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Am weitesten entfernter Galaxienhaufen entdeckt  
  Mit Hilfe der weltweit größten optischen Teleskope und Röntgensatelliten haben Astronomen den bisher am weitesten entfernten massereichen Galaxienhaufen entdeckt. Das riesige Galaxiensystem befindet sich in der unvorstellbar großen Entfernung von neun Milliarden Lichtjahren von der Erde und besitzt eine mehrere hundert Billionen Mal größere Masse als unsere Sonne.  
Besonders überrascht die Wissenschaftler, ein so massereiches Objekt bereits zu dieser frühen Zeit im noch jungen Universum zu finden. Bis vor kurzem gingen Kosmologen davon aus, dass sich solch komplexe Strukturen erst wesentlich später in der kosmischen Entwicklung gebildet haben.
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Die Studie "Discovery of an X-ray-Luminous Galaxy Cluster at z=1.4" von C.R. Mulliset al. erscheint demnächst im Fachjournal "Astrophysical Journal Letters".
->   Astrophysical Journal Letters
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Galaxienhaufen - "Marksteine" des Universums
Unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, befindet sich in vergleichsweise wenig bevölkerter kosmischer Nachbarschaft. Im Gegensatz dazu gibt es spezielle Regionen im All, in denen sich einige Hundert bis mehrere Tausende Galaxien vergleichbar der Milchstraße konzentrieren, die über ihre wechselseitige Anziehungskraft aneinander gebunden sind.

Diese Systeme werden Galaxienhaufen genannt und bilden die größten und massereichsten Objekte im Universum - sie sind fundamentale "Marksteine" der größten Strukturen im Kosmos.

Darüber hinaus gibt ihre Anzahl und das Muster ihrer Verteilung im Weltraum Auskunft über die "Architektur" sowie die Entwicklung des gesamten Universums selbst.
Heißes Gas als Röntgenquelle
Galaxienhaufen enthalten außer den im sichtbaren Licht beobachtbaren Galaxien auch noch große Mengen extrem heißen Gases, das bei einer Temperatur von bis zu 100 Millionen Grad vor allem Röntgenstrahlung aussendet.

Dieses Röntgenlicht war es auch, dass die Astronomen auf die Fährte des neu entdeckten Objekts geführt hatte.

Bei der systematischen Auswertung am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) einer langen, mehr als zwölfstündigen Beobachtung einer nahen Galaxie mit dem weltweit größten Röntgenobservatoriums XMM-Newton der europäischen Weltraumbehörde ESA entdeckten die Wissenschaftler im äußeren Teil des Gesichtfeldes eine sehr schwache Quelle.
Leuchtkraft: Wie eine Glühbirne am Mond
Obwohl Galaxienhaufen neben den Quasaren die leuchtkräftigsten Röntgenstrahler sind, wurden nur 280 Photonen, im Schnitt also nur alle 2,5 Minuten ein Lichtteilchen, von XMM-Newton aufgefangen, ein erstes Indiz für die extreme Entfernung zu diesem Objekt.

Zum Vergleich: Beim Anblick einer in der Entfernung des Mondes platzierten herkömmlichen 100 Watt-Glühbirne würden unsere Augen etwa die gleiche Anzahl Lichtteilchen sammeln.
Neun Milliarden Lichtjahre entfernt
Bild: ESO
Der Anfangsverdacht der Forscher wurde schließlich durch optische Beobachtungen an einem der 8,2 Meter Teleskope des Very Large Telescope (VLT) des European Southern Observatory (ESO) in der Atacama Wüste in Chile bestätigt.

Die Wissenschaftler konnten anhand der Verschiebung der spektralen Merkmale der Galaxien zeigen, dass sich der neue Rekordhalter in einer Entfernung von 9 Milliarden Lichtjahren befindet, was einer Rotverschiebung von 1,4 entspricht.

Bild rechts: XMM-Newton Röntgenbeobachtung des Feldes, in dem der entfernte Galaxienhaufen mit dem offiziellen Namen 'XMMU J2235.3-2557' entdeckt wurde. Der Galaxienhaufen ist rechts oben nochmals in einem vergrößerten Ausschnitt zu sehen. Die helle Quelle im Zentrum des Bildes ist die nahe Galaxie NGC 7314, die das eigentliche Ziel der Beobachtung war.
->   Rotverschiebung bei Wikipedia
Blick in die Vergangenheit
Da sich das Licht mit einer endlichen Geschwindigkeit von 300.000 km/sec durch die Weiten des Alls bewegt, können die Astronomen eine Art "kosmische Archäologie" betreiben. Während sie Licht von weit entfernten Objekten sammeln, schauen sie gleichzeitig in die Vergangenheit und sehen eine Momentaufnahme des Universums zu einem früheren Zeitpunkt.

So sehen wir beispielsweise den Mond wie er vor einer Sekunde aussah, die Sonne zum Zeitpunkt vor acht Minuten und den Saturn im Zustand von vor einer guten Stunde. Auf Grund der enormen Entfernung des neu entdeckten Objektes wird dieser "Blick in die Vergangenheit" extrem:

"Durch Einfangen des Lichts des Galaxienhaufens, das seit 9 Milliarden Jahren auf dem Weg zu uns ist, sehen wir ein Bild des Universums im Jugendalter, zu einem Zeitpunkt, als es weniger als 5 Milliarden Jahre alt war, also nur etwa ein Drittel des heutigen Alters erreicht hatte", erklärt der Erstautor der Studie, Chris Mullis von der University of Michigan.
Kosmischer Frühentwickler
"Die optischen Bilder des Very Large Telescopes zeigen ganz Erstaunliches", fügt ESO-Astronom Piero Rosati hinzu. "Schon in dieser frühen Periode der kosmischen Geschichte sehen wir diese riesige und vollentwickelte Struktur. Das bedeutet, dass wir es mit einem alten Galaxienhaufen in einem jungen Universum zu tun haben."
Universum als riesiges Labor
Der neu entdeckte Galaxienhaufen ist für die Forscher eine Art riesiges Labor, mit dessen Hilfe sich konkurrierende Theorien zur Strukturentstehung und -entwicklung im Universum direkt testen lassen. Aus diesem Grund werden derzeit weitere detaillierte Beobachtungen des Rekordobjekts mit bodengebundenen Großteleskopen sowie Weltraumobservatorien durchgeführt.

[science.ORF.at/MPG, 2.3.05]
->   Astrophysikalisches Institut Potsdam
->   XMM-Newton (ESA)
->   Very Large Telescope (ESO)
->   Website von Chris Mullis (Univ. of Michigan)
 
 
 
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01.01.2010