News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Schlafverhalten verändert sich mit Alter systematisch  
  Manche Menschen sind Frühaufsteher, manche Langschläfer: Dass dies nicht nur Folgen des Lebensstils sind, sondern auf die "innere Uhr" des Körpers zurückzuführen ist, wissen Biologen schon länger. Deutsche Forscher haben nun ein bekanntes Merkmal dieser inneren Uhr mit Daten untermauert: Individuelles Schlafverhalten verändert sich mit dem Alter systematisch.  
Davon berichtet ein Team um Till Roenneberg vom Institut für Chronobiologie der Universität München in "Current Biology".
...
Die Studie "A marker for the end of adolescence" ist in "Current Biology" (Bd. 14, S. 1038, Ausgabe vom 29. Jänner 2004) erschienen.
->   Original-Abstract in "Current Biology"
...
Chronotypen: Kinder und Alte sind "Lerchen" ...
Der so genannte circadiane Tag eines jeden Menschen hat seine körpereigene Rhythmik, meist etwas mehr als 24 Stunden. "Unter natürlichen Bedingungen wird diese Periodik täglich mit der Erdrotation synchronisiert", so Roenneberg in einer Aussendung der Uni München.

"Je nach genetischer Konstellation und innerer Tageslänge betten sich Menschen aber unterschiedlich in den äußeren 24-Stunden-Tag ein, was wir als Chronotyp bezeichnen."

In der Bevölkerung gebe es wenige extrem frühe Individuen, die Lerchen, und wenige extrem späte Individuen, die Eulen, sowie sehr viele dazwischen.
... Jugendliche sind "Eulen"
Roenneberg und sein Team zeigten, dass sich der Chronotyp systematisch mit dem Alter verändert. Kinder sind frühe Chronotypen, die sich in der Pubertät und Adoleszenz nach hinten verschieben.

Etwa mit 20 Jahren wird ein Maximum des Spätseins erreicht. Dann bewegt man sich wieder hin zu früheren Zeiten.
->   Welcher Typ sind Sie - Eule oder Lerche? (Fragebogen, Uni München)
Klarer Umkehrpunkt bei zwanzig Lebensjahren
"Erstaunlich ist, dass sich ein scharfer Kipppunkt der Kinetik bei Frauen im Alter von 19,5 Jahren, bei Männern im Alter von 20,9 Jahren ergibt", meint Roenneberg.

"Der Entwicklungsabschnitt Pubertät ist sehr genau in seinem Anfang und Ende als biologischer Prozess definiert. Im Gegensatz dazu wird in der Literatur zwar immer der Entwicklungsabschnitt Adoleszenz herangezogen, dessen Anfang mit dem Beginn der Pubertät zusammenfällt, dessen Ende aber nie klar definiert wurde."
...
Biologischer Marker für Adoleszenz
Zahlreiche physiologische, anatomische und soziobiologische Merkmale werden herangezogen, um die Adoleszenz abzugrenzen. Das eindeutige Umschwenken von Verspäten zu Verfrühen im Alter von 20 herum könnte nach Ansicht der Forscher der erste biologische Marker für das Ende dieses Entwicklungsabschnittes sein.

"Diese Beobachtung sollte eine Diskussion darüber anstoßen, ob sich die Adoleszenz, entsprechend der Pubertät, mit Hilfe biologischer Grundlagen definieren lässt", so Roenneberg.
...
Geschlechterunterschied verschwindet mit 50
Da Männer im Laufe ihrer Entwicklung über einen längeren Zeitraum ihren Chronotypus nach hinten schieben, sind sie als Erwachsene im Durchschnitt spätere Chronotypen als Frauen.

"Dieser Unterschied wird mit zunehmendem Alter immer kleiner und hebt sich mit ungefähr 50 Jahren auf, wenn also Frauen im Schnitt in die Wechseljahre kommen", so Roenneberg.
Biologische Ursachen der Altersabhängigkeit
Die Studienergebnisse sprechen dafür, dass die altersabhängigen Verschiebungen des Chronotyps unter anderem hormonelle Ursachen haben. So sind Frauen in der Regel bei allen Entwicklungsprozessen früher dran als Männer.

