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El Kaida mit kulturellem Dialog begegnen  
  Ist Osama bin Laden ein Konstrukt einer neokonservativen medialen Verschwörung oder das Hirn hinter neuen Schreckensszenarien? Thomas Hauschild vom Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) sucht in einem Gastbeitrag nach einem dritten Weg, um das Phänomen El Kaida zu fassen - und nimmt dazu Anleihen unter anderem bei der Mafiaforschung.  
El Kaida im Windschatten der Geschichte
Von Thomas Hauschild

Still ist es um El Kaida geworden, im Auf und Ab des Medienbetriebes. Schon denken Verschwörungstheoretiker öffentlich darüber nach, ob Osama bin Laden nicht einfach das Ergebnis einer neokonservativen medialen Verschwörung sein könnte. Wie der Anführer der zapatistischen Spaßguerilla in Mexico scheint er zur Medien- und Modefigur zu werden. Was sich aber gerade in diesem Moment für neue Szenarien des Schreckens unentdeckt vor uns aufbauen, wir wissen es nicht.
Bild von Netzwerken der Gewalt dekonstruieren
Suchen wir darum einen dritten Weg zwischen Verschwörungstheorie und blindem "Krieg gegen den Terror". Als Vorbild könnten die Anstrengungen westlicher Soziologen und Ethnologen gelten, die italienische Mafia zu begreifen.

Jane und Peter Schneider, Doyens der weltweiten Mafiaforschung, haben diesen Winter mit ihrer Wiener "Eric Wolf Lecture" (organisiert vom IFK Internationales Forschungszentrums Kulturwissenschaften und vom universitären Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie) ein Beispiel für differenzierten Umgang mit der Dekonstruktion und Rekonstruktion eines stereotypischen Bildes von Netzwerken der Gewalt gegeben.
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Vortrag am IFK
Thomas Hauschild hält am Montag, dem 24.1.05, um 18 Uhr c.t. einen Vortrag zum Thema "El Kaida". Er geht dabei von einer durch ethnologische Feldforschung erworbenen Kenntnis mediterraner religiöser Praktiken aus, analysiert dann aber die Netzwerkstruktur und Anschlagsstrategie von El Kaida.

Das Referat findet am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschschaften, 1010 Wien, Reichsratsstraße 17 statt.
->   IFK
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"Global Actors" des Verbrechens
Viel Zeit musste vergehen, bis die erste Generation der Mafia-Soziologen begriff, dass es nicht nur um eine kaputte "Kultur der Armut", der Schutzgelderpressung und so weiter ging, nicht bloß um eine wie kopflos agierende "Krake" der Verwahrlosung in sizilianischen und kampanischen Elendsvierteln.

Dass die "Syndikate" phasenweise zu zentral gelenkten Imperien des Bösen und "global actors" des Verbrechens werden können, wurde erst durch die todesmutigen Untersuchungsrichter der Antimafia-Bewegung erkennbar, so Jane Schneider, durch die Welle der Prozesse Anfang der 90er Jahre.
El Kaida kein Kampf gegen westliche Kultur ...
Ähnlich kann man auch unsere Bilder der terroristischen "Basis" des Islamismus in mehrere Phasen und Schichten einteilen - mal erscheint El Kaida so als fest geknüpfte verbrecherische Struktur, mal als Papiertiger und Medienereignis.

Am Anfang stand die naive Angst, all das habe mit dem Islam an und für sich zu tun, der im "Kampf der Kulturen" (so Samuel Huntington) den Westen bedrängt. Gegen die damit verbundene Überschätzung des Westens als einzigartige Kultur der Menschenrechte richteten Intellektuelle wie die Schriftstellerin Arundhati Roy heftige Kritik - ohne die Armut der Dritten Welt sei das Attentat des elften Septembers undenkbar.
... sondern Modernisierungsbewegung
Diese globale Sicht vom spontanen Zusammenhang aus Armut und Terror konnte aber angesichts der mittelschichtlichen Herkunft vieler El Kaida-Terroristen kaum Bestand haben.

El Kaida sei kein Ausdruck traditionaler islamischer Mentalität, sondern gerade das Gegenteil, eine Modernisierungsbewegung, eine Reaktion auf den Schock der Globalisierung - so diagnostiziert der Philosoph Nawid Kermani die Selbstmordattentate als Teil eines seit Nietzsche gut dokumentierten westlichen Nihilismus.
Mentalitätstheorie steht gegen Verelendungstheorie
Dem widersprechen aber dann wieder die Thesen der Religionswissenschaftler und Islamforscher Hans Kippenberg und Tilman Seidensticker in ihrer sensationellen deutschen Ausgabe der Handlungsanleitung für Mohamed Atta und seine Mitstreiter ("Terror im Dienste Gottes"). Hier erscheint der Anschlag als sufistisches Ritual der Selbstheiligung, die Flugzeugbesatzungen werden zu Opfertieren einer Schächtung.

