezeptortyp herstellt.
DNA-Schlingenbildung nachgewiesen
Meinrad Busslinger vom IMP und Jane Skok vom University College in London konnten diese Mechanismen aufklären: Mit einer Technik namens FISH-Analyse konnten sie die Position einzelner Gensegmente im Zellkern verfolgen.

Es zeigte sich, dass das DNA-Molekül Schlingen bildet, wodurch ursprünglich weit entfernte Bereiche in B-Zellen einander angenähert werden (Kontraktion).

Somit können entfernte Gensegmente auf einem DNA-Strang zu einem Antigen-Rezeptor-Gen verknüpft und die dazwischen liegende DNA-Schlinge eliminiert werden.
->   FISH-Analyse bei dermpath.de
Signal bewirkt Stilllegung von Gensegmenten
Die Ausbildung eines funktionsfähigen Rezeptors bewirkt ein Signal, das diese Verknäuelung schlagartig rückgängig macht (Dekontraktion), sodass die Gensegmente der zweiten Kopie wieder weit von einander entfernt liegen und somit nicht mehr zu einem zweiten funktionstüchtigen Rezeptor-Gen verknüpft werden können.

Zusätzlich bewirkt dasselbe Signal, dass die entfernten Gensegmente des zweiten DNA-Stranges stillgelegt werden, um eine zufällige Verknüpfung zu verhindern.

Dies schließt an die so genannte Epigenetik-Forschung des IMP an, bei der jene Mechanismen geklärt werden sollen, welche zur gezielten Stilllegung bzw. Aktivierung von Genen durch deren "Verpackung" führen.

[science.ORF.at/APA, 10.12.04]
->   Institut für Molekulare Pathologie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Schlüsselmolekül für Autoimmunerkrankungen (17.8.04)
->   Menschliches Immunsystem auf ein Tier übertragen (2.4.04)
->   Das Stichwort Epigenetik im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010