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"Genetische Karte": Basis für Pharmazie oder Falle?  
  Gibt es für Menschengruppen charakteristische Zeichen im genetischen Material? Und wenn ja, könnte man mit diesem Wissen die Behandlung von Krankheiten genauer auf die genetischen Voraussetzungen abstimmen? US-Wissenschaftler glauben an den Nutzen und präsentierten die erste "genetische Karte" der Welt. Andere warnen hingegen vor einer vorschnellen Wiederbelebung des "Rassen-Konzepts" und fordern mehr Transparenz und Ehrlichkeit hinsichtlich der Aussagefähigkeit derartiger Ergebnisse.  
Warnung vor biologistischer Belebung des Rassekonzepts
Bild: Science
Science-Cover
Das Thema "Genetic Variation" heftet sich das Wissenschaftsmagazin "Science" auf das aktuelle Cover. Chefredakteur Donald Kennedy zeigt sich schon im Editorial überzeugt, dass das Mapping von 1,5 Millionen so genannter "Single Nucleotide Polymorphisms" (SNPs) eine "unschätzbar wertvolle Basis" zur Verbesserung der menschliche Gesundheit darstellt.

Der Wissenschaftshistoriker Troy Duster zeigt sich in einem begleitenden Kommentar weitaus zurückhaltender und fordert die Forscher zu mehr Vorsicht auf, um nicht "in die Falle einer biologistischen Wiederbelebung des Rassekonzepts" zu tappen.
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Der Artikel "Whole Genome Patterns of Common DNA Variation in Three Human Populations" von David A. Hinds und Kollegen, auf den sich auch der begleitende Kommentar von Troy Duster bezieht, ist am 17. Februar 2005 in "Science" erschienen (Band 307, S. 1072-179, DOI: 10.1126/science.1105436).
->   Science
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SNPs: Austausch von Nukleotidbasen
99,99 Prozent des Erbguts sind bei jedem Menschen gleich - bleibt ein winzig kleiner Anteil, in dem die für uns deutlich sichtbaren Unterschiede liegen. Um den Grund für unterschiedliche Körpergrößen, Haar- und Augenfarben oder Hautstruktur festzumachen, haben sich Wissenschaftler auf die Ebene von winzig kleinen Schnippsel begeben: Durch "Single Nucleotide Polymorphisms" (SNPs), in denen einzelne Nukleotidbasen - die kleinsten Bausteinen unseres Erbgutes - ausgetauscht sind, lassen sich feinste genetische Unterschiede zwischen Individuen identifizieren.

Jüngste Forschungen zeigten, dass über 90 Prozent der Gene SNPs tragen. Im Jahr 2001 konnte die "SNP Map Working Group" bereits 60.000 in Genen liegende Polymorphismen ("coding SNPs") identifizieren.
->   Ethno-Genetik zwischen Hoffnung und Missbrauch (16.4.02)
1,58 Mio stabile SNPs "gemappt"
Auch die Forscher von "Perlegen Sciences", einem auf genetische Scans spezialisierten Unternehmen im kalifornischen Mountain View, konzentrierten sich auf SNPs und legen im aktuellen "Science" einen Scan von 1,58 Millionen SNPs vor.

Sie wurden aus dem Erbgut von 71 Amerikanern herausfiltert, von denen jeweils rund ein Drittel über Vorfahren in Europa, Afrika und unter Han-Chinesen (die größte ethnische Gruppe in China) verfügte.

Das Besondere an den analysierten SNPs: Trotz der - über die Generationen automatischen eintretenden - genetischen "Durchmischungen" blieben sie in ihren ethnischen Gruppen erstaunlich stabil erhalten.
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"Harter Kern" von SNPs aus 2,4 Mio. herausgefiltert
Die Vorgangsweise der Forscher: Sie erstellten ein Sample von 2,384.494 SNPs, von denen sie annahmen, dass sie in allen Menschen vorkommen und verglichen sie mit DNA-Proben von 24 Versuchspersonen. Damit konnten sie ihre Auswahl schärfen bzw. um fehlende SNPs ergänzen.

Danach analysierten sie den "genetischen Fingerabdruck" von 71 US-Amerikanern, darunter 24 mit europäischen, und jeweils 23 mit afrikanischen und han-chinesischen Wurzeln. Von den rund 2,4 Mio. SNPs stellten sich rund 1,58 Mio. als "harter" gemeinsamer Kern heraus: 94 Prozent der SNPs waren im DNA-Material der Menschen mit afrikanischen Vorfahren vorhanden, 81 Prozent bei den "Europäern" und 74 Prozent bei den Versuchspersonen mit han-chinesischen Wurzeln.
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SNPs werden nicht mit Charakterzügen in Verbindung gesetzt
"Die Karte sagt nicht, welche SNPs verschiedene physische und krankheitsbedingte Charakterzüge auslösen", halten die Forscher ausdrücklich fest. Nach Angaben der leitenden Forscher David Cox und David Hinds geben sie aber wichtige genetische Wegmarkierungen als Anhaltspunkte vor.
Kein Beweis für oder gegen die Existenz von Rassen
Bewusst vage halten die Wissenschaftler auch ihre Aussagen hinsichtlich einer möglichen Vereinnahmung der Ergebnisse durch Anhänger oder Gegner von Rassenkonzepten: "Unsere Daten sagen weder, dass es Rassen gibt noch dass es sie nicht gibt", wird David Cox in einer Presseaussendung der "American Association for the Advancement of Science" zitiert.

Aber: "Unsere Daten sind ein guter Ausgangspunkt für Diskussionen darüber, ob und in welcher Form bei der Behandlung von Krankheiten Rücksicht auf die genetische Disposition einer Volksgruppe genommen werden soll."
Interaktionen zwischen sozialen Praktiken und Phänotypen
"Es gibt komplexe Feedbackschleifen und Interaktionen zwischen Phänotypen und sozialen Praktiken im Verhältnis zu diesen Phänotypen", warnt auch Troy Duster, Direktor des Instituts für Wissenschaftsgeschichte der New York University, in einem begleitenden Artikel vor Kurzschlüssen.

Er weist darauf hin, dass schon allein die Auswahl der Untersuchungssamples auf dem Konzept der Unterteilung der Menschheit in "Rassen" beruht.
SNPs variieren in jeder Gruppe - unabhängig von "Rassen"
Er fordert von Genetikern generell einen sensibleren Umgang mit Daten, die in ein "Rassenkonzept" passen könnten: "Solche Forscher sollten bei allem, was sie publizieren, groß darauf hinweisen, dass SNPs immer variieren, egal welche Gruppen man miteinander vergleicht. Anzunehmen, dass solche Variationen Rassenkategorien widerspiegeln, ist völlig unberechtigt."

Elke Ziegler, science.ORF.at, 18.2.05
->   SNP-Datenbank mit Suchmöglichkeiten
->   Perlegen Sciences
Mehr zur Diskussion um das Konzept der "Rassen" in science.ORF.at:
->   Keine wissenschaftliche Grundlage für Rassismus (17.1.05)
->   Genetiker: Das Rassenkonzept hat ausgedient (2.11.04)
->   Kontroverse um erstes "Ethno-Medikament" (26.7.04)
->   Traum vom Ende der Rassentrennung in weiter Ferne (8.4.04)
 
 
 
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01.01.2010