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Deutschsprachiges Theater in der CSR  
  Das deutschsprachige Theater in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) bot seinem Publikum nicht nur Kunst oder Unterhaltung. Wie Katharina Wessely, Theaterwissenschaftlerin und derzeit Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien, in einem Gastbeitrag ausführt, stellte es auch einen Raum dar, der der nationalen Selbstbestätigung diente - und zwar sowohl der Tschechen als auch der Deutschen.  
Theater und Nation

Von Katharina Wessely

Das Theater ist an Orten mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein ganz besonderer, nicht nur kultureller, sondern auch politischer Faktor - ganz besonders gilt dies für die Erste Tschechoslowakische Republik. Hier wurden vor allem die Fragen von Nationalstaats- und Minderheitenproblematik heftig diskutiert.
Konflikt-Austragung auch auf der Bühne
Die deutschsprachige Minderheit stellte in der CSR rund 3,5 Mio. Einwohner, in weitgehend geschlossenen Siedlungsgebieten in den Grenzregionen und in Sprachinseln.

Die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen zogen sich durch die gesamte Geschichte der Ersten Republik und wurden auch auf dem Sektor des Theaters ausgetragen.
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Katharina Wessely spricht zum Thema "Theater und Nation. Das deutschsprachige Theater in der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918-1938" am Montag, 20. Dezember 2004, 18 Uhr c.t. im. Der Vortrag findet am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschschaften, 1010 Wien, Reichsratsstraße 17 statt.
->   IFK
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Wichtig für "nationale Wiedergeburt"
Schon zur Zeit der Monarchie hatte das tschechische Theater einen wichtigen Stellenwert für die Bewegung der "nationalen Wiedergeburt", war eines der wichtigsten Mittel, um die tschechische Sprache als Hochsprache zu etablieren und spielte eine wichtige Rolle in der Frage der nationalen tschechischen Identität.
Kampfplatz für Tschechen wie für Deutsche
Genauso war das Theater für die deutsche Bevölkerung auf dem Gebiet der späteren Tschechoslowakei von großer Bedeutung. Es sollte die Deutschen mit den großen Werken deutscher Dichtung bekannt machen und ihnen vermitteln, dass sie Teil dieses Deutschtums wären.

Sowohl Deutsche als auch Tschechen hatten im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vorstellung, dass "Kultur", und hier insbesondere das Theater, ein Kampfplatz sei, an dem man der jeweils anderen Nation die eigene Überlegenheit vorführen könne.
Destruktive und konstruktive Haltungen
Während einerseits im "Volkstumskampf" ein Kleinkrieg um "nationale Besitztümer" geführt wurde, standen auf der anderen Seite die großen deutschen Parteien der CSR, die von 1926 bis 1938 an der Regierung teilnahmen und deren als "Aktivismus" bezeichnete konstruktive Haltung lange Zeit von großen Teilen der deutschen Bevölkerung und Presse geteilt wurde.
"Vom Untergang bedrohtes ...
Dieses breite Spektrum an möglichen Einstellungen zum tschechoslowakischen Staat und zu den Tschechen findet sich auch in den Diskussionen um die Theater wieder.

Einerseits wurde im Versuch der Erhaltung der deutschen Theater während der Theaterkrisen der 20er und 30er Jahre eine Rhetorik des Kampfes und der permanenten Bedrohung geführt, wurden Ängste um den Verlust der kulturellen Identität beständig geschürt.
... vs. Verständigungs-Theater"
Diese Vorstellung eines ständig vom Untergang bedrohten Theaters bildet auch die argumentative Grundlage für die sich mit der Wirtschaftskrise der 30er Jahre verstärkenden Konflikte zwischen den einzelnen Interessensvertretern am Theater.

Gleichzeitig wird das Theater jedoch gerade von vielen Theaterpraktikern als Mittel zur Verständigung gesehen und genutzt.
Theater Brünn: Beispiel für Kooperation
Ein Beispiel dafür stellt die kontinuierliche Zusammenarbeit von deutschem und tschechischem Opernensemble in Brünn dar. Den Beginn machen dabei Festaufführungen zu verschiedenen Anlässen, weitergeführt wird dies dann ab 1924, als Smetanas "Kuss" als erste tschechische Oper am Brünner deutschen Theater aufgeführt wird.
Für eine europäische Versöhnung
Dabei werden nicht nur die Dekorationen des tschechischen Theaters verwendet, es werden auch die Hauptrollen von den Sängern des tschechischen Ensembles gesungen, die Inszenierung vom tschechischen Operndirektor einstudiert.

Die große positive Resonanz beim Publikum (soweit sich diese heute noch aus den Theaterkritiken ablesen lässt) haben diese Aufführungen mit den Inszenierungen von Antikriegsstücken gemeinsam.

Diese wenden sich dabei nicht nur gegen den Krieg schlechthin, sondern vor allem gegen den in Europa erstarkenden Nationalismus - das Theater bezieht hier klar Position für eine notwendige europäische Versöhnung.
Sehr unterschiedliche Positionen
Anhand verschiedener Aspekte aus der Geschichte des Brünner deutschen Theaters lässt sich also herausarbeiten, dass zu den in der Zwischenkriegszeit permanent verhandelten Fragen nach Nation und Identität durchaus unterschiedliche Positionen eingenommen wurden.

Die Diskussionen verschränkten sich dabei mit denen ums Theater, theoretische Reflexion und praktische Theaterarbeit klafften hier mitunter weit auseinander.

[20.12.04]
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Über die Autorin
Katharina Wessely studierte Theaterwissenschaft, Geschichte, Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Wien. Sie war 2000 Mitarbeiterin am EU-Interreg-Projekt "Österreichisch-Tschechische Theatergeschichte der Zwischenkriegszeit am Beispiel Brünn", 2001 Mitarbeiterin am FWF-Projekt "Österreichische Theatertopographie 1918-1938", 2002-2004 Wissenschaftliche Assistentin im Jüdischen Museum der Stadt Wien.

2004/2005 IFK_Junior Fellow mit dem Projekt "Theatergeschichte als Gesellschaftsgeschichte. Deutschsprachiges Theater in der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918-1938".
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01.01.2010