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"Geisteswissenschaft fühlt sich minderwertig"  
  Einen "Minderwertigkeitskomplex" der Geisteswissenschaftler konstatiert die ehemalige Leiterin des Collegium Helveticum und nunmehrige Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Wien, Helga Nowotny.  
Die emeritierte Professorin für Wissenschaftsforschung der ETH Zürich war am Donnerstagabend erster Gast der "Science Talks" in der Neuen Galerie in Graz und sprach zum Thema "Wissenschaft und Öffentlichkeit". Die Gesprächsserie wird im Zweimonatsrhythmus mit renommierten Wissenschaftlern und Theoretikern fortgesetzt.
Zu unrecht marginalisiert
Angesichts der ungleich höheren finanziellen Zuwendungen der Wirtschaft an die naturwissenschaftliche, medizinische und technische Forschung fühlten sich die Geisteswissenschaften (Gewi) oftmals marginalisiert:

"Die Vertreter dieses Bereiches leiden unter einen Minderwertigkeitskomplex", so Nowotny. Sie hingegen wehre sich gegen die Annahme, dass deren wissenschaftliche Produktion kaum etwas zum ökonomischen Wohlstand beitrage:

"Die Geisteswissenschaft hat eine enorme wirtschaftliche Funktion, die nicht gesehen wird. Der ganze Kulturbetrieb lebt von den Absolventen der Gewi-Fakultäten".
Neues bringt Unischerheiten
Zudem würden Gesellschaften wie die Unsrigen auf das ständige Hervorbringen des Neuen setzen. Solche Innovationen dienten zwar dazu, den Handlungsspielraum zu vergrößern und zusätzliche Optionen zu schaffen.

Zugleich würden mit ihnen aber auch die Unsicherheiten größer werden. Wie mit solchen Unsicherheiten umzugehen ist, müsse innerhalb der ganzen Gesellschaft immer wieder neu ausgehandelt werden.

"Wir müssen abrücken von dem Bild, dass die Wissenschaft mit absoluten Sicherheiten aufwarten kann", hält die Soziologin und Juristin fest. Und dabei könnten Geisteswissenschaften eine entscheidende Rolle spielen, meint Nowotny.
Gewi prägen kulturelle Identität
Was die Zukunft der Geisteswissenschaften in der Wissensgesellschaft anbelangt, zeigte sich Nowotny zuversichtlich: "Ich bin optimistisch insofern, als wir ohne diese nicht auskommen könnten - sie prägen unsere soziale kulturelle Identität wesentlich mit".

Vorausgesetzt sei allerdings, man findet eine gemeinsame Sprache und "wir brauchen eindeutig mehr Offensive von Seiten der Gewi".
Aufholbedarf: Bei Kooperation...
Allerdings hätten viele Geisteswissenschaftler zum einen Einzelforschermentalität und würden sich zum anderen gerne abschotten. "Sie müssen lernen, mehr untereinander zu kooperieren und zu kommunizieren - dann kann man auch leichter in der Öffentlichkeit auftreten".
...und finanzieller Förderung
In puncto öffentlicher Förderung sieht Nowotny ebenfalls ein Versäumnis. Es wäre hoch an der Zeit, sich Gedanken über das nächste EU-Forschungsrahmenprogramm zu machen. Dort soll es dann auch spezielle Forschungsförderung für Grundlagenforschung geben.

Nur: "Die Geisteswissenschaftler wissen selbst nicht, nach welchen Kriterien sie gefördert werden wollen. Diese Kriterien müssen sich die Forscher dieser Bereiche einmal überlegen", so Nowotny.

[science.ORF.at/APA, 14.1.05]
->   Website von Helga Nowotny (ETH Zürich)
 
 
 
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01.01.2010