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Keine wissenschaftliche Grundlage für Rassismus  
  Die Entzifferung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 hat den Anhängern von Rassenkonzepten scheinbar neue Argumente verliehen. Doch selbst die meisten Genetiker halten nichts von vereinfachenden Schlüssen, denen zufolge bestimmte Ethnien auch klar zuordenbare Eigenschaften haben.  
Die US-Psychologenvereinigung (APA) möchte mit einer am Sonntag erschienenen Spezialausgabe ihrer Fachzeitschrift "American Psychologist" nun eine Diskussion darüber auslösen, wie Gene, Rassenkonzepte und Psychologie zusammenhängen.

Dazu haben sie eine Reihe namhafter Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen eingeladen, um über Gegenwart und Zukunft dieses schwierigen Verhältnisses nachzudenken. Der Schluss zweier Anthropologen: Die biologische "Rasse" ist fiktiv, der soziale Rassismus hingegen real.
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Der "American Psychologist" ist am 17. Jänner 2005 unter dem Titel "Genes, Race, and Psychology in the Genome Era" erschienen. Nebst anderen finden sich darin die Artikel "Race and Ethnicity in the Genome Era: The Complexity of the Constructs" von Francis Collins und Kollegen sowie "Race as Biology Is Fiction, Racism as a Social Problem Is Real: Anthropological and Historical Perspectives on the Social Construction of Race" von Audrey und Brian D. Smedley.
->   "American Psychologist"
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Zusammenspiel genetischer und anderer Faktoren
Francis Collins, Leiter des US-amerikanischen Genomforschungsinstitutes bei den National Institutes of Health (NIH), hält seinen mit Kollegen geschriebenen Artikel sehr vorsichtig. Unter seiner Führung hatte ein internationales Team von Genomforschern das menschliche Erbgut 2001 entziffert.

Die große Mehrheit phänotypischer Eigenschaften, so schreiben sie, verdanke sich einem "komplexen Zusammenspiel von multiplen genetischen und nichtgenetischen Faktoren".

Zwar gebe es Häufungen von genetischer Variation in verschiedenen Bevölkerungen, scharfe genetische Grenzen können aber nicht gezogen werden.
"Rasse" ohne klare Definition
Wie Collins bereits in einem Artikel in "Nature Genetics" im November des Vorjahrs geschrieben hat, gibt es für die Begriffe "Rasse" und "ethnische Zugehörigkeit" keine allgemein übereinstimmenden Definitionen.

Sie tragen eine Vielzahl von komplexen Bedeutungen in sich. Diese spiegeln sowohl Umweltfaktoren wie auch die durch Vorfahren gegebenen Verbindungen zu geografischen Orten wider.
->   Mehr dazu: Das Rassenkonzept hat ausgedient (2.11.04)
Biologische Rasse ist Fiktion, Rassismus nicht
Die Anthropologen Audrey und Brian Smedley von der Virginia Commonwealth University beziehen in ihrem Artikel klar Stellung gegen manche Neuversuche, das Rassenkonzept genetisch zu rechtfertigen.

Die knappe Zusammenfassung ihrer These: "Die Rasse als Biologie ist Fiktion, Rassismus als soziales Problem ist wirklich."
Kurze Geschichte der Rassen-Idee
Die beiden Forscher gehen von einem dreifachen Versagen der Rassen-Hypothese beim Menschen aus: sie liefere keine diskreten Daten zur Unterscheidung, sie könne nicht verlässlich gemessen werden und sie sei wissenschaftlich schlicht sinnlos.

Doch selbst diese Gegenargumente lassen oft außer acht, wie die Idee von "Rasse" überhaupt entstanden ist. Deshalb zeichnen die beiden Smedleys diese - vergleichsweise kurze - Geschichte aus US-Sicht nach.
"Neue Ideologie menschlicher Unterschiede"
Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sei "Rasse" in der englischen Sprache als Bezeichnung einer Kategorie verwendet worden - ähnlich wie die Worte "Typ, Sorte oder Art".

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden mehr und mehr die verschiedenen Bevölkerungen Nordamerikas damit bezeichnet: Europäer, Afrikaner und amerikanische Ureinwohner (Indianer).

Der Ausdruck begann sich durchzusetzen, es entstand "eine neue Ideologie von menschlichen Unterschieden" und ein "neuer Weg, die Gesellschaft zu strukturieren".
Demokratie nur für die Weißen
Warum gerade zu diesem Zeitpunkt? Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden Afrikaner in großen Mengen zu Sklaven in den amerikanischen Kolonien gemacht.

In einer Zeit, in der die politische Philosophie über Werte wie Freiheit, Bürgerrechte, Demokratie und Gerechtigkeit sinnierte, blieb "den Christen nur eine Möglichkeit, Sklaverei zu rechtfertigen": indem man den Afrikanern schlicht ihren Menschen-Status absprach.
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Jefferson als Vordenker der Ungleichheit
Als einen Hauptverantwortlichen für dieses Denken identifizieren Smedley und Smedley Thomas Jefferson, einer der Hauptautoren der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und dritte Präsident der Vereinigten Staaten.

Jefferson habe in einem Buch über "den Charakter der Neger" geschrieben, die er "einzig in ihrer Rolle als Sklaven in den Plantagen" kannte, und ihnen eine "natürliche Minderwertigkeit" attestiert. Zur Untermauerung seiner Thesen habe er auch die Hilfe der Wissenschaft erbeten.
->   Mehr über Thomas Jefferson (Wikipedia)
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Volksmeinung als Mechanismus für Privilegien
Von ihrem Beginn, so fassen die beiden Anthropologen zusammen, sei das Rassenkonzept "Volksmeinung" gewesen: "eine kulturell erfundene Konzeption über menschliche Unterschiede. Daraus wurde ein wichtiger Mechanismus um Zugänge zu Privilegien, Macht und Einkommen einzuschränken".

Und dies sei - und damit meinen die Autoren die Situation in den USA - alles andere als Vergangenheit. Dies belegen Dutzende Studien der Gegenwart, die etwa den unterschiedlichen Zugang zum Gesundheitssystem verschiedener Ethnien nachwiesen.
Interdisziplinäres Forschen ist angesagt
Der Schluss aller Forscher, die an der Sondernummer des "American Psychologist" mitgeschrieben haben: Interdisziplinarität ist die Herausforderung Nummer Eins.

Denn, wie etwa Collins und Kollegen betonen, "die sozialen und psychologischen Implikationen" der kommenden Forschungsergebnisse verlangen nach einer stärkeren Interaktion "zwischen Genetikern, Sozialwissenschaftlern und Verhaltensforschern".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 17.1.05
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Kontroverse um erstes "Ethno-Medikament" (26.7.04)
->   Traum vom Ende der Rassentrennung in weiter Ferne (8.4.04)
->   Ethno-Genetik zwischen Hoffnung und Missbrauch (16.4.02)
 
 
 
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01.01.2010