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Übung macht - auch bei Amnesie - den Meister  
  Auch Amnesie-Patienten können sich erinnern. Denn trotz Gedächtnisverlust speichern sie implizit neues Wissen ab. Unbewusst wieder aufrufen können sie das "Neue" aber nur, wenn es dabei um eine bestimmte Abfolge von Handlungen geht. Dann profitieren sie laut einer aktuellen Studie vom unbemerkt gesammelten Wissen - etwa indem sie schneller werden.  
Diese Erfahrung aber mit den Umständen der Lernsituation zu neuen Assoziationen zu verketten funktioniere nicht, schreiben der Psychologe Heekyeong Park und seine Kollegen von der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh.

Für die Forscher scheint damit erwiesen, dass das Konzept der strengen Zweiteilung des Gedächtnisses in einen implizierten und einen expliziten Bereich überdacht werden muss. Denn ihre Arbeit habe klar gezeigt, dass nur bestimmte implizit "abgespeicherte" Informationen das Vergessen überleben.
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Die Studie "The effect of midazolam on visual search: Implications for understanding amnesia" von Heekyeong Park, Joseph Quinlan, Edward Thornton und Lynne M. Reder wird zwischen 13. und 17. Dezember 2004 online in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht (DOI 10.1073 / PNAS 0408075101).
->   Nach Veröffentlichung online verfügbar
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Trotz Amnesie implizites Gedächtnis?
Dass es mehrere "Erinnerungssysteme" gibt, wurde bereits in zahlreichen Forschungsarbeiten bestätigt. Ebenso galt bisher als gesichert, dass Amnesie-Patienten sich an Ereignisse nicht bewusst erinnern, dass also das so genannte "deklarative" oder "explizite" Gedächtnis beschädigt ist.

Gleichzeitig nahm man aber an, dass ihre implizite oder nicht-deklarative Erinnerung ohne Beeinträchtigung funktioniert und sie deshalb lernen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Zweiteilung sollte überdacht werden
Diese einfache Zweiteilung nach "Bewusstseinszuständen" könne so nicht aufrecht erhalten werden, schreibt nun der Psychologe Heekyeong Park.

Gemeinsam mit Kollegen aus Anästhesie und Psychologie erforschte er die Gedächtnisleistung von 30 Menschen, die mit einem Medikament in eine künstliche Amnesie versetzt wurden.
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Zweigeteiltes Gedächtnis
Unter dem impliziten oder nicht-deklarativen Gedächtnis meint man die dem Erinnernden selbst nicht bewusste Erinnerung. Der Frage nach diesem "unbewussten" Erinnern nachzugehen begann man in den 1970er Jahren, als man entdeckte, dass Patienten mit vollständiger Amnesie trotzdem neue Fertigkeiten erlernen konnten, ohne sich daran zu erinnern.

Aus dem expliziten oder deklarativen Gedächtnis hingegen wird bewusst Information abgerufen (z.B. wenn man sich an den letzten Geburtstag erinnert).
->   Mehr zum impliziten und expliziten Gedächtnis in Wikipedia.org (englisch)
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Gesunde Menschen medikamentös in Amnesie versetzt
Heekyeong Park von der University of Pittsburgh ging für seine nun veröffentlichte Arbeit insofern einen neuen Weg, als er die Gedächtnisleistung nicht an Amnesie-Patienten untersuchte, sondern bei gesunden Menschen medikamentös einen temporären Gedächtnisschwund einleitete.

Die Testpersonen mussten während der künstlich ausgelösten Amnesie und danach Suchrätsel lösen. Sie dienten sich damit selbst als Kontrollgruppe.
Explizites Gedächtnis verschwindet, implizites teilweise
Die Ergebnisse: Unter Medikamenteneinfluss verschwindet das explizite Gedächtnis. Die Testpersonen konnten sich also nicht daran erinnern, das Rätsel schon einmal gelöst zu haben.

Die medikamentös "manipulierten" Personen profitierten auch nicht davon, dass sich gewisse Parameter in den Suchbildern (wie der Abstand des gesuchten Objekts vom Rand oder die Proportionen des Bildes) glichen. Dieses Wissen hätte sich eigentlich implizit anreichern sollen.
"Skill learning" funktioniert
Dennoch wurden auch die gedächtnislosen Probanden schneller, je mehr Tests sie absolvierten. "Skill learning", also das Verbessern bestehender Fähigkeiten, funktionierte auch im Zustand der Amnesie, erklären die Wissenschaftler.

"Amnesie beeinträchtigt bewusste und unbewusste Aspekte des Lernens negativ", heißt es in der nun veröffentlichten Studie. Dennoch wirkt sich ständiges Üben positiv aus.
Assoziationen können nicht gebildet werden
Die Schlussfolgerung der Forscher: Implizites Lernen wird dann von Gedächtnislosigkeit beeinträchtigt, wenn Assoziationen gebildet werden müssen. Kann ganz ohne Rückkoppelung zu Begleitumständen gelernt werden, spielt auch eine Amnesie keine Rolle.

Die starre Zweiteilung der Gedächtnisleistung in implizites und explizites Lernen sollte deshalb nach Meinung der Wissenschaftler von der Universität Pittsburgh überdacht werden.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 14.12.04
->   Center for the Neural Basis of Cognition, Universität Pittsburgh
->   Mehr über das Gedächtnis im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010