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Sehen verbessert akustische Wahrnehmung  
  Das Phänomen kennt wahrscheinlich jeder: Bei einem Vortrag kann man den Inhalten leichter folgen, wenn man nicht nur die Worte hört, sondern gleichzeitig auch das Gesicht des Referenten sieht. US-amerikanische Forscher konnten nun beweisen, dass der Prozess des Verstehens gesprochener Sprache durch begleitende visuelle Reize deutlich beschleunigt wird.  
Visuelle Eindrücke helfen bei Orientierung
Mit Hilfe von Elektroenzephalogrammen und psychophysikalischen Experimenten wiesen sie nach, dass sich akustische und visuelle Reize gegenseitig beeinflussen. Dem visuellen Reiz kommt dabei die Rolle zu, die möglichen Inhalte des Gesagten einzuengen.

Die Mimik des Sprechers gibt dem Gehirn schon deutliche Hinweise, wie der Inhalt gemeint sein könnte, wodurch er schneller verstanden wird.
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Der Artikel "Visual speech speeds up the neural processing of auditory speech" von Virginie van Wassenhove, Ken W. Grant und David Poeppel wird zwischen dem 10. und 14. Jänner online in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) veröffentlicht (doi 10.1073 / pnas.0408949102).
->   Nach Veröffentlichung Abstract des Artikels
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"Multimediale" Gehirnrinde
Die Neuro-Wissenschaftler der Universität Maryland und des "Walter Reed Army Medical Center" in Washington entdeckten, dass Teile der Hirnrinde, die man bisher hauptsächlich der Sprachverarbeitung zuwies, "multimedial" veranlagt sind:

Sie können nicht nur akustische Reize verarbeiten, sondern auch visuelle Eindrücke zur richtigen Einordnung eingehender Signale heranziehen.
Silbenverständnis getestet
26 Versuchspersonen nahmen an den Verständnistests teil. Die Wissenschaftler zeigten ihnen Videoaufnahmen, in denen ein Frauengesicht die Silben "pa", "ta" und "ka" artikulierte.

Die Teilnehmer sahen entweder nur die Mundbewegung, hörten nur eine gesprochene Silbe oder bekamen beide Reize gleichzeitig präsentiert.
Multimodales Arbeiten des Gehirns bisher angezweifelt
Für die Wissenschaftler besonders interessant war, ob sich die These bestätigen würde, dass das Gehirn nur beschränkt "multimodal" arbeiten könne.

Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Aktivität von Gehirnteilen, die mit der Sprachverarbeitung befasst sind, nachlässt, wenn nicht nur Sprache, sondern etwa auch visuelle Reize auf den Aufnehmenden einströmen.

Gehirnforscher vermuteten deshalb, dass verschiedenartige Reize nur eingeschränkt gleichzeitig verarbeitet werden können.
Visuelle Eindrücke lenken Gehirn in richtige Richtung
Diese These konnten die Forscher rund um die Neurologin Virginie van Wassenhove widerlegen: Dass die Aktivität der sprachverarbeitenden Gehirnteile nachlässt, erklären sie damit, dass die akustischen Reize durch die begleitenden visuellen Eindrücke sofort in die richtigen Bahnen gelenkt werden.

Das Gehirn weiß sofort, in welche Richtung es die Töne interpretieren muss und kann dadurch die Energie reduzieren - die Gehirnaktivität nimmt ab.
Zwei Phasen der Sprachverarbeitung
Dementsprechend unterscheiden die Wissenschaftler zwei Phasen in der Sprachverarbeitung: In der ersten Phase ermöglichen die visuellen Eindrücke die frühe Interpretation der einlangenden Töne.

In der zweiten Phase befindet sich das Gehirn in einem bimodalen Verarbeitungszustand.
"Wahrnehmungsskizzen" im Gehirn vermutet
Dass Menschen Silben deutlich schneller verstehen, wenn visuelle Eindrücke mitgeliefert werden, führen die Forscher auf grobe Skizzen verschiedener Wahrnehmungssysteme zurück, die wahrscheinlich im Gehirn vorhanden sind.

Die visuellen Hinweise zeigen dem Gehirn, welcher dieser "Orientierungspläne" angewandt werden soll, sodass ein langes Suchen nicht mehr erforderlich ist.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 11.1.05
->   Website von Virginie van Wassenhove (mit Publikationen)
->   Mehr zum Thema "Sprache" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010