News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Kluger "Hobbit": Zwergmensch war trotz Minihirn intelligent  
  Ende letzten Jahres wurde von der Entdeckung einer völlig unbekannten, 18.000 Jahren alten Zwergmenschenart berichtet: Der rund einen Meter große Homo floresiensis besaß zwar einen äußerst kleinen Kopf - in der Größe einer Grapefruit -, war aber vermutlich zu hohen Intelligenzleistungen fähig, wie nun eine aktuelle Untersuchung nahe legt.  
Damit wird die alte Lehrmeinung, dass Intelligenz in der Menschenentwicklung vor allem durch einen Volumenzuwachs des Gehirns erreicht worden sei, stark in Frage gestellt.

Mit der nun publizierten Studie dürfte auch eine umstrittene Hypothese widerlegt worden sein, derzufolge es sich bei Homo floresiensis um keine neue Spezies, sondern um einen Pygmäen mit pathologisch verkleinertem Kopf handle.
...
Die Studie "The Brain of LB1, Homo floresiensis" von Dean Falk et al. wurde am 3.3.05 auf der Website des Fachjournals "Science" veröffentlicht (doi:10.1126/science.1109727).
->   Science Express
...
Fund erregt Aufsehen
Bild: National Geographic/Peter Schouten
Im September 2003 entdeckten Wissenschaftler um den Australier Mike Moorwood, University of New England, die Gebeine eines fragilen, menschenähnlichen Wesens. Gut ein Jahr später wurde der Fund von einem Forscherteam der Öffentlichkeit vorgestellt und als wissenschaftliche Sensation gefeiert.

Denn bei den rund 18.000 Jahre alten Knochen handelt es sich offensichtlich um Überreste einer bislang unbekannten Menschenart namens Homo floresiensis.

Der "Hobbit", wie der Zwergmensch von der Zeitschrift "National Geographic" liebevoll getauft wurde, zeigt ein interessantes Mosaik an Merkmalen: Körperbau und Schädel erinnern an die Austalopithecinen, die Vorläufer der "echten" Menschenartigen, Zähne und Gesicht zeichnen ihn hingegen als zur Gattung Homo gehörend aus.
->   Zwergmenschenart in Indonesien entdeckt
Kleiner Kopf, geringes Hirnvolumen
Allerdings warf der Fund in der Ling-Bua-Höhle auf der indonesischen Insel Flores auch einige Fragen auf: An der Fundstätte waren auch Werkzeuge aufgefunden worden - ein untrügliches Zeichen für Intelligenz.

Andererseits besaß der "Hobbit" einen äußerst kleinen Kopf und folglich auch ein kleines, nämlich rund 400 Kubikzentimeter fassendes Gehirn. Damit lag Homo floresiensis zwar im Bereich der heute lebenden Menschenaffen, wies aber nur ein Drittel unserer Gehirngröße auf.
Intelligent trotz Minihirn?
Bild: Kirk E. Smith, Mallinckrodt Institute of Radiology, Washington University
Die Frage war daher: Kann man mit einem so kleinen Gehirn überhaupt höhere Intelligenzleistungen vollbringen? Man kann, legt nun eine Studie von Forschern um Dean Falk von der Florida State University nahe.

Falk und sein Team hatten das Skelett des Zwergmenschen anatomisch untersucht und mit jenen des modernen Menschen sowie einigen anderen lebenden sowie ausgestorbenen Vertretern der Menschenartigen verglichen.

Die Analyse des Schädels fand aufgrund seiner Fragilität zwar nicht auf die herkömmliche Weise - mittels Ausguss - statt, die Forscher fanden aber eine guten Ersatz: Sie rekonstruierten die Form des Gehirns mittels tomografischer Daten am Computer (Bild rechts).
Gewisse Gehirnbereiche stark vergrößert
Der Analyse bestätigte im Wesentlichen die Studie des Vorjahres. Das Größenverhältnis von Kopf und Körper ähnelt dem der Australopithecinen, während die Ausgestaltung des Gehirns eher an Homo erectus erinnert.

