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Magnet-Turbo fürs Gehirn  
  Schon seit längerem tüfteln Forscher an einer Methode, bei der man Gehirnbereiche mittels am Kopf angelegter Magnetfelder stimulieren kann. Dies böte sich für diverse therapeutische Ansätze an, allerdings war die Methode bisher für weit reichende Einsätze zu ungenau. Britischen Forschern ist nun ein entscheidender Schritt gelungen: Sie konnten eine Region der Großhirnrinde mit einem präzise wirkenden magnetischen "Turbo" versehen, der Effekt blieb immerhin eine Stunde aufrecht.  
Konkret lösten John Rothwell und seine Mitarbeiter vom University College in London das Problem, dass bei der so genannten transkraniellen Magnetstimulation bisher sowohl hemmende wie auch erregende Effekte auftraten. Die verbesserte Methode könnte bei diversen neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden.
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Die Studie "Report Theta Burst Stimulation of the Human Motor Cortex" von Ying-Zu Huang, et al. erschien im Fachjournal "Neuron" (Band 45, S. 201-206, Ausgabe vom 20.1.05; doi:10.1016/j.neuron.2004.12.033).
->   Neuron
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Magnetfeld löst Hirnströme aus
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine Methode, bei der das Hirngewebe mittels einer auf der Kopfhaut platzierten Spule gereizt wird. Dabei werden magnetische Felder angelegt, die ihrerseits an Nervenzellen schwache elektrische Ströme induzieren.

Da Nervenzellen bekanntlich selbst mittels elektrischen Ladungen bzw. Potenzialen kommunizieren, liegen therapeutische Anwendungen förmlich auf der Hand.
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Bisher eher enttäuschende Anwendungen
Während TMS als nicht-invasive und relativ sichere Methode große Hoffnungen weckt - etwa bei der Behandlung von Depression, Epilepsie und Parkinson -, seien ihre bisherigen Einsätze relativ enttäuschend gewesen, schreibt das University College in London in einer Aussendung: Studien am Menschen hätten bisher nur vorübergehende Effekte ergeben, die kaum länger als 30 Minuten dauerten.
Neues Protokoll führt zu längerer Wirkung
Nun haben Forscher um John Rothwell vom University College London ein neues TMS-Protokoll entwickelt, das rasch auftretende und kontrollierbare Wirkungen auf den so genannten motorischen Cortex der menschlichen Großhirnrinde hat. Ein besonderer Vorteil daran: Die Effekte bleiben mehr als eine Stunde erhalten.

Für ihre Studie wählten die Forscher um Rothwell den motorischen Cortex aus, weil sich damit leicht die physiologische Wirkung der Stimulation kontrollieren ließ. Im Konkreten behandelten sie eine Region, die die Handbewegungen kontrolliert, und maßen daraufhin die Reaktion, welche dieser Impuls in den betroffenen Handmuskeln auslöste.
Problem: Hemmende und erregende Effekte
In ihren Versuchen fanden Rothwell und Mitarbeiter heraus, dass die langfristigen Effekte durch Magnetpulse geringer Intensität mit einer Anwendungsdauer von 20 bis 190 Sekunden erreicht werden können.

Dabei mussten die Forscher allerdings eine entscheidende Hürde überwinden: TMS führt nämlich nicht nur zu einer Erregung der Nerventätigkeit (bzw. den Signalübertragungen an den Synapsen), sondern kann ebenso zu einer Hemmung führen.
Beispiel Depressionsbehandlung
Letztere kann jedoch unerwünscht sein. Etwa dann, wenn man mit dieser Methode Depressionen behandeln will, wie Walter Paulus von der Universität Göttingen in einem begleitenden Kommentar ausführt.

Denn Studien weisen darauf hin, dass Depressionen von einer Minderaktivität einer bestimmten Hirnregion (nämlich des "dorsolateralen präfrontalen Cortex") begleitet sind.

Somit bietet sich als Therapie eine gezielte Aktivierung dieser Region mittels TMS an, Hemmungen sind folglich in diesem Fall kontraproduktiv.
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Der Begleitartikel "Toward Establishing a Therapeutic Window for rTMS by Theta Burst Stimulation" von Walter Paulus erschien im Fachjournal "Neuron" (Band 45, S.181-183, Ausgabe vom 20.1.05).
->   Neuron
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Der Trick: Pausen sorgen für Spezifität
Rothwell und sein Team fanden jedenfalls heraus, dass Erregung und Hemmung der neuronalen Signale nach unterschiedlichen Behandlungsdauern auftreten.

Erstere bauen sich innerhalb der ersten Sekunde nach Anlegen des Magnetfeldes auf, letztere brauchen hingegen einige Sekunden mehr. Mittels präzise getimter Pausen während der Stimulation gelang es den Forschern, ausschließlich erregende Effekte hervorzurufen.
Künstliche Langzeitpotenzierung
Wie Walter Paulus in seinem Begleitartikel vermutet, dürfte bei den eine Stunde nachweisbaren Effekten der selbe Mechanismus am Werk sein, den Neurobiologen schon seit Jahrzehnten von der so genannten Langzeitpotenzierung kennen.

Dabei handelt es sich um eine länger andauernde Verstärkung der synaptischen Übertragungen, wenn die vor der Synapse liegenden Nervenfasern kurzfristig stark erregt wurden.

[science.ORF.at, 21.1.05]
->   University College London
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01.01.2010