News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Sex verlängert das Leben - bei Ameisen  
  Sex dient nicht nur der Fortpflanzung, er verlängert auch das Leben. Wie deutsche Forscher herausgefunden haben, gilt dies jedenfalls für die Königinnen einer tropischen Ameisenart. Interessanterweise kommt es auch dann zu diesem Effekt, wenn die Paarung zu gar keiner Befruchtung geführt hat.  
Wie Alexandra Schrempf und ihre Mitarbeiter von der Universität Regensburg berichten, sei dies ein Schulbeispiel sexueller Kooperation, bei der die Geschlechter im Interessensgleichklang agieren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Insektenarten: Beim Thema Fortpflanzung sind im Tierreich Konflikte, Manipulation und Betrug keine Seltenheit.
...
Die Studie "Sexual Cooperation: Mating Increases Longevity in Ant Queens" von Alexandra Schrempf, Jürgen Heinze und Sylvia Cremer erschien im Fachblatt "Current Biology" (Band 15, S. 267-270; doi:10.1016/j. cub. 2005. 01. 036).
->   Zum Original-Abstract bei Current Biology
...
Chemische Manipulation
Wenn sich Männchen und Weibchen zusammentun, um gemeinsame Nachkommen zu zeugen, dann geht nicht immer alles mit rechten Dingen zu. Etwa wenn männliche Fruchtfliegen ihren Sexualpartnerinnen nebst Spermien auch bestimmte Substanzen unterjubeln, welche die Fruchtbarkeit des Weibchens kurzfristig erhöhen.

Unangenehmer Nebeneffekt dieser "Brautgeschenke": Sie verringern die Wahrscheinlichkeit späterer Paarungen mit anderen Männchen und reduzieren - via toxischer Effekte - sogar die Lebensspanne des Weibchens.
Sexueller Interessenskonflikt
Evolutionsbiologen kennen dieses Phänomen schon lange. In promisken Paarungssystemen, also solchen, wo es zu häufigen Partnerwechseln kommt, steht der so genannte sexuelle Interessenskonflikt der Geschlechter an der Tagesordnung.

Mit anderen Worten: Auf genetischer Ebene herrscht offenbar das "Prinzip Eigennutz", wie es einst der deutsche Ethologe Wolfgang Wickler ausgedrückt hat. Und da wird auch schon mal ein Fliegenbräutigam zum Betrüger, sofern es der Optimierung seines Fortpflanzungserfolges dient.
...
Siehe hierzu der Überblicksartikel "Sexual conflict" von Tracey Chapman et al. "TRENDS in Ecology and Evolution" (Band 18, S. 41-17, Ausgabe vom 1.1.2003).
->   Zum Originalartikel
...
Es geht auch ohne Rosenkrieg
Allerdings gibt es sehr wohl Situationen, in denen beide Partner an einem Strang ziehen und auf einen chemischen Rosenkrieg verzichten. Alexandra Schrempf und ihre Mitarbeiter haben die sexuelle Gewohnheiten der tropischen Ameisenart Cardiocondyla obscurior untersucht und ein interessantes Beispiel für sexuelle Kooperation gefunden.
->   Mehr zu Cardiocondyla obscurior (Evergreen State College)
Besonderes Fortpflanzungssystem bei Ameisen
Ameisen weisen bei ihrer Fortpflanzung einige Eigenarten auf: Zum einen wird ihr Geschlecht - wie etwa beim Menschen oder der Fruchtfliege - nicht durch spezielle Chromosomen bestimmt, sondern durch die An- oder Abwesenheit der Befruchtung. Unbefruchtete Eier entwickeln sich demnach zu Männchen, befruchtete hingegen zu Weibchen.

Außerdem haben es Ameisenköniginnen an sich, dass sie sich in ihrer Jugendphase paaren, die Spermien jedoch ihr ganzes Leben in ihrem Körper speichern und darauf im Bedarfsfall zurückgreifen.

Zum dritten gilt selbst für Königinnen die Regel "Erst die Pflicht, dann die Kür": Sie bekommen erst dann fortpflanzungsfähigen Nachwuchs, wenn im Nest bereits die große Gruppe der sterilen Arbeitskräfte aufgebaut wurde.
->   Ameisen bei Wikipedia
Drei Klassen von Königinnen untersucht
Stellt man diese Situation in Rechnung, dann sollten die Cardiocondyla-Männchen eigentlich von der Langlebigkeit der Königinnen profitieren und diese nach Möglichkeit unterstützen. Genau das ist auch der Fall, wie die Untersuchungen der deutschen Forscher ergaben.

Schrempf und Mitarbeiter verglichen in ihren Experimenten drei Typen von Königinnen: Jungfräuliche, jene, die sich bereits mit einem Männchen gepaart hatten, und solche, die mit unfruchtbaren Ameisenmännchen Sex hatten, wobei die Unfruchtbarkeit durch Bestrahlung der Spermien hervorgerufen wurde.
Sex erhöht die Lebenserwartung
Ein Vergleich der Reproduktionsleistung der Tiere ergab, dass sowohl Jungfrauen als auch jene mit unfruchtbaren Partnern rund sechs Eier pro Woche legten, während es bei der dritten Gruppe mit knapp 21 rund dreimal so viele waren.

Die deutschen Forscher fanden außerdem heraus, dass Sex offenbar die Lebensspanne um rund 50 Prozent verlängert (26 versus 18 Wochen). Dieser Effekt ist offensichtlich unabhängig davon, ob es beim Geschlechtsakt zu einer Befruchtung kommt oder nicht.
Substanzen in Samenflüssigkeit verantwortlich
Das Team um Schrempf vermutet, dass die lebensverlängerte Wirkung von Substanzen herrührt, die in der Samenflüssigkeit enthalten sind. Ob diese nun eine direkte oder indirekte Wirkung im Körper der Königinnen entfalten (letzteres etwa durch Ankurbelung der Produktion von Antioxidanzien), sei jedoch noch offen.

Fest steht für die Forscher jedenfalls, dass beide Geschlechter von der Verlängerung der reproduktiven Phase des Weibchens profitieren. Ähnliche Fälle sexueller Kooperation seien daher auch bei anderen sozialen Insekten zu erwarten.

Robert Czepel, science.ORF.at, 8.2.05
->   Website von Alexandra Schrempf (Uni Regensburg)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Warum Eizellen nur einmal befruchtet werden (7.12.04)
->   Fische steuern Überleben durch Samenproduktion (2.11.04)
->   Die bizarren Wege der (tierischen) Fortpflanzung (22.9.04)
->   Spermien brauchen den "Extra-Kick" für die Befruchtung (1.12.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010