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Carl Schorske: Suche nach den Wurzeln der Moderne  
  Der Amerikaner Carl Schorske gilt als einer der größten lebenden Kulturhistoriker. Mit seinem Buch "Wien - Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle" hat er einen wichtigen Beitrag zur neueren österreichischen Geschichtsschreibung geleistet und das Wien der Jahrhundertwende weltweit populär gemacht. Am Dienstag feiert er seinen 90. Geburtstag.  
Bei Fin-de-Siecle-Veröffentlichung bereits 65
Bild: APA
Carl Schorske
Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses Schorskes stand und steht die europäische Geistes- und Kulturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Seine Österreich-Studien konzentrierten sich auf politische und kulturelle Strömungen im Kontext der Krise des Spätliberalismus in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie.

Diese Arbeiten kulminierten in seinem Fin-de-Siecle-Buch, das den am 15. März 1915 in New York geborenen Schorske berühmt gemacht hat - zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Schorske bereits 65 und er emeritierte im gleichen Jahr.
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Mit Pulitzer-Preis ausgezeichnet
Obwohl der international anerkannte Historiker über eine ganze Reihe an wissenschaftlichen Publikationen verfügt - u.a. zu Gustav Mahler -, ist es gerade das "Pionierwerk" des Wiens um 1900, das immer wieder Aufsehen erregt und ihm 1981 den Pulitzer-Preis beschert hat.
->   Pulitzer Prizes
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Wien besonders geeignet
Warum er sich in dem 1980 erschienenen Werk ausgerechnet mit Wien beschäftigte? "Die Verbindung zwischen der Vielfalt der Ideen und dem Gefühl der Identität hat Wien zu etwas ganz Besonderem gemacht", bekannte er in einem APA-Interview.

Für sein Projekt einer "Suche nach den Wurzeln der Moderne" habe sich Wien daher besonders geeignet.
Ein neuer Blick auf die Welt
Ausgangspunkt war für Schorske die Nachkriegs-Moderne in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg, die auch in der Wissenschaft zu tief greifenden Veränderungen führte. Damals sei etwa versucht worden, Literaturwissenschaft unabhängig von Geschichte zu betreiben, einen Text rein nach ästhetischen Gesichtspunkten zu analysieren.

In der Politologie habe man wissenschaftliche Methoden jenseits der Geschichtsforschung erarbeitet. Diesen "neuen Blick" auf die Welt wollte Schorske erkunden und nach den Ursprüngen des sich von der Geschichte und dem Überlieferten lösenden Denkens suchen.
Über Wien am wenigsten gewusst
"Ich suchte nach einem Ort, wo sich der Versuch aus der Geschichte auszubrechen und modern zu werden deutlich zeigte." Der Professor der Princeton-Universität hatte sich mit seinen Studenten in Seminaren den europäischen Hauptstädten London, Berlin, Paris und Wien gewidmet. Über Berlin habe er, der in New York in einer deutsch-jüdischen Familie geboren wurde, noch am meisten gewusst, über Wien am wenigsten.

Doch die Neugier des Historikers auf das Unentdeckte war offenbar groß. Mit interdisziplinären Forschungen hat er sich daraufhin dem besonderen Wesen des damaligen Wien angenähert und mit "Fin de Siecle Vienna" ein analytisches Werk verfasst.
Einzigartige Atmosphäre
Die Denker und Künstler im Wien der Jahrhundertwende waren in so vielen Gebieten tätig und hatten so viele Verbindungen untereinander, dass eine ganz besondere Atmosphäre geherrscht habe, schildert Schorske: "Mahler wusste, wer Freud war. Kokoschka wusste, wer Schönberg war".

Dieses gegenseitige Bewusstsein voneinander sei in Wien einfach einzigartig gewesen - viel stärker als in den anderen zunächst von ihm untersuchten europäischen Hauptstädten.

Dass in Wien die Gedanken aus einem System, etwa der Psychoanalyse, dann in einem anderen System, etwa der Musik, auftauchten, sei daher nicht verwunderlich.
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Unfertiges Werk
Trotz der Auszeichnungen und Ehrungen, die Schorske für sein Werk erhalten hat, sieht es der Historiker nicht als abgeschlossen. "Ich wünschte mir, dass eine Ausweitung in das neue (20.) Jahrhundert möglich wäre". Dann würde er etwa Hermann Broch, Robert Musil und Egon Schiele aufnehmen.
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Kritiken ursprünglich sehr schlecht
Die Rezeption seines Buches sei in Österreich übrigens anfangs "schrecklich" gewesen, erinnert sich Schorske: "Die 'Presse' hat mich total verrissen".

Seine Erfahrung mit Österreich war allerdings ambivalent: "Zuerst fand ich Österreich sehr widerspenstig und unangenehm. Schließlich war es voller Wertschätzung."

[science.ORF.at/APA, 15.3.05]
->   Carl Schorske (ÖFG)
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01.01.2010