Im Detail gab es einige Überraschungen: Falk und seine Mitarbeiter entdeckten, dass das Großhirn des "Hobbits" offenbar stark vergrößerte Schläfenlappen aufweist - Regionen, die beim modernen Menschen Sprach- und Hörzentren beherbergen.

Noch beeindruckender war offenbar der Frontallappen, welcher u.a. mit höheren kognitiven Leistungen befasst ist: "Solch riesige Faltungen habe ich noch bei keinen ausgestorbenen Menschenartigen gesehen", zeigt sich Falk gegenüber "Science" überrascht.
Intelligenz: Es kommt nicht nur auf die Größe an
Schluss der Forscher: Diese auffälligen Gehirnareale weisen darauf hin, dass Homo floresiensis die bei ihm aufgefundenen Steinwerkzeuge selbst hergestellt und damit vermutlich auch gejagt hat.

Und: Man benötigt für diese Leistungen offenbar kein großes Gehirn, eine Reorganisation der vorhandenen Hirnmasse reicht ebenso aus.

Fred Spoor vom University College London interpretiert das Ganze bereits in größerem Zusammenhang. "Dies kippt eines der grundlegenden Konzepte der menschlichen Evolution, demzufolge unsere Intelligenz durch eine Vergrößerung des Hirns entstanden ist", so der Evolutionsbiologe.
Die Pygmäen-Hypothese
Die Veröffentlichung von Falk und Kollegen wirft auch Licht auf einen interessanten Nebenaspekt. Homo floresiensis wurde nämlich nicht von allen Forschern als neue Spezies anerkannt.

Der indonesische Paläoanthropologe Teuku Jacob etwa vermutete, dass es sich dabei vielmehr um einen modernen Menschen handle, genauer: einen Pygmäen mit Mikrocephalie, also einem abnorm verkleinerten Schädel.
...
Zu dieser umstrittenen Hypothese gab es eine Diskussion im Online-Journal "Before Farming" (Band 4, 2004): "Homo floresiensis: some initial reactions to the publication of the discovery and replies from Brown & Morwood".
->   Zur Artikelserie
...
Vergleich belegt: Neue Menschenart
Die Forscher um Falk fertigten auch an den Schädeln eines Pygmäen sowie eines Mikrocephalie-Patienten virtuelle Ausgüsse an, fanden aber keinerlei anatomische Ähnlichkeiten zum Gehirn des Zwergmenschen.

Sie gehen davon aus, dass sich die Pygmäen-Hypothese damit erledigt hat. Für endgültige Antworten sollen DNA-Vergleiche sorgen, die zur Zeit am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie vorgenommen werden.
Streit um alte Knochen
Die Kontroverse zwischen Jacob und den Entdeckern von Homo floresiensis beschränkt sich indes nicht nur auf die fachliche Ebene. Jacob hatte die Gebeine letzten November für eigene Untersuchungen entlehnt, gab sie aber entgegen einer Übereinkunft nicht bis Jahresende zurück.

Wie "Science" berichtete, entbrannte daraufhin ein erbitterter Streit um die Priorität für weitere Forschungen. Jetzt, nach dem Verstreichen zweier weiterer Fristen, hat der indonesische Fachmann zwar die meisten Knochen retourniert, einige Stücke befinden sich aber noch immer in seinem Gewahrsam. Für weitere Kapitel im Knochen-Streit dürfte also gesorgt sein.

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.3.05
...
Nachlese zur Knochen-Kontroverse: "Battle Erupts Over the 'Hobbit' Bones" in "Science" (doi:10.1126/science.307.5713.1179) sowie "Fossil finders in tug of war over analysis of hobbit bones" in "news@nature" (doi:10.1038/434005a).
...
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Langes Hirnwachstum: "Erfindung" des modernen Menschen (15.9.04)
->   Geruchsverlust des Menschen für besseres Augenlicht (21.1.04)
->   Ältester Primaten-Vorfahr in Asien entdeckt (30.12.03)
->   Knochen des vermutlich ältesten Europäers gefunden (23.9.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010