Mentalitätstheorie steht damit gegen Verelendungstheorie und quer zu beidem wird Islam mal als Tradition, mal als Modernität betrachtet, mal als unwandelbare "Kultur", mal als Prozess des Wandels.
Unberücksichtigt bleibt Jenseitsglaube
Unberücksichtigt bleibt dabei meist der Jenseitsglaube der Attentäter, den man aber mit Joseph Croitoru ("Der Märtyrer als Waffe") wiederum wie eine mystische Fortsetzung menschlicher Tauschbeziehungen über den Tod hinaus verstehen kann, und damit auch wieder ganz banal als Versorgung der Hinterbliebenen in einem Netzwerk der "Wohlfahrt".

Die Selbstmordattentäter werden, so Croitoru, systematisch und rational am Vorbild des japanischen Kamikaze geschult, bringen dazu jedoch eine Grunderfahrung des Leidens am Zwiespalt und an den Traumata der Moderne mit.
Verknüpfung von Plänen und authentischen Problemen
Planvolles, zentral gelenktes und finanziertes Handeln der Drahtzieher des Terrors überblendet sich mit authentischen Problemen junger Muslime, die am Kulturwandel und an der Verelendung ihrer Heimaten verzweifeln.

El Kaida ist keine "Business Administration" und auch kein Netzwerk von Stammesmitgliedern allein, es ist kein Staat, keine Jugend-Gang, keine religiöse Bewegung und kein Club megareicher Sektierer, sondern ein bisschen von all dem, in stets sich wandelnden, auf die Reaktionen des Westens reagierenden Formen.
Westliche Muslime in kulturellen Dialog einbinden
Wenn es uns nicht gelingt, zumindest die westlichen Muslime in einen kulturellen Dialog einzubinden, dann wird das Projekt der Aufklärung mit all seinen Hunderttausenden von Websites, Datenbanken und Büchern vielleicht an einer Reaktion auf den Westen scheitern, die vorgibt, sich auf ein einziges altes Buch zu berufen.

Unter Dialog verstehe ich hier nicht multikulturalistisches Blabla oder Festreden. Ich verstehe darunter, dass wir erst einmal begreifen müssen, was es heißt, als Muslim in Deutschland, Österreich oder Frankreich zu leben - oder mit der allgegenwärtigen Präsenz der USA in dieser Welt. Ost und West, islamische Alltagspraktik und westliches evolutionäres Denken, Kriegserfahrung an den Rändern der westlichen Welt und unsere eigene Überdrüssigkeit an dem Konsumismus, mit dem wir die ganze Welt überziehen - all das muss redlich nebeneinander gelegt und verarbeitet werden.
Vorreiterrolle für Österreich
Österreich könnte in diesem Vermittlungsprozess eine Vorreiterrolle spielen, denn hier gibt es ein Islamgesetz, hier gibt es entwickelte interkulturelle Wissenschaften, hier gibt es alt eingesessene reform-muslimische Vereinigungen, eine Vielzahl spiritueller Experimente und auch ganz jugendfrische Neugründungen wie die Wiener Gruppe "Der Friede".

Jetzt, in der Atempause, welche uns die Wahlen im Irak, der Neuansatz in Palästina und die Katastrophe der südostasiatischem Muslime im Tsunami geben, sollten wir die Zeichen der Zeit erkennen.

[24.1.05]

Der Beitrag von Thomas Hauschild ist auch in der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.
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Über den Autor
Thomas Hauschild, Prof. Dr. phil., ist Professor für Ethnologie an der Universität Tübingen und ebendort Sprecher des Zentrums für Allgemeine Kulturwissenschaften. Im Wintersemester 2004/2005 arbeitet Hauschild als IFK_Visiting Fellow am Projekt "Politisch-religiöse Begegnungen und lokale Symbiosen im Mittelmeerraum".

Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Religionsethnologie, politische Anthropologie, Globalisierung der Ethik, medizinische Anthropologie und Anthropologie des Körpers.

Publikationen u.a.: Lebenslust und Fremdenfurcht, Frankfurt/M. 1995; Magie und Macht in Italien, Berlin 2002; mit Bernd Jürgen Warneken (Hg.), Inspecting Germany - Internationale Deutschland-Ethnographie der Gegenwart, Berlin 2002.
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01.01.2010