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Die Toxikologie überdenkt ihre Grundlagen  
  Der Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung einer Substanz gilt als grundlegendes Konzept der Toxikologie. Nach Ansicht eines US-Forschers hat man sich in dieser Disziplin jahrzehntelang an falschen Vorstellungen orientiert. Ihm zufolge gilt in weiten Bereichen der Toxikologie ein alternatives Modell. Das Neue daran: Schädliche Substanzen können in geringen Konzentrationen auch positive Effekte entfalten.  
Wie Edward J. Calabrese von der University of Massachusetts in einem Überblicksartikel berichtet, hat das von ihm favorisierte, so genannte Hormese-Modell auch praktische Konsequenzen, etwa für die Abschätzung von Krebsrisiken.
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Der Artikel "Challenging Dose-Response Dogma" von Edward J. Calabrese erschien im Wissenschaftsmagazin "The Scientist" (Band 19, Ausgabe vom 14.2.05).
->   Zum Originalartikel (kostenpflichtig)
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"...nichts ist ohne Gift"
"Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist", wusste bereits Theophrast von Hohenheim, besser bekannt unter dem Namen Paracelsus. Der Ausspruch des Arztes und Chemikers hat auch heute noch Gültigkeit, allerdings war damit nicht gesagt, auf welche Weise eine Substanz bei zunehmender Konzentration zum Gift wird.
Der Dosis-Wirkungs-Zusammenhang
 
Bild: Edward J. Calabrese

Antwort darauf geben die grundlegenden toxikologischen Modelle, welche den Dosis-Wirkungs-Zusammenhang beschreiben. Seit Beginn des konzeptuellen Denkens in der Toxikologie in den 1930er Jahren habe das so genannte Schwellenwertmodell ("threshold model") die Vorstellungen der Fachwelt dominiert, schreibt Edward J. Calabrese in seinem Artikel.

Dieses geht davon aus, dass eine Substanz eine bestimmte Konzentration überschreiten muss, um toxische Effekte auszulösen. Unter diesem Grenzwert sei hingegen keine nachteilige Wirkung anzunehmen.
Zwei traditionelle Vorstellungen
Dieses Modell wurde bislang herangezogen, um die Risiken für die öffentliche Gesundheit abzuschätzen - etwa bei den Schwermetallen Cadmium, Blei und Quecksilber. Einzig im Fall von Karzinogenen, also Krebs auslösenden Substanzen, sieht die Sache anders aus.

Hier vertraut man auf das so genannte lineare Modell, bei dem es keinen "sicheren" Konzentrationsbereich gibt. Mit anderen Worten: Wie gering die Dosis eines Kanzerogens auch sein mag, sie trägt auf jeden Fall zur Erhörung des Krebsrisikos bei.
Der Gegenentwurf: Hormese
Bild: Edward J. Calabrese
Die US-Gesundheitsbehörde FDA und viele weitere Institutionen im Gesundheitswesen seien diesen beiden Modellen mehr oder weniger blind gefolgt, kritisiert nun Calabrese in seinem Artikel.

Es sei jedoch auch ein anderer, J-förmiger Wirkungsverlauf bekannt, der als Hormese-Modell bezeichnet wird. Beispielsweise sei an dem - mittlerweile verbotenen - Insektizid DDT gezeigt worden, dass es bei Ratten in hohen Dosen als Karzinogen wirkt, das Tumorrisiko bei geringen Konzentrationen hingegen herabsetzt.
->   Hormesis bei Wikipedia
Paradigmenwechsel für die Biowissenschaft?
Dieses Verhalten sei jedoch nicht die Ausnahme in der Toxikologie, sondern die Regel, betont Calabrese - und beruft sich dabei auf eine an der University of Massachusetts aufgebaute Datenbank.

Dementsprechend betrachtet er das Prinzip der Hormese als Paradigmenwechsel, der die gesamten Biowissenschaften erfasst: "Dies verändert unser Verständnis davon, wie biologische Systeme mit niedrigen Dosen chemischer oder physikalischer Einflüsse umgehen."
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Calabrese hat die konzeptuellen Umwälzungen in der Toxikologie jüngst in mehreren Artikeln vorgestellt, so etwa: "Toxicology rethinks its central belief - Hormesis demands a reappraisal of the way risks are assessed" in "Nature" (Band 421, S. 691-2) sowie "Hormesis: U-shaped dose responses and their centrality in toxicology" in "Trends in Pharmacological Sciences" (Band 22, S.285-91).
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Nicht mit Homöopathie zu verwechseln
Dies habe eine Reihe von Konsequenzen, etwa für das Design toxikologischer Studien, gesundheitliche Risikoabschätzungen und nicht zuletzt für den optimalen Einsatz von Medikamenten. Die Regel "Stimulation bei niedrigen Dosen, Schädigung bei hohen Dosen" erinnert oberflächlich betrachtet auch an das Prinzip der Homöopathie, dürfe aber keineswegs mit ihr gleichgesetzt werden, betont der US-Forscher.

Denn hormetische Wirkungen entfalten sich in einem Konzentrationsbereich von 10-4 bis 10-9 molaren Lösungen. Homöopathie wird hingegen im Bereich unter 10-18 Mol/Liter betrieben, deren Wirkstoffe sind also mitunter billiardenfach stärker verdünnt.

Robert Czepel, science.ORF.at, 15.2.05
->   Molarität bei Wikipedia
->   Website von Edward J. Calabrese
 
 
 
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01.01.2010