Zudem zeigen Vergleiche zwischen Stadt- und Landbevölkerungen zwar Unterschiede - im Mittel ist der Chronotyp in ländlichen Regionen früher dran, was sich durch die erhöhte Lichtexposition erklären lässt. Insgesamt ist die Auf- und Abkinetik über die verschiedenen Altersgruppen hinweg jedoch dieselbe.

Zuletzt deuten die Selbsteinschätzungen der 25.000 Teilnehmer einer Studie der Roenneberg-Gruppe bezüglich ihrer Chronotypen als Kind, Teenager und Erwachsene an, dass sich die altersabhängige Kinetik über die vergangenen 60 Jahre kaum geändert hat.
Konsequenzen für Medikamenten-Einnahme ...
Die Konsequenzen aus diesen Resultaten sind weit reichend. Interessant sind sie etwa für die Chronopharmakologie, die untersucht, zu welcher Tageszeit, abgestimmt auf die circadiane Uhr, Medikamente mit der geringsten Dosis - und somit auch stark reduzierten Nebenwirkungen - bei gleich bleibender oder sogar erhöhter Effizienz verabreicht werden sollen.

Dabei kann nicht von einem durchschnittlichen Chronotyp ausgegangen werden. Das Individuum muss berücksichtigt werden. Nach den vorliegenden Ergebnissen wird aber das Alter eine Rolle spielen.
... und für Schichtarbeiter
Dies gilt auch im Bereich der Schichtarbeit. Bereits 20 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in Schichten. Die Fähigkeit, sich an Nachtschichten anzupassen, hängt aber stark vom Chronotyp ab.

Spättypen fällt die Anpassung leichter, während starke Frühtypen sich praktisch gar nicht anpassen können. Dies muss bei der Einteilung von Schichtarbeit berücksichtigt werden, weil eine schlechte Anpassung zu hohem physiologischen Stress und bei langjähriger Schichtarbeit zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Gesundheit führen kann.

Die neuen Ergebnisse der altersabhängigen Veränderung der Chronotypen erklären auch, warum sich jüngere Mitarbeiter sehr viel besser als ihre Kollegen an eine Schichtumstellung anpassen können.
Schüler bekommen zu wenig Schlaf
Letztlich sollten auch, so die Forscher, die Schulanfangszeiten in der Adoleszenz überdacht werden. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die allseits bekannte Verspätung bei Jugendlichen nicht allein auf deren Lebenswandel zurückzuführen ist.

"Unser Schlaf wird unter der Woche von zwei verschiedenen Uhren begrenzt", berichtet Roenneberg. "Der Schlafbeginn wird hauptsächlich von der inneren Uhr, das Ende des Schlafes dagegen vom Wecker bestimmt. Je später der Chronotyp, desto weniger Schlaf bekommen die Menschen."
Früh aufstehen besonders im Winter sinnlos
Jugendliche vor allem häufen also an Arbeitstagen ein großes Schlafdefizit an, das sie an freien Tagen wieder einzuholen versuchen. Nach den neuen Ergebnissen "verschlafen" daher späte Chronotypen die Hälfte ihrer freien Tage.

Schlafentzug, besonders in der zweiten Hälfte der Nacht, die auf den Lerntag fällt, hat schwerwiegende Folgen für die Konsolidation erlernter komplexer Zusammenhänge. In genau dieser Situation befinden sich aber Jugendliche, wenn die Schule für ihren Chronotyp zu früh beginnt.

"Im Winter macht ein früher Schulbeginn besonders wenig Sinn", so Roenneberg. "Nur Licht kann in den Morgenstunden späte innere Uhren nach vorne stellen. Jugendliche vollziehen das Aufwachen und den Schulweg im Winter aber in Dunkelheit."

[science.ORF.at/idw, 30.12.04]
->   Institut für Chronobiologie, Uni München
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Auch in Krebsgeweben tickt die Uhr noch richtig (18.11.03)
->   "Gen-Frage": Frühaufsteher oder Nachtschwärmer? (17.6.03)
->   Wie die innere Uhr mit dem Körper spricht (28.5.02)
->   Körper-Uhren: Organe folgen ihrem eigenen Takt (22.4.02)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010