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Rudolf Taschner über Albert Einstein  
  In Erinnerung an das "Wunderjahr" Albert Einsteins 1905 wurde heuer das Jahr der Physik ausgerufen. Der Mathematiker Rudolf Taschner, Österreichs Wissenschaftler des Jahres, erklärt in einem Gastbeitrag, wie Einstein durch Gedankenexperimente zu seinen Erkenntnissen kam, warum sie bis heute von so wesentlicher Bedeutung sind - und wo Einstein irrte.  
Zum Wunderjahr von Albert Einstein
Von Rudolf Taschner

Was ist Zeit? Eine der verstörendsten Frage für uns, die wir der Vergänglichkeit ausgeliefert sind. Augustinus nennt sie eine unmögliche Frage, denn ungefragt meint er es zu wissen, aber vor die Frage gestellt, weiß er keine Antwort zu geben.

Isaac Newton, der wohl einzige mit Einstein gleichrangige Physiker, stellt sich vor, es gäbe eine "absolute Zeit". Gleichsam als ob Gott im Besitz einer Uhr wäre, die beständig und gleichmäßig liefe.
Gegenentwurf zu Newton
Alle irdischen Uhren, ob es die durch die Erdrotation ermöglichte Sonnenuhr, die vom Pendel bewegte Standuhr oder die von Quantenphänomenen angetriebene Atomuhr ist, stellen in Newtons Augen bloß Abbilder der in Gottes Hand befindlichen, die absolute Zeit messenden Uhr dar.

Nicht erst Einstein bezweifelt dieses naive Bild. Aber er war der Erste, dem in der Speziellen Relativitätstheorie ein weit über Newtons Hypothese hinausgehender Gegenentwurf gelang.
Folgenreiche Rechnungen in nur einer Nacht
Im Vergleich zur gedanklichen Tiefe, die diese Theorie in sich trägt, ist der rechentechnische Aufwand gering - Einstein brauchte ja für die Rechnungen nur eine Nacht. Dies im schroffen Gegensatz zur mathematisch aufwändigen Allgemeinen Relativitätstheorie, bis zu deren endgültiger Fassung Einstein mehrere Jahre lang rechnen musste.

Sogar Mittelschülern kann man als eine der Folgerungen aus der Speziellen Relativitätstheorie verständlich machen, dass Masse m und Energie E nach der berühmten Formel E = mc2, in der c2 für die mit sich selbst multiplizierte Lichtgeschwindigkeit steht, dasselbe bedeuten - jene Formel, die erklärt, warum die Sterne leuchten können, und die uns leider auch die Macht verleiht, Atombomben explodieren zu lassen.
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Rudolf Taschner: Wissenschaftler des Jahres
Der Mathematiker und Autor dieses Textes Rudolf Taschner ist sowohl als Universitäts- als auch als AHS-Lehrer in Wien tätig. Er hat den "math.space" im Wiener Museumsquartier initiiert, wo seit 2003 die Mathematik einer breiten Bevölkerung als kulturelle Errungenschaft präsentiert wird, die mitunter auch Spaß machen kann. Mitte Jänner wurde er vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum "Wissenschaftler des Jahres 2004" gekürt.
->   Mathematiker ist "Wissenschaftler 2004"
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Gedankenexperiment statt Labor
Zeit und Licht, Materie und Energie - es sind Ur-Begriffe, die in Einsteins Theorien höchst verblüffende Beziehungen zueinander eingehen.

Und den Ausgangspunkt bilden nicht raffiniert ausgetüftelte Experimente in den Labors (obwohl Einstein selbst mit großem Vergnügen experimentierte), sondern Gedankenexperimente: Vorstellungen, aus der Intuition gewonnen und an der geschulten Erfahrung geprüft.
Ausnahme Gravitation
Ähnlich gelangte Einstein, nur einige Monate nachdem er die Spezielle Relativitätstheorie entdeckte, zum Ansatz seiner Allgemeinen Relativitätstheorie: Es "wurde mir klar, dass alle Naturgesetze innerhalb des Rahmens der Speziellen Relativitätstheorie behandelt werden können - nur nicht das Gravitationsgesetz. Ich wollte die Gründe dafür verstehen, aber das war nicht einfach."

