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Synästhesie: Musikerin kann Akkorde "schmecken"  
  Die kleine Terz schmeckt salzig, die Quint nach reinem Wasser. Eine seltene Art verkoppelter Sinneswahrnehmung haben Forscher bei einer jungen Schweizer Profimusikerin belegt: Wenn die 27-jährige Flötistin ein bestimmtes Tonintervall hört, fühlt sie einen jeweils dazugehörigen Geschmack auf der Zunge.  
In dieser ausgeprägten Form sei ein solches Phänomen bisher nicht wissenschaftlich beschrieben worden, sagte Studienleiter Lutz Jäncke vom Institut für Neuropsychologie der Universität Zürich im Gespräch mit der dpa.
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Die Studie "When coloured sounds taste sweet" von Gian Beeli, Michaela Esslen und Lutz Jäncke erschien im Fachjournal "Nature" (Band 434, S. 38, Ausgabe vom 3.3.05).
->   Nature
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Außerordentlicher Musikgeschmack
So ordne die aus Basel stammende Musikerin "E.S." etwa einer kleinen Terz unwillkürlich einen salzigen Geschmack zu, eine große Terz schmecke süß. Dies komme ihr auch in ihrem Beruf als Flötistin zu Gute.

Nach Angaben der Wissenschaftler ist diese Form einer Synästhesie sehr selten, während bestimmte Menschen beim Hören von Musik bzw. Einzeltönen zum Beispiel häufiger auch Farbeindrücke empfinden.
->   Mehr zu Synästhesie bei medicine worldwide
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Akkord und Eindruck
Tonintervalle und Empfindungen von E.S.:
Kleine Sekund - sauer
Große Sekund - bitter
Kleine Terz - salzig
Große Terz - süß
Quart - gemähtes Gras
Tritonus - Abscheu
Quint - reines Wasser
Kleine Sext - Obers
Große Sext - fettarmes Obers
Kleine Sept - bitter
Große Sept - sauer
Oktav - keine Empfindung
->   Mehr zu Akkorden bei Wikipedia
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Dissonanz "schmeckt" eher unangenehm
Interessant an diesen Zuordnungen ist, dass dissonante Intervalle bei E.S. eher unangenehme Empfindungen hervorrufen (z.B. die "saure" kleine Sekund) während konsonante Intervalle (z.B. die "süße" große Terz) zu angenehmen Assoziationen führen.

Überdies fällt auf, dass die Schweizer Musikerin bei gewissen Geschmacksqualitäten (sauer, bitter) mehrfache Zuordnungen trifft. Das ist offensichtlich kein Zufall, denn betroffen sind just jene Intervalle, die auch auf der Tonleiter in einem Entsprechungsverhältnis stehen.

Wie das Team um Lutz Jäncke berichtet, geht die einzigartige Verbindung von Sinnesmodalitäten nur in einer Richtung vor sich: Geschmacksreize führen zu keinen Tonempfindungen - E.S. hört also keine Symphonien, wenn sie etwa das Salatdressing abschmeckt.
Musikalische Treffsicherheit erhöht
Um die besondere Sinneskoppelung zu belegen, testeten die Forscher die Reaktionen der Frau über mehr als ein Jahr. Bei Vergleichen mit fünf anderen Musikern habe sie eine klar schnellere "Treffsicherheit" bei der Zuweisung von Geschmäckern und Tönen gezeigt.

Dies zeige, dass Synästhesie mit Erfolg zur Lösung kognitiver Probleme eingesetzt werden kann. Zudem ordne die Frau einzelnen Tönen jeweils eine bestimmte Farbe zu - so empfindet E.S. das C als rot oder das F als violett.
Seltene Gabe
Besondere Fähigkeiten bei der Verknüpfung von Sinneswahrnehmungen haben nur wenige Menschen. Dies treffe wohl nur auf eine von 2.000 Personen zu, erläuterte Jäncke. Andere Schätzungen gehen davon aus, dass einer von 500 Menschen Synästhetiker ist.

[science.ORF.at/dpa, 3.3.05]
->   Institut für Neuropsychologie, Uni Zürich
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->   Synästhesie - Vernetzung der Sinne (5.3.02)
 
 
 
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01.01.2010