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Der 8. März 2025: Vision einer verkehrten Welt  
  Gleichberechtigung an den österreichischen Universitäten ist möglich - zumindest behaupten das die Landschaftsplanerin Bente Knoll und die Leiterin der Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies der Technischen Universität Wien, Brigitte Ratzer. In ihrem Gastbeitrag anlässlich des Internationalen Frauentags drehen sie die Zahlen um und fragen nach den Maßnahmen, die zur tatsächlichen Gleichstellung der Männer nötig wären.  
2025: Genderkompetenz auf allen Ebenen
von Bente Knoll und Brigitte Ratzer

Welche Visionen sind mit einer Zukunft, in der Geschlechterdemokratie und Gleichstellung zwischen allen Geschlechtern hergestellt ist, verbunden? Die Ausgangssituation ist heute höchst ungleich, wie ein Blick in die Statistiken belegt. Dennoch lassen sich - sofern die dafür nötigen Maßnahmen umgesetzt werden - positive Veränderungen prognostizieren, wie am Beispiel der Technischen Universitäten gezeigt werden soll.
Geschlechterverhältnisse 2005
4 % der UniversitätsprofessorInnen sind Männer, 16 % der UniversitätsassistentInnen sind Männer, 18 % der DoktorandInnen sind Männer, 32 % der StudentInnen sind Männer, 7 % der InhaberInnen der Ziviltechnischen und Technischen Büros sind Männer;

50 % der Weltbevölkerung sind Männer, 66 % der weltweit verrichteten Arbeit (inklusive Schattenarbeit, informeller Sektor) wird von Männern gemacht, 10 % der Weltlohnsumme geht an Männer und 1 % des Weltvermögens gehört den Männern.

Die Zahlen entsprechen den aktuellen Statistiken im "Statistischen Taschenbuch 2004" des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur - es wurden lediglich die Geschlechter vertauscht.
Reality Check: Die tatsächlichen Zahlen
 


Bild oben: Die Zahlen der Studierenden der Fachrichtungen Bauingenieurswesen, Architektur, Raumplanung resp. DoktorandInnen der Technischen Wissenschaften aus dem Wintersemester 2003, der ErstabsolventInnen der oben genannten Fachrichtungen aus dem Studienjahr 2002/03 und die Zahlen zu den Angehörigen der Technischen Universitäten in Österreich (Stand: 1. Jänner 2003).

Die Frauen in absoluten Zahlen:
- 11 Professorinnen an den TU Wien und Graz, vorwiegend im Bereich Architektur und Informatik
- 196 Assistentinnen an den TU Wien und Graz
- 411 Doktorandinnen der Technischen Wissenschaften
- 266 Erstabsolventinnen der Studien Bauingenieurswesen, Architektur und Raumplanung
- 3.244 Studentinnen der Studien Bauingenieurswesen, Architektur und Raumplanung

... und die Männer:
- 252 Professoren an der TU Wien und Graz
- 1.003 Assistenten an der TU Wien und Graz
- 1.858 Doktoranden der Technischen Wissenschaften
- 620 Erstabsolventen der Studien Bauingenieurswesen, Architektur und Raumplanung
- 6.750 Studenten der Studien Bauingenieurswesen, Architektur und Raumplanung
2025: Halbe-Halbe realisiert
50% aller Arbeit, Löhne und Vermögen für Männer
50% Teilhabe in allen Ausbildungs- und Arbeitsbereichen für Männer

Zur Erreichung dieser Zahlen sind Programme, Initiativen und Förderungen notwendig:
- die Implementierung von Gender Mainstreaming in den Universitäten
- eine Veränderung des Arbeitsbegriffs
- neue Perspektiven in der Forschungsausrichtung der einzelnen Fachbereiche
- die Veränderung der Forschungsförderungsprogramme
Genderkompetenz vom Kindergarten bis zur Universität
Gendersensible Bildung und Didaktik erfolgt vom Kindergarten, über die Gesamtschule bis hin zu den Universitäten. Die Menschen haben ein Bewusstsein für das "doing gender", also das Herstellen von Geschlechterkonstruktionen und Zuschreibungen durch ihr Handeln.

Geschlecht / Gender ist dabei nicht aufgelöst, sondern es ist eine Vielfalt der Geschlechteridentitäten möglich und es wird diskriminierungsfrei gelebt.
Objektivität und Universalität werden verworfen
Genderperspektive ist in den Inhalten der Technik- und IngenieurInnenwissenschaften eingeschrieben. Die Ideen der Objektivität und Universalität der Wissenschaften haben sich als unbrauchbare Grundlagen erwiesen.

