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Philosoph Ernst Tugendhat wird 75  
  Der deutsche Philosoph Ernst Tugendhat - einer der profiliertesten Vermittler zwischen der angelsächsischen und deutschsprachigen Tradition des Philosophierens - feiert am 8. März seinen 75. Geburtstag.  
Vorlesung als Klassiker
Manche Vorlesungen sind in die Geschichte der Philosophie eingegangen. Auf jeden Fall dazu gehören jene von Ernst Tugendhat zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie.

Anfang der 1970er Jahre hat Tugendhat damit die angelsächsisch-analytische Schule mit der kontinental-europäischen Metaphysik und Transzendentalphilosophie vermittelt.

"Das menschliche Verstehen lässt sich nur in Reflexion auf fundamentale sprachliche Strukturen erhellen", lehrte er seine Studenten in Heidelberg - und machte ihnen die unentrinnbare Unklarheit des Denkens deutlich. Die denkerische Unruhe prägt ihn bis ins hohe Alter.
Meinungen oft geändert
"Ich habe meine Meinungen immer wieder geändert", sagt er rückblickend. "Das geht mir eigentlich mit allen Fragen so: Ich werde nicht fertig."

Nach seinen Aufsehen erregenden Vorlesungen zur Sprachphilosophie befasste sich Tugendhat in den 1980er Jahren verstärkt mit der praktischen Philosophie.

Er kam zu der Überzeugung, dass sich Moral nur vertragstheoretisch begründen lässt, nicht idealistisch aus der Idee der Freiheit oder metaphysisch aus dem Begriff des Absoluten. Wichtig wurde ihm der Gedanke der Egalität: "Du sollst jeden gleich achten, niemanden instrumentalisieren."
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Tugendhat gehört gehört
Die Philosophische Audiothek bietet einige Vorträge von, Gespräche mit und Vorlesungen über Ernst Tugendhat als downloadbare Audiofiles an: Einfach "Tugendhat" im Suchfeld eingeben.
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Kurzbiografie
Als Kind eines jüdischen Elternhauses hatte Tugendhat erfahren, was es bedeutet, als ungleich zu gelten. Die Familie floh 1938 vor den Nationalsozialisten aus Brünn (heute Brno in der Tschechischen Republik) - zuerst in die Schweiz, später nach Südamerika.

Nach dem Krieg studierte Tugendhat an der Stanford-Universität in Kalifornien Klassische Philologie. Zum Studium der Philosophie Martin Heideggers kam er 1949 nach Europa zurück.

Freiburg, Tübingen, Heidelberg, Max- Planck-Institut Starnberg, Freie Universität Berlin - das waren seine wichtigsten Stationen, bis er 1992 wieder nach Südamerika ging, um in Santiago de Chile zu lehren.
Politisches Engagement
Seinen Abschied aus Deutschland verknüpfte er mit kritischen Bemerkungen zur Wiedervereinigung (für ihn ein "Anschluss Ostdeutschlands") und zum "massiven Rückfall in den Fremdenhass".

Auch früher schon hatte sich der Philosophie-Professor immer wieder politisch engagiert, etwa in der Friedensbewegung und im Kampf um das Asylrecht.

Dem US-Präsidenten George W. Bush wirft er "eine extreme Verschärfung der partikularistisch-nationalistischen Tradition der Amerikaner" vor; die Steigerung des amerikanischen Reichtums sei Bush wichtiger als das Leben anderer.
"Hegel konnte zu wenig Logik"
Seinen Lebensabend verbringt Tugendhat nun in Tübingen - mitten in jener Altstadt, in der Hölderlin, Schelling und Hegel die größte Epoche deutscher Philosophiegeschichte mitbegründet haben. Eine späte Rückkehr in den Schoß kontinentaler Metaphysik?

Keineswegs. Tugendhat hat seine spöttische Skepsis nicht verloren. Dem Deutschen Idealismus wirft er schlicht einen "Mangel an kritischer Vernunft" vor: "Hegel konnte einfach zu wenig Logik."

Bernward Loheide, dpa, 7.3.05

Aktuell zu Tugendhats Geburtstag:
->   Deutsche Philosophen müssen Englisch schreiben (Netzeitung)
 
 
 
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01.01.2010