Wieder erfolgte der Durchbruch intuitiv: "Ich saß auf meinem Stuhl im Patentamt in Bern. Plötzlich hatte ich einen Einfall: Wenn sich eine Person im freien Fall befindet, wird sie ihr eigenes Gewicht nicht spüren. Ich war verblüfft. Dieses einfache Gedankenexperiment machte auf mich einen tiefen Eindruck. Es führte mich zu einer Theorie der Gravitation."
Vom Gedankenexperiment ...
Zeit und Licht, Materie und Energie, Raum und Gravitation - das Universum wird von der Allgemeinen Relativitätstheorie regiert. Einstein war von ihrer Gültigkeit vollends überzeugt.

Es störte ihn kaum, dass nur wenige, höchst diffizil zu messende Effekte die Theorie experimentell bestätigten: die nicht exakt geschlossene Bahn des Planeten Merkur, die Ablenkung des Lichts von Sternen in Sonnennähe - kaum Dinge, die das Alltagsleben betreffen, aber Belege für eine Theorie, die es uns erlaubt, schärfer "dem lieben Gott" über die Schulter in die Karten zu schauen.
... bis zu GPS
Hierauf kam es ihm an. Dass sich heutzutage mit dem GPS, dem Global Positioning System, viele von uns in unbekannter Landschaft orientieren und dieses System nur funktioniert, weil es die Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie gibt, hätte Einstein, lebte er noch, sicher gefreut - aber für diesen vergleichsweise banalen Zweck hätte er seine Theorie bestimmt nicht entwickelt.
Die "einfachen Fragen" der Physik-Geschichte
Wie Kopernikus und Kepler das beeindruckende Weltmodell des Ptolemäus durch ein noch vollkommeneres ersetzten, so ersetzte Einstein Newtons Weltbild durch eine die Spuren der Schöpfung besser verfolgende Physik.

Die Parallele, wie Newton und wie Einstein zu ihren Theorien gelangten, ist beeindruckend: Newton entwarf seine Physik innerhalb eines Jahres anlässlich eines Aufenthalts in seinem Heimatdorf, als ihm dort, Voltaires Anekdote zufolge, ein Apfel auf den Kopf fiel und er sich mit dem Blick auf den Mond die Frage stellte, warum denn der Mond nicht auf die Erde falle.

Auch Einsteins Theorie entstand aus solch einfachen Fragen und ihr Grundgerüst war in wenigen Monaten entworfen.
Auf Wunderjahre folgen ganz normale
Das annus mirabilis 1666 des Isaac Newton wiederholte sich im annus mirabilis 1905 des Albert Einstein. Vorher und nachher waren Newton und Einstein Forscher wie andere auch: Newton verlor sich in haltlosen alchemistischen und theologischen Spekulationen, Einstein haderte erfolglos mit der Quantentheorie und scheiterte am Versuch einer allgemeinen Feldtheorie.

Aber in diesen Momenten um 1666 und um 1905 hatten beide die einzigartige Chance, einen Blick auf das Geheimnis der Schöpfung zu erhaschen, oder - in Einsteins religiös gefärbter Sprache formuliert - den Saum vom Kleid des Ewigen zu berühren.
Warten auf den/die nächste/n Einstein
Uns Normalsterblichen bleibt davon dreierlei: erstens die Bewunderung der Leistungen Einsteins, zweitens die Kärrnerarbeit, seine Theorie immer tiefer und umfassender zu verstehen, drittens die Verpflichtung, die Gedanken Einsteins vor allem jungen Menschen zu vermitteln.

Denn irgendwann wird einer oder einem von ihnen wieder ein annus mirabilis gegönnt sein, wird sie oder er über Einsteins Theorie hinauswachsen und uns ein noch tieferes Verstehen des Kosmos lehren.

[2.2.05]
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Der komplette Text von Rudolf Taschner über Einstein ist in der aktuellen Ausgabe des "Universum Magazins" (erschienen am 2.2.05) nachzulesen.
->   Universum Magazin
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01.01.2010