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Gene und Krankheiten: Zusammenhänge oft falsch  
  Studien, die einen Zusammenhang zwischen Genvarianten und bestimmten Erkrankungsrisiken postulieren, gibt es wie Sand am Meer. Nicht selten stellt sich jedoch heraus, dass deren Ergebnisse nicht reproduzierbar sind. Um solche Falschmeldungen künftig zu vermeiden, mahnen Forscher nun ein besseres Studiendesign ein.  
Allheilmittel gegen wissenschaftliche Irrtümer gibt es freilich keine, Experten schlagen jedoch vor, mehr Familienstudien zu betreiben und sich größerer Untersuchungssamples zu bedienen.
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Der Artikel "Gene Association Studies Typically Wrong" von Jack Lucentini erschien im Wissenschaftsmagazin "The Scientist" (Band 18, Ausgabe vom 20.12.04).
->   Zum Original-Artikel (Registrierung notwendig)
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Genvariante erhöht Schizophrenie-Risiko
Im Jahr 1992 schloss eine Forschergruppe um den Psychiater Marc-Antoine Crocq vom Centre Hospitalier de Rouffach in Frankreich eine Studie ab, die einen klaren Zusammenhang zwischen bestimmten Genvarianten und Schizophrenie zu Tage förderte.

Die Forscher fanden heraus, dass Träger von mutierten Dopamin-D3-Rezeptoren im Gehirn ein um den Faktor 2,6 erhöhtes Erkrankungsrisiko aufweisen.

Mittlerweile sind mehr als 50 Folgestudien zu diesem Thema erschienen, die derart umfangreiches Datenmaterial angehäuft haben, dass unter ihnen sogar Metastudien von Metastudien zu finden sind.
->   Zur Originalstudie ("Journal of Medical Genetics")
Resultat vermutlich falsch
Deren Resultate sind zwar nicht ganz konsistent, die ursprünglichen Ergebnisse dürften aber aller Wahrscheinlichkeit nach falsch sein.

Zu diesem Schluss kommt sogar Crocq persönlich, der die vorhandenen Daten einer Analyse unterzogen hat: "Auch heute weiß ich nicht genau, was ich glauben soll", meint er gegenüber "The Scientist": "Aber der Großteil der Untersuchungen weist darauf hin, dass es keine Assoziation gibt."
Kein Einzelfall
Crocqs Studie ist kein Einzelfall: Zwei kürzlich erschienene Analysen zeigen, dass ein postulierter Zusammenhang zwischen einzelnen Genen und komplexen Krankheiten in zwei Dritteln der Fälle nicht reproduziert werden kann. Und wenn das gelingt, ist die statistische Verbindung meist schwächer, als ursprünglich vermutet.
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Zu diesem Thema erschienen im Fachblatt "Nature Genetics" die Studien
"Meta-analysis of genetic association studies supports a contribution of common variants to susceptibility to common disease" von Kirk E. Lohmueller et al. (Band 33, S. 177) sowie "Replication validity of genetic association studies" von John P.A. Ioannidis et al. (Band 29, S. 306).
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Moderne Methoden verschärfen Problem
Wie Sholom Wacholder, von der Biostatistik-Abteilung der National Institutes of Health betont, dürfte sich das Problem im Zeitalter der so genannten High-Troughput-Methoden noch verschärfen.

Heutzutage sei es eben ohne großen finanziellen Aufwand möglich, ein breites genetisches Screening zu unternehmen und so eine Reihe von Hypothesen zu testen.

Auch solche, die zu Beginn der Studie als nicht sehr wahrscheinlich gelten: Das sei der Grund, warum die Zahl der "Fehlalarme" im Zunehmen begriffen ist.
Gegenmittel: Statistik, Familienstudien, große Samples
Als Gegenmittel empfiehlt Wacholder, sich des Konzepts der so genannten unbedingten Wahrscheinlichkeit ("prior probability") zu bedienen, mit dem sich die Plausibilität von Gen-Krankheits-Assoziationen vor dem Studienbeginn abschätzen lässt.

Kirk Lohmueller von der Georgetown University schlägt hingegen vor, mehr Familienstudien zu betreiben und größere Untersuchungssamples zu verwenden. In solchen Fällen sei nämlich die Bestätigungsrate höher gewesen, wie er betont.
->   Prior probability bei Wikipedia
Experte: Auch negative Studien veröffentlichen
Eine weitere - einfache - Gegenmaßnahme hat noch Tom Trikalinos von der Universität Ionnanina in Griechenland parat. Er empfiehlt, vermehrt Studien mit negativen Resultaten zu veröffentlichen, denn diese seien ebenso Teil der Wahrheit wie ihre positiven Gegenstücke.

Ansonsten verweist Trikalinos auf ein altes Prinzip wissenschaftlicher Redlichkeit: Jedem Studienergebnis ist solange mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen, bis es reproduziert werden konnte - und zwar am besten öfter als einmal.

Robert Czepel, science.ORF.at, 30.12.04
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Wichtiges Gen für Parkinson entdeckt (17.11.04)
->   Statistik: Der (falsche) Umgang mit den Zahlen (7.4.04)
->   Gen-Defekt bei Schizophrenie und Depression (5.9.03)
->   Epigenetik: Erbkrankheiten "ohne" Gene? (18.2.03)
 
 
 
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01.01.2010