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Zeilinger-Gruppe: Neues Konzept für Quantencomputer  
  Wenn der Quantencomputer kommt, dann wird er alle konventionellen Systeme um Längen schlagen, darüber sind sich die meisten Experten einig. Wann das allerdings sein wird, da gehen die Meinungen auseinander. Wiener Forscher um Anton Zeilinger vom Institut für Experimentalphysik der Universität Wien haben nun ein völlig neues Konzept für den Quantencomputer präsentiert.  
Nach Einschätzung von Philip Walther aus Zeilingers Guppe handelt es sich dabei um den "größten Knaller seit Realisierung der Teleportation".
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Die Studie "Experimental one-way quantum computing" von P. Walther et al. erschien im Fachjournal "Nature" (Bd. 434, S. 169-176, Ausgabe vom 10.3.05).
->   Zum Original-Abstract
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Bits in der Quantenwelt: 0, 1 - und alles dazwischen
Für die Verwirklichung eines Quantencomputers gibt es bisher verschiedene Ansätze. Gemeinsam haben die Versuche, dass dabei so genannte Quanteneffekte, die sich bei der herkömmlichen Elektronik eher störend und limitierend auswirken, gezielt genutzt werden.

Quanteneffekte sind Phänomene in der Welt der kleinsten Teilchen, die dem Menschenverstand zu widersprechen scheinen. So gibt es in der Quantenwelt nicht nur definierte Zustände - beispielsweise 1 oder 0 (also die Werte der kleinsten Informationseinheit "bit" in herkömmlichen Computern) - sondern auch so genannte Überlagerungen, eine Art Schwebezustand ("Superposition") in der sich die Teilchen befinden.

Erst durch eine Messung wird der Zustand gleichsam gelöst, es kommt wieder 1 oder 0 heraus. Die Wahrscheinlichkeit, ob das Ergebnis 1 oder 0 ist, kann beeinflusst werden.
->   Superposition bei Wikipedia
Auch "spukhafte Fernwirkungen" werden genutzt
Auch Quanteneffekte zwischen den Teilchen, so genannte Verschränkungen, werden genutzt. Dabei sind etwa zwei Teilchen auch über große Distanzen miteinander verbunden, Einstein sprach von "spukhafter Fernwirkung".

Manipuliert man eines davon, so verändert man auch das andere. Die Verschränkung kann aber auch festlegen, dass zwei Teilchen nicht gleichzeitig den gleichen Zustand annehmen können.
->   Quantenverschränkung bei Wikipedia
Neu: Cluster statt Gatter
Ein Haupthindernis bei der technischen Verwirklichung des Quantencomputers ist die Einrichtung so genannter Gates bzw. Gatter. Das sind jene Schalteinheiten, die im konventionellen Computer aus Halbleitern und Transistoren bestehen und die eigentlichen Rechenaufgaben erledigen.

Mit dem neuen Konzept der "Quantencluster" haben die Wiener Physiker das Problem nun elegant umgangen. Bei diesem Cluster-Zustand werden, wie auch bei der normalen Verschränkung von zwei Photonen, Teilchen gleichsam mit einander verbunden.
"One-Way-Quantencomputer"
Im konkreten Fall gelang die Verschränkung von vier Photonen zu einem Cluster. "Wird der Zustand eines der Teilchen gemessen, beeinflusst die Messung zwar die verbleibenden drei, sie bleiben aber dennoch im Überlagerungszustand und können weiter verwendet werden", erklärte Walther.

Da bei jeder Beeinflussung, also jeder Messung jeweils ein Photon geopfert werden muss und damit nicht mehr zur Verfügung steht, wird das Konzept auch "One-Way-Quantencomputer" genannt.
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"Jeder Quantencomputer arbeitet mit Superposition und mit Verschränkung. Das heißt, ich habe immer eine Überlagerung von 0 und 1. Die bisherigen Quantencomputer arbeiten damit, dass ein logisches Gatter nach dem anderen an diesem Zustand arbeitet und ihn verändert. Wir starten eben mit diesem Zustand und machen das durch Messungen. Das ist ein ganz anderes Computer-Konzept als alles, was es bisher gab. Das ist das Neue. Ob das jetzt in der Umsetzung besser sein wird als das andere, das kann man heute noch nicht sagen", so Anton Zeilinger gegenüber Ö1.
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Ergebnisse durch Messung auswählen
Ergebnisse durch Messung auswählen
Das Erstaunlichste daran ist, dass die Cluster praktisch alle Ergebnisse einer möglichen Eingabe in sich tragen.

Durch Anordnung der Messung einzelner Photonen kann beeinflusst werden, was mit einer Eingabe passiert, also welche Rechenoperation durchgeführt wird. Die Einrichtung von Gattern entfällt.

Gegenüber Ö1 erläutert Zeilinger das neue Prinzip durch einen literaturhistorischen Vergleich: "Das ist eine ganz andere Idee von Computing. Es erinnert ein bisschen an 'Die unendliche Bibliothek' von Borges."

"Der argentinische Schriftsteller hatte die Idee einer Bilbiothek, in der alle denkbaren Bücher drinnen sind. Da gibt es 'Romeo und Julia' und auch 'Romeo und Julia', wo nur ein Buchstabe verändert ist usw. Da sind alle Bücher mit allen möglichen Kombinationen von Buchstaben drinnen. Das ist ein bisschen so wie unser Quantencomputer".
Einfache Rechenaufgaben gelöst
Konkret sieht die Sache so aus, dass die Wissenschafter dem Quantencomputer eine einfache Aufgabe stellen. Nach der Eingabe - etwa 1 plus 2 - wird die Messung so lange verändert, bis das richtige Ergebnis - 3 - herauskommt.

Mit der gleichen Anordnung können dann kompliziertere Aufgaben angegangen werden. Für die Veröffentlichung in "Nature" haben die Experimentatoren den Computer einfache Suchaufgaben nach markierten Impulsen lösen lassen.
Zukunft: Cluster aus bis zu 100 Teilchen
Um immer kompliziertere Operationen durchführen zu können, müssten in Zukunft auch mehr Photonen zu verschränkten Clustern zusammenführen.

Das sei die Aufgabe für die nächste Zeit: 20, 40, 100 Teilchen könnten es schon werden, so Walther. Was die Geschwindigkeit angeht, nehmen sich die Angaben der Wissenschaftler für den Quantencomputer beeindruckend aus.

So muss ein konventioneller Rechner für eine Suchoperation in einer Datenbank mit zwei Millionen Einträgen eine Million Mal nachfragen, um einen bestimmten Eintrag zu finden. Der Quantencomputer braucht dagegen nur 1.400 Anfragen.
Noch keine Notebooks-Dimensionen
Noch hat der Quantencomputer der Wiener Physiker mit einem Bürogerät wenig zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine für den Laien völlig unübersichtliche Anordnung von Spiegeln, Linsen und Strahlteilern, die auf einem rund einen Quadratmeter großen Labortisch angeordnet sind.

Allerdings sind Praktikabilität oder gar Tragbarkeit noch nicht wirklich ein Thema für die Grundlagenforscher.

[science.ORF.at/APA, 9.3.05]
->   Website von Zeilingers Arbveitsgruppe (Uni Wien)
->   Quantencomputer bei Wikipedia
->   Das Stichwort Quantencomputer im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010