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Schon bald Tsunami-Warnung aus Wien  
  In der Wiener UNO-City überwacht eine Organisation die Einhaltung des Atomtestsperrvertrags. Doch ihr weltweites Überwachungsnetz könnte auch anderen Zwecken dienen: zum Beispiel der Warnung vor Megawellen wie jener vom 26. Dezember. Die Umsetzung ist erstaunlich schnell möglich: Schon im März soll der Probebetrieb aufgenommen werden.  
Das Seebeben vom 26. Dezember
Am 25. Dezember traf der indonesische Geophysiker Tajan auf Java ein, um in seiner Heimat den Winterurlaub zu verbringen. Am 26. Dezember verwüstete das Seebeben ganze Landstriche auf der Nachbarinsel Sumatra.

Tajan - er führt wie viele Indonesier nur einen Namen - spürte kein Zittern der Erde, kein Wanken der Möbel, keinen heftigen Wellengang; nichts. An seinem Arbeitsplatz im 6. Stock des Turm E der Wiener UNO-City hingegen zeichneten sich Amplituden von zuvor noch nie gesehener Breite auf den Bildschirmen ab.
Tektonischer Super-GAU gleich registriert
Daten von 78 Messstationen rund um den Indischen Ozean, aber auch aus dem pazifischen Raum, aus Asien und Afrika, lieferten innerhalb weniger Sekunden eine Ahnung von der Dimension dieses tektonischen Super-GAUs.

"Es war ein Riesenbeben, das war uns sofort klar", erinnert sich Tajans Chef, Wolfgang Hoffmann, "denn gut die Hälfte unserer aktiven Messstationen registrierten das Ereignis."

Doch dazu sind die Warten gar nicht gedacht. Allerdings könnten sie als Bestandteile eines globalen Warnsystems für geologische Großereignisse verwendet werden - und zwar schon binnen weniger Monate.
Größtes ziviles Sensornetz der Erde
Die Messstationen gehören zum größten zusammenhängenden zivilen Sensornetz der Erde. Der Grund für die Existenz des im Aufbau befindlichen "International Monitoring System" (kurz IMS) hat viel mit Leid, Tod und Zerstörung zu tun, aber ursprünglich nichts mit einer Naturkatastrophe wie dem Tsunami.
Eigentlich zur Identifizierung von Atomtests
Im Endausbau werden 321 über die Erde verteilte Stationen des IMS seismische Erschütterungen der Erdplatten, akustische Wellen in den Ozeanen, Infraschall oder die Radionuklid- und Edelgaskonzentrationen in der Atmosphäre messen, durch die sich geheime Atomtests verraten können.

Durch eine Auswertung dieser Datenflut kann ein Atomtest, egal wo er auf der Welt stattfindet, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert werden.
CTBTO: Überwachung des Atomtestsperrvertrags ...
Denn darum geht es eigentlich hinter den Türen des streng bewachten Turms des Vienna International Center: CTBTO - in dezenter Schrift weist das Schild den Weg zum Nervenzentrum einer allgemein wenig bekannten und doch bemerkenswerten internationalen Organisation, was ihre Aufgabe und ihren technologischen Einsatz betrifft.

Die Abkürzung steht für Comprehensive Test Ban Treaty Organization, also Organisation zur Überwachung des Atomtestsperrvertrags. Auf Basis dieses multilateralen Übereinkommens von 1996 sollen Atomtests unterbunden und die Einhaltung des Vertrages auch wirksam überwacht werden.
->   CTBTO
... der nicht unterschrieben ist
Rein völkerrechtlich befindet sich die Organisation im Vorbereitungsstatus; um sie mit allen Rechten auszustatten, wäre die Ratifikation des Vertrags durch eine Reihe von Atommächten (darunter die USA, Israel, der Iran, Indien, Indonesien und China) notwendig, die sich aber hartnäckig zieren.