Statt der Suche nach der "einen besten Lösung" wird die Erarbeitung kontextangepasster Lösungen gelehrt. Dabei ist die Reflexion der eigenen Position als WissenschafterIn/ForscherIn Bestandteil des wissenschaftlichen Produktionsprozesses.
Förderung der Erforschung gesellschaftlicher Probleme
Forschungsförderung bei den Technik- und IngenieurInnenwissenschaften orientiert sich an grundlegend neuen Paradigmen. Kurzfristige Forschungsprogramme werden zur Lösung anstehender Probleme in der Gesellschaft ausgeschrieben.

Die Problemdefinition erfolgt dabei durch Beteiligungsverfahren. Langfristige Forschungsförderungsprogramme sind ausschließlich zur Lösung von großen anstehenden Problematiken - Klimawandel, ökologische Verträglichkeit, soziale Ungleichheit - konzipiert. Es gibt keine Finanzierungen für militärische und Rüstungsforschung.
Ausbildung legt Wert auf Zusammenhänge
Ausbildungsziele werden neu definiert. Dabei steht neben fundierter Grundlagenausbildung ein breiteres Verständnis der Zusammenhänge im Vordergrund.

So werden etwa Umweltwirkungen und Entsorgung neuer Chemikalien ebenso wichtige Bestandteile der Ausbildung sein, wie deren Herstellung.

Die größten Aushängeschilder der Technischen Universitäten sind nicht mehr die Siege bei der Roboter-Fussball-Weltmeisterschaft sondern die Ergebnisse der Spitzenforschung in den Bereichen Klimawandel und Nachhaltigkeit.
Wissensproduktion wird transparenter
Wissenschaft und Wissenserwerb werden als Prozess gedacht, dabei sind verschiedene AkteurInnen eingebunden, die Unterscheidung zwischen ExpertInnen und LaiInnen verliert zunehmend an Bedeutung, die Technischen Universität werden nicht mehr als einziger Ort der Wissensproduktion gedacht.

Kooperationen zwischen Universitäten, Unternehmen, ForscherInnen-Teams und EinzelforscherInnen sind üblich.

Die hinter der Technik- und IngenieurInnenwissenschaft stehenden Theorien, Modelle und Methoden werden in einem reflexiven Prozess beim Wissenserwerb miteinbezogen. Die hinter der Wissensproduktion stehenden Normen und Werte sind bekannt und werden auch benannt.
Gender-Prüfungen sind common sense
Die Frage "Welche Auswirkungen hat diese oder jene technische / technologische Entwicklung / Maßnahme auf alle Geschlechter?" wird als Teil der Planung von Forschung und Entwicklung selbstverständlich.

Eine solche "Genderprüfung" - analog zu heutigen "Rentabilitätsprüfungen" - wird routinemäßig, z.B. in Form von Gender Impact Assessments, umgesetzt.

Genderkompetenz - analog zu den heute geforderten Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Teamworking, usw. - ist eine Schlüsselqualifikation.
Universität als angenehmer Arbeitsplatz
Die Technischen Universitäten nehmen sich als Arbeitgeberinnen ernst
und achten besonders auf sozialverträgliche Gestaltung von Arbeitsplätzen und flexible Arbeitszeitgestaltung nach den Bedürfnissen der MitarbeiterInnen.

Qualitätsvolle Kinderbetreuungseinrichtungen sind in ausreichender Anzahl ganz selbstverständlich an jeder Universität / in jedem großen Betrieb vorhanden - um Vätern die Vereinbarkeit zu erleichtern.

Aus- und Fortbildung von MitarbeiterInnen sind Teil der hauseigenen Personalentwicklungsprogramme.

[8.3.05]
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Die Autorinnen
Dipl.-Ing.in Bente Knoll, Landschaftsplanerin, geschäftsführende Gesellschafterin der Knoll & Szalai oeg, Technisches Büro für Landschaftsplanung, Unternehmensberatung. KnollSzalai arbeitet und forscht zu Gender, Diversity Management, Gender Mainstreaming und den Bezügen zur Stadt-, Landschafts- und Regionalplanung, sowie zu Umwelt, Nachhaltigkeit, Naturwissenschaft und Technik.

Dr.in Brigitte Ratzer, Studium der Technischen Chemie, Doktorat im Fachbereich Techniksoziologie und Wissenschaftsforschung. Forschungsgebiete: feministische Naturwissenschafts- und Technikforschung, Bioethik und biomedizinische Technikfolgenabschätzung, Technik und Gesellschaft. Seit 2005 Leiterin der Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies der TU-Wien.
->   Technische Universität Wien
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01.01.2010