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EuGH-Urteil könnte offenen Hochschulzugang kippen  
  Gespannt blickt die Hochschulpolitik auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Morgen wird der Generalanwalt seinen Schlussantrag zum Rechtsstreit über den Uni-Zugang zwischen der EU und Österreich abgeben.  
Verliert Österreich vor dem EuGH, könnte dadurch indirekt der freie Hochschulzugang kippen - die Rektoren befürchten nämlich einen Ansturm vor allem deutscher Studenten, die in ihrem Land wegen des Numerus Clausus keinen Studienplatz ergattern konnten. Das Urteil der Richter, die in vier von fünf Fällen dem Generalanwalt folgen, wird noch für das Frühjahr erwartet.
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"Automatische" Studienberechtigung durch Matura
Derzeit berechtigt in Österreich nur ein inländisches Matura-Zeugnis automatisch zum Studium. Personen mit einem Reifeprüfungszeugnis eines anderen Landes dürfen hier nur studieren, wenn sie im betreffenden Land einen Studienplatz hätten.

Das sei eine Diskriminierung der Maturanten anderer EU-Staaten, meint die EU-Kommission, die dagegen wegen "Vertragsverletzung eines Mitgliedstaates" geklagt hat. Nach ihrer Ansicht ist das Hochschulstudium eine Berufsausbildung. Der Zugang dazu dürfe Bürgern anderer EU-Staaten daher nicht verwehrt werden.

Jedenfalls stelle die - kurz vor dem EU-Beitritt Österreichs beschlossene - österreichische Regelung, konkret der Paragraf 36 des damaligen Universitäts-Studiengesetzes (diese Regelung findet sich mittlerweile im Universitätsgesetz 2002, Anm.), eine unzulässige indirekte Diskriminierung dar.
->   Details zur Vorgeschichte in science.ORF.at
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Österreich bestreitet Relevanz von EU-Recht
Zwar gilt die Zulassung zum Hochschulstudium in Österreich grundsätzlich unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Sie trifft aber nach Ansicht der EU-Kommission überproportional häufig Nicht-Österreicher.

Österreich argumentiert hingegen, es handle sich dabei um eine akademische Anerkennung von Zeugnissen, die nicht unter EU-Recht falle. In früheren Urteilen habe der EuGH außerdem festgestellt, dass eine Diskriminierung zulässig sei, die auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhe und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck des Gesetzes stehe.

Die Kommission sieht dies anders: Diskriminierende Maßnahmen seien nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig, und solche Gründe habe Österreich nicht geltend gemacht.
Rektorenkonferenz verlangen Diskussion über Uni-Zugang
Die Rektorenkonferenz erwartet auf Grund eines analogen Falls in Belgien, dass der EuGH zu Gunsten der Kommission entscheidet. Gleichzeitig fordert sie Konsequenzen aus dem Urteil:

Da nach einem Aufheben der derzeitigen Regelung mit einem Ansturm vor allem deutscher Numerus-Clausus-Studenten zu rechnen sei, verlangen die Uni-Chefs eine Diskussion über den offenen Hochschulzugang.

Der Vorsitzende der Rektorenkonferenz, Georg Winckler, plädierte zwar gegen einen Numerus Clausus wie in Deutschland. Allerdings müsse man überlegen, ob nicht "in der Studieneingangsphase Kapazitätsüberlegungen Platz greifen sollten".
->   "Rektoren wollen Hochschulzugang weiter einschränken" (science.ORF.at am 12.1.05)
Brinek (ÖVP) will europäische Lösung
Die Wissenschaftssprecher der Regierungsparteien geben sich zurückhaltend: Gertrude Brinek (ÖVP) plädierte im Gespräch mit der APA für eine europäische Lösung der Frage. Sollte der EuGH tatsächlich die österreichische Regelung aufheben, wonach Studierende mit einem nicht-österreichischen Maturazeugnis nur dann in Österreich studieren dürfen, wenn sie in dem betreffenden Land auch einen Studienplatz hätten, müsse es eine Frist geben.

Ideal wäre nach Ansicht Brineks eine "Homogenisierung der Zugangsvoraussetzungen in Europa", nur so könne man eine absolute Mobilität ermöglichen.
Bleckmann (FPÖ) fordert Strategie für FHs und Unis
Magda Bleckmann (FPÖ) geht es primär darum, dass inländische Studenten nicht benachteiligt werden. Sie ist überzeugt, dass man sich hinsichtlich Hochschul-Zugang eine Lösung für die Zukunft überlegen muss:

"Es kann nicht sein, dass die Fachhochschulen eine andere Art des Zugangs haben als die Universitäten - das führt zu einer Verschlechterung des Niveaus an den Unis, hier muss man sich einen gerechten, gemeinsamen Weg überlegen", so Bleckmann.
Broukal (SPÖ) will Ausnahme mit anderen kleinen Staaten
SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal fordert die Regierung auf, "politisch aufsässig zu werden" und die EU-Kommission zu zwingen, sich mit dem Thema zu befassen. Österreich habe eben das Pech, mit Deutschland ein riesiges Nachbarland mit der gleichen Sprache zu haben, in dem es eine Studienplatzbeschränkung gebe.

Daher müsse man sich - falls Österreich verurteilt wird - darum bemühen, gemeinsam mit anderen kleinen Staaten eine Ausnahmeregelung zu erreichen, so Broukal gegenüber der APA.

Falls dies nicht gelingt, schlägt Broukal vor, EU-Bürger in Österreich nur studieren zu lassen, sobald das jeweilige Heimatland Österreich die vollen Studienkosten für den Studenten überweist - dies müsse natürlich umgekehrt auch für Österreicher in anderen EU-Staaten gelten.
Grünewald (Grüne): EuGH-Urteil Vorwand für Regierung
Der Wissenschaftssprecher der Grünen, Kurt Grünewald, befürchtet, dass der Regierung das bevorstehende EuGH-Urteil willkommen ist, um den freien Hochschul-Zugang in Österreich einzuschränken.

Dabei würde "etwas mehr Internationalität an den österreichischen Universitäten den Studenten nicht schaden", sieht Grünewald, das EuGH-Urteil und einen dadurch ausgelösten möglichen Run auf die heimischen Hochschulen gelassen.
Studieneingangsphase vorstellbar
Die Situation dürfe allerdings nicht auf schlechtere Betreuungsverhältnisse hinsteuern. "Sollte sich die Zahl der ausländischen Studierenden tatsächlich dramatisch erhöhen, müsste die Rektorenkonferenz die nötigen Finanzen fordern und die Bundesregierung dafür Vorsorge tragen", so Grünewald im Gespräch mit der APA.

"Wenn alles andere scheitert" kann sich Grünewald aber eine Studieneingangsphase vorstellen, um Studium und eigene Talente kennenzulernen.

[science.ORF.at/APA,
19.1.05]
->   Europäischer Gerichtshof
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01.01.2010