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Die Mathematik des globalen Terrors  
  Zwei US-Forscher haben eine statistische Analyse der weltweiten terroristischen Anschläge seit dem Jahr 1968 vorgenommen. Diese ergab, dass zwischen der Wahrscheinlichkeit und Heftigkeit eines Anschlags ein einfacher mathematischer Zusammenhang besteht. Aus der Analyse lässt sich unter anderem folgern, dass man innerhalb der nächsten sieben Jahre mit einer neuerlichen Attacke in der Größenordnung jener des 11. September 2001 rechnen kann.  
Wie Aaron Clauset und Maxwell Young von der University of New Mexiko berichten, weisen die Terrordaten ein so genanntes Scale-free-Verhalten auf, das durch ein Potenzgesetz beschrieben werden kann.
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Die Studie "Scale Invariance in Global Terrorism" von Aaron Clauset und Maxwell Young wurde am 3.2.2005 auf dem Preprintserver "arXiv.org" veröffentlicht.
->   Zum Originalartikel
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Terror in Medien und Politik
Terrorismus ist spätestens seit dem 11. September 2001 ein Thema, das sowohl Medien als auch die Politik dominiert. Letzteres ist etwa eindrücklich daran ersichtlich, dass 2002 in den USA ein eigenes Heimatschutzministerium mit rund 180.000 Beschäftigten gegründet wurde.
Statistische Analyse des Grauens
Abseits der politischen Antworten auf den internationalen Terrorismus haben nun Aaron Clauset und Maxwell Young eine statistische Analyse sämtlicher Terroranschläge seit dem Jahr 1968 vorgenommen.

Dabei griffen sie auf die Datenbank des "National Memorial Institute for the Prevention of Terrorism" (MIPT) zurück, die 19.907 weltweiter terroristischer Akte erfasst. Von den 7.088 Anschlägen mit Personenschaden ragen drei Negativereignisse heraus:

Die Freisetzung des Nervengases Sarin in der Tokioter U-Bahn vom 20.3.1995, die mehr als 5.000 Verletzte und Todesopfer forderte, die Autobomben-Explosion in Nairobi, Kenia, vom 7.8.1998, welche mehr als 5.200 Personen verletzte oder tötete - sowie der bereits erwähnte Anschlag vom 11.9.2001, bei dem 2.823 Menschen ums Leben kamen.
->   MIPT Terrorisms Knowledge Base
Auch 9/11 kein Ausreißer
Wie Clauset und Young in ihrer Studie schreiben, wurden diese und ähnliche Ereignisse von der modernen Geschichtsschreibung als statistische Ausreißer behandelt. Ihre Analyse zeigt aber, dass sich diese Tragödien sehr wohl in das globale Muster terroristischer Akte der letzten 37 Jahre einfügen.
Die Verteilung der Zerstörung
 
Bild: Aaron Clauset und Maxwell Young

Das von den beiden Forschern zu Tage geförderte Muster besteht im Wesentlichen aus folgendem: Es gibt einige wenige Extremereignisse (in der Abbildung rechts unten eingezeichnet), doch eine Vielzahl von Anschlägen, bei denen vergleichsweise wenige Personen zu Schaden kamen.

Diese Beziehung lässt sich durch eine einfache Gleichung erfassen, die bei grafischer Darstellung mit logarithmischen Achsen einen annähernd linearen Zusammenhang ergibt. Solche Verteilungsmuster bezeichnet man mit einem Begriff aus der Netzwerktheorie auch als "scale free", also skaleninvarinat.
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Scale-free-Verhalten und Potenzgesetze
Der Begriff "Scale-free-Verhalten" ("scale free behavior") wurde vom US-amerikanischen Physiker und Netzwerktheoretiker Albert-Laszlo Barabasi geprägt. Dieser entdeckte im Jahr 1998, dass die Zahl von Links pro Websites im WWW keineswegs zufällig ist, sondern vielmehr einer charakteristischen Verteilung folgt. Mittlerweile hat man auch in vielen anderen Netzwerken ähnliche Muster festgestellt - etwa bei der Ausbreitung von Krankheiten oder den Routen des internationalen Flugverkehrs. Diese Zusammenhänge lassen sich meist durch Potenzgesetze ("power laws") darstellen, ein prominentes Beispiel dafür ist etwa das Zipfsche Gesetz aus der Linguistik.
->   Scale-free network (Wikipedia)
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Ähnlicher Zusammenhang bei Kriegen bekannt
Clauset und Young fanden außerdem heraus, dass von den 7.088 folgenreichen Anschlägen 67 Prozent seit dem Jahr 1998 verübt wurden. Diese Zunahme ist möglicherweise durch die genaueren Aufzeichnungen der letzten Jahre zu erklären, das generelle Verteilungsmuster setzt sie indes nicht außer Kraft.

Gesonderte Analysen der Datensätze vor und nach 1998 ergaben mit geringen Abweichungen die selben Zusammenhänge. Diese können, wie die beiden Forscher betonen, auch als Erweiterung einer Entdeckung gesehen werden, die auf den britischen Mathematiker Lewis Fry Richardson zurückgeht.

Dieser hat bereits im Jahr 1948 festgestellt, dass die Beziehung zwischen Häufigkeit und Zerstörungskraft von Kriegen einem Potenzgesetz folgt.
->   Lewis Fry Richardson (Univ. of St Andrews)
Neuerliches 9/11 bis 2012 zu erwarten
Die beiden US-amerikanischen Computerwissenschaftler entdeckten ferner, dass der Intervall zwischen zwei Anschlägen im Untersuchungszeitraum kontinuierlich geschrumpft ist. Waren es im Jahr 1980 noch 96 Stunden, die zwischen zwei Anschlägen lagen, betrug der Zeitraum im Jahr 1998 nur mehr 17,3 Stunden.

Clauset und Young haben aus der erhobenen Statistik auch die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlages in der Größenordnung von 9/11 berechnet: Diese liegt bei 1:30.000. In Zeitmaße umgerechnet bedeutet das, dass innerhalb der nächsten sieben Jahre mit einem neuerlichen Ereignis ähnlichen zerstörerischen Ausmaßes zu rechnen ist.

Der Physiker Cosma Shalizi von der University of Michigan stellt den beiden Autoren gegenüber der Online-Zeitschrift "physicsweb" ein gutes Zeugnis aus: Die verwendeten Methoden seien seriös, einzig der Datensatz weise einen vergleichsweise geringen Umfang auf. Dennoch sollten die Ergebnisse ernst genommen werden, so Shalizi.

Robert Czepel, science.ORF.at, 11.2.05
->   Dep. Computer Science, Univ. of New Mexico
->   physicsweb
->   Das Stichwort Terror im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010