Dementsprechend führt der deutsche Jurist Wolfgang Hoffmann den Titel eines Exekutivsekretärs des Vorbereitungskomitees der CTBTO.

Das ändert nichts daran, dass er und die 268 Experten wie Chefseismologe Gerardo Suarez schon seit geraumer Zeit mit ihren Sonden, Filtern und Mikrofonen den Globus nach Hinweisen auf Atomwaffentests absuchen.
Seismische Messstationen auf der Pirsch
Eine Hauptrolle bei der Aufdeckung geheimer - und daher praktisch nur mehr unterirdischer - Atomversuche spielen die seismischen Messstationen. Atomtests lösen wie Erdbeben starke Erschütterungen aus, die sich durch den Erdkörper ausbreiten; und zwar entweder unter der Erdoberfläche als schnelle primäre Kompressionswellen beziehungsweise als sekundäre Scherwellen oder als langsamere Oberflächenwellen.

Die Geschwindigkeiten liegen zwischen einigen und 13 Kilometern pro Sekunde - was bis zu 40facher Schallgeschwindigkeit in der Luft entspräche.
Daten kommen nach Wien-Kaisermühlen
Dank eines eigenen Kommunikationsnetzes werden die Messdaten über fünf geostationäre Satelliten und terrestrische Leitungen nach Wien-Kaisermühlen transferiert, wo sich das International Data Center (IDC) der Organisation befindet.

Hier werden die Daten in einem ersten Schritt ausgewertet und an die entsprechenden Institutionen aller beteiligten Staaten geschickt. Das geschieht automatisch innerhalb von etwa zwei Stunden.

In einem zweiten Schritt werden die Messdaten von Experten analysiert. Die Ergebnisse werden in einer Aussendung an alle beteiligten Staaten weitergegeben.
Tsunami-Warnung in Minuten möglich
Was liegt näher als die schnell gewonnenen Daten zum Zwecke einer Tsunami-Warnung zu verwenden? Walter Hoffmann hegt große Pläne: "Das Ziel ist ein dreistufiges Verfahren. Die CTBTO-Stationen erfassen die Daten und übermitteln sie nach Wien, wo sie einer ersten Analyse unterzogen werden. Wenn es Anzeichen für ein Seebeben gibt, werden die Daten an die International Oceanographic Commission der Unesco weitergeleitet, deren Experten das Tsunami-Risiko abschätzen. Ist ein solches gegeben, werden im dritten Schritt die potenziell bedrohten Staaten informiert, die die Bevölkerung vor Ort warnen."

Und das in einem Zeitraum von 15 Minuten. Im Falle des Mega-Tsunami wären mit einer derartigen Frist zwar nicht die Uferstriche Sumatras zu evakuieren gewesen, wohl aber jene in Thailand, Indien und Sri Lanka.
->   International Oceanographic Commission (Unesco)
Probebetrieb ab Mitte März
Der Terminplan ist ebenso ambitioniert wie das geplante Verfahren: Derzeit werden die Anforderungen der Partnerorganisationen und Mitgliedstaaten auf ihre technische Realisierbarkeit hin überprüft.

Ende Februar soll das Ergebnis feststehen. Tendenz: Die Datenerfassung ist machbar. In der ersten Märzhälfte soll die CTBTO offiziell mit dieser Aufgabe betraut werden, ab Mitte März wird sie im Probebetrieb durchgeführt werden.

Für Juni ist die endgültige Beauftragung geplant, im November die Budgetierung für das kommende Jahr. Hoffmann: "Für multilaterale Diplomatie ist das von verblüffender Geschwindigkeit."

Oliver Lehmann und Arnulf Schiller, Universum Magazin, 3.2.05
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Der komplette Text der Reportage ist in der aktuellen Ausgabe des "Universum Magazins" nachzulesen.
->   Universum Magazin
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->   Seismic Monitor
->   science.ORF.at-Archiv zum Seebeben
 
 
 
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01.01.2010