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Lücken in österreichischer NS-Aufarbeitung  
  Große Lücken bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich ortet der US-Historiker Evan Burr Bukey. Der Wiener Universitätsprofessor für Zeitgeschichte Gerhard Botz stimmt dem prinzipiell zu - und macht strukturelle Gründe dafür verantwortlich.  
Offene Fragen - und ihre Ursachen
Im Zuge seiner Forschungen sei er auf viele noch offene Fragen gestoßen, erklärte Bukey in einem Interview mit der APA. Das reiche von fehlenden Studien über die Rollen von Frauen und Jugendlichen während der NS-Zeit über mangelndes Datenmaterial zur Mitwirkung von Österreichern am Holocaust bis zu fehlenden Biografien österreichischer "Gauleiter" sowie Arbeiten über die Entwicklung der NSDAP zwischen 1938 und 1945.

Befragt von science.orf.at, gab Gerhard Botz, Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, dem Befund Bukeys im Prinzip Recht. Das habe aber weniger mit mangelnder wissenschaftlicher Sorgfalt zu tun, vielmehr mit strukturellen und politischen Ursachen: Die Erforschung des Nationalsozialismus sei viele Jahre ein "Unthema" gewesen, das kaum politische Unterstützung erfuhr.
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Evan Burr Bukey
Evan Burr Bukey von der University of Arkansas ist Autor der Studie "Hitlers Österreich", die dieses Frühjahr in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Darin kommt der Historiker zu dem Schluss, dass die Unterstützung des NS-Regimes in Österreich vor allem auf drei Säulen ruhte: auf dem Antisemitismus, auf der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung und auf der "emotionalen Verbundenheit zu Großdeutschland". Davor hatte sich der Wissenschaftler in Österreich vor allem mit seiner Geschichte der Stadt Linz zwischen 1908 und 1945 einen Namen gemacht.
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Keine Förderungen
Noch in den 90er Jahren, so Botz, der in seiner Buchreihe unter finanziellen Schwierigkeiten Bukeys Linz-Buch herausgegebracht hatte, sei es schwierig gewesen, Fördermittel für die wissenschaftliche Erforschung dieses Themas zu gewinnen.

Ebenso sei das Institut für Zeitgeschichte in Wien - als zentrale Institution zur Erforschung der NS-Zeit - kaum unterstützt worden: In den vergangenen 30 Jahren sei der Personalstand um einen einzigen Assistenten gewachsen. Von den vier Professoren, die bis vor kurzem am Institut arbeiteten, werden drei bis 2002 das Haus verlassen haben. Nachbesetzungen sind in Frage gestellt oder verzögern sich.

Das Wissenschaftsministerium würde zugesagte Planposten nicht freigeben, was Konsequenzen für den Lehrbetrieb und für die Forschung habe.
Dennoch viele Einzelstudien
Nichtsdestotrotz gebe es derzeit eine große Anzahl "frei schwebender", spezialisierter Nachwuchs-Historiker, die engagierte NS-Forschung betrieben.

Diese, so Botz, seien Bukey offensichtlich nicht bekannt. Unter anderem hätte sich die vor wenigen Tagen fertig gestellte Habilitation von Johanna Gehmacher mit dem Themenkomplex "Weibliche Jugend und Nationalsozialismus in Österreich" beschäftigt. Auch Studien zur Mitwirkung von Österreichern am Holocaust etwa von Betrand Perz seien in Arbeit.
Wenig rosige Zukunft
Die Zukunft der NS-Aufarbeitung sieht Botz, der auch Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für historische Sozialwissenschaft ist, wenig rosig. Die von der Bundesregierung eingesetzte - prinzipiell begrüßenswerte - Historikerkommission zur Arisierung würde derzeit 40 Wissenschaftler beschäftigen.

Aber nur noch maximal ein Jahr - danach, so Botz, würden diese " wieder auf der Straße stehen".

(APA/red)
->   Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
->   Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialforschung
 
 
 
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01